Das Interessante in den Augen der Beteiligten und der Zuschauer war, daß die gesamten Argumente beider Seiten offengelegt und Zusammenhänge dargestellt wurden (F. Brettschneider). Statt der Vorstellung von Teilaspekten durch mediale Statements, konnte die Herleitung von Argumenten dargestellt werden, die "Storvlines", wie Volker Kefer einmal sagte: d. h. die technische Gesamterzählung und der innere Zusammenhang des Vorhabens - und das vor einem Millionen-Publikum.

Webseiten und der Organisation von Zehntausenden Menschen per Mausklick kann die Demokratie nicht mehr so funktionieren wie im letzten Jahrhundert. Die Zeit der Basta-Politik ist vorbei, auch Parlamentsbeschlüsse werden hinterfragt, vor allem wenn es Jahre dauert, bis sie realisiert werden. Sie müssen jedenfalls in dieser Zeit immer wieder begründet und erläutert werden.

Die Fristen zwischen Planung und Realisierung von Großprojekten sind viel zu lang. Die Öffentlichkeit muß zwar heute schon nach § 3 des Baugesetzbuches über Pläne und Alternativen frühzeitig informiert werden. Diese Bestimmung wird jedoch nicht eingehalten oder zu eng ausgelegt. Notwendig ist zudem, daß Alternativen offiziell ermöglicht und geprüft werden. Das Fehlen dieser Möglichkeit war einer der größten Schwächen im Verfahren von S 21.

Wäre die Ursprungsplanung von Prof. Heimerl, ähnlich der sogenannten Züricher Lösung, oder andere Pläne wie z. B. K 21 gleichberechtigt zu S 21 in den Planfeststellungsverfahren zur Debatte gestellt worden, wäre der Tiefbahnhof möglicherweise auch das Resultat der Prüfungen gewesen, aber andere Konzepte nicht planerisch in nicht mehr revidierbaren zeitlichen Verzug geraten. Dies war, um auch dies deutlich zu sagen, nicht der Fehler der jetzigen Landesregierung; sie hat dieses Defizit geerbt; Ministerpräsident Mappus hat konsequenterweise eine gesetzliche Reform des Baurechts bereits vorgeschlagen.

5. Wir brauchen nach meiner Auffassung in Deutschland eine Verstärkung der unmittelbaren Demokratie. Sicher kann das Schweizer Modell nicht 1:1 auf Deutschland übertragen werden. Aber wir sollten, um Entwicklungen wie bei S 21 in der Zukunft zu verhindern, das

Beteiligungsverfahren der Schweiz übernehmen, zumindest für Großprojekte: 1. Phase: Formulierung des Ziels, z. B. Basistunnel durch den Gotthardt, dann Abstimmung 2. Phase: Entwicklung der Pläne, mögliche Alternativen, dann Abstimmung 3. Phase: Realisierung mit begleitender Begründung und Information Solange dies im Bund und in den Ländern nicht möglich ist, bietet sich das hier praktizierte Stuttgarter Modell als Prototyp an (institutionalisierte Bürgerbeteiligung auf Augenhöhe).

6. Es war von vornherein klar, daß bei der gegebenen Situation heute ein Kompromiß zwischen Tief- und Kopfbahnhof nicht mehr möglich ist. Der ursprüngliche Plan von Prof. Heimerl, nämlich Sanierung des Kopfbahnhofs mit Bau eines viergleisigen Durchgangsbahnhofs plus Anschlußtunnel zur Neubaustrecke und Abzweig zum Flughafen wäre ein solcher Kompromiß gewesen. Diese sogenannte Kombi- oder Züriche Parteitagsbeschluß dagegen und für K 21.

Bei dieser Sachlage wäre es für mich das Einfachste gewesen, eine Volksabstimmung oder eine Bürgerbefragung vorzuschlagen. Eine Bürgerbefragung in Stuttgart ist heute noch möglich unter der Voraussetzung, daß während des Baus von Stuttgart 21 eine Beteiligung der Stadt an Mehrkosten gefordert würde. Das ergibt sich aus dem Beschluß des Gemeinderates vom 29. Juli 2009.