Vor 100 Jahren starb Heinrich Hansjakob. Er war Priester Dichter und Politiker. Gleichzeitig war er aber Spitzel und Zölibatsbrecher. Viele Bräuche und Sitten, Märchen und Sagen hat der begabte Schreiber aus dem Schwarzwald dokumentiert.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Haslach - Man muss zu ihm aufschauen: Hoch über dem Dorf Hofstetten ragt die Grabkapelle von Heinrich Hansjakob am Waldrand empor. Hofstetten, abseits gelegener Ortsteil von Haslach im Kinzigtal (Ortenau), war das selbsterklärte „Paradies“ des am 19. August 1837 in Haslach geborenen Pfarrers, Schriftstellers und Politikers. Am 23. Juni vor 100 Jahren ist Heinrich Hansjakob gestorben, zwei Tage später wurde er in der Kapelle beigesetzt. „Wallfahren“ müssten seine Anhänger zu ihm, freute er sich schon, als er die Weihestätte mit dem Freiburger Architekten Max Meckel plante.

 

Das passt zu seinem Hochmut. „Ich bin ein derartiger Egoist und ein Einsamer bis heute geblieben“, bemitleidet er sich in den Erinnerungen an die Studienzeit. Unbarmherzig teilte er aus, gegen Regierung, Papst und Großkapitalisten, gegen Juden und gegen Frauen. Es hat ihm geschadet. Dennoch ist er weit gekommen für einen Bäckersohn, dessen Familie verarmte. Ein Studium konnte der begabte Bub nur mit Hilfe der katholischen Kirche absolvieren. Pfarrer wollte er eigentlich nicht werden, dass er den Zölibat nicht würde einhalten können, ahnte er. Lehrer hätte er bleiben können, wäre ihm nicht schon bei der ersten Stelle in Waldshut seine rebellische Seite zum Verhängnis geworden: Zwei kritische Schriften, eine deftige öffentliche Rede und schon steckte der Junglehrer mit 30 Lebensjahren tief im „Kulturkampf“ zwischen der katholischen Kirche und der nationalliberalen Regierung.

Rebell im Priesterrock

Entlassung aus dem Schuldienst, vier Wochen Festungshaft in Rastatt, verbotene Bücher – es blieb 1869 nur die Flucht in den Priesterberuf. In Hagnau am Bodensee fand er neben Predigen, Reiten und Reisen noch Zeit, um 1881 die erste badische Winzergenossenschaft zu gründen. Zudem machte er eine Karriere als Abgeordneter der Katholischen Volkspartei im badischen Landtag. Und er zeugte 1872 seinen ersten Sohn mit dem Küchenmädchen im Pfarrhaus. Zwei weitere Kinder sind nachgewiesen, über noch mehr gibt es Gerüchte, von zahlreichen Liebschaften müsse man ausgehen, ist Manfred Hildenbrandt überzeugt. „Das macht ihn für mich aber eher sympathischer“, sagt der Verfasser des Buches „Rebell im Priesterrock“.

Das im Jahr 2000 im Hansjakob-Verlag der Stadt Haslach erschienene Werk entzog dem unkritischen Kult die Grundlage. „Ich habe großen Ärger dafür bekommen“, seufzt der 81-jährige Haslacher Stadtchronist. Strenggläubige wollen bis heute nicht glauben, was durch schriftliches Zeugnis belegt ist: Nicht nur ein Egoist und Zölibatsbrecher ist Hansjakob gewesen, sondern auch ein Spitzel der badischen Regierung. Nachdem sich Hansjakob 1881 vom Wadenbeißer zum Versöhnler im Kulturkampf gewendet und aus dem Landtag ausgeschieden war, diente er sich dem Kultur- und späteren Staatsminister Franz Wilhelm Nock als informeller Mitarbeiter an, verriet Interna des Erzbistums Freiburg und wurde dafür 1884 mit der Pfarrei St. Martin in Freiburg belohnt – gegen den Widerstand des Erzbistums, doch den Pfarrer in der Stadtmitte durfte der Großherzog höchstselbst ernennen.

Glühender Antisemit

Die bedeutende Stelle in der Hauptstadt des badischen Katholizismus bot Hansjakob die beste Plattform für seine Extratouren. Gleich vier Kapläne standen ihm als Hilfspfarrer zur Verfügung. Im Verwaltungsgebäude des Klosters Kartaus bezog Hansjakob bei günstigster Miete die ehemalige Priorwohnung. Fernab der Pfarrei schrieb der Publizist seine Bücher und empfing Damenbesuch.

Zuweilen tunkte Hansjakob seine Feder tief in den trüben Sumpf des Antisemitismus, den Hassprediger wie Alban Stolz mit widerlichem Vokabular verbreiteten. Hansjakob betete es nach: „Die Juden beherrschen heute nicht bloß den Geldmarkt, ... sie beherrschen auch die Presse und die Literatur, den geistigen Weltmarkt.“ Und: „Wer in unseren Tagen nicht Antisemit ist, ist entweder ein Esel oder von den Juden abhängig.“ Ein krasser Widerspruch zu seinem ansonsten glaubhaften Bekenntnis zur Demokratie, zu seiner Verehrung für die Revolution von 1848, auch wenn sein „Heckerhut“ in Wirklichkeit ein Kalabreser war. Hansjakob war entschiedener Pazifist, er geißelte den preußischen Militarismus. Ein Jahr vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges warnte er, das werde „ein einziger Friedhof werden“.

Guter Beobachter des bäuerlichen Lebens

Eine schillernde Figur, aber: „Er ist und bleibt der große Sohn der Stadt“, betont Martin Schwendemann, Kulturamtsleiter und Geschäftsführer des Gewerbevereins Haslach. „Als Figur der Zeitgeschichte“ sei Hansjakob allemal interessant, gerade auch in seiner Widersprüchlichkeit. „Er ist eine wichtige Quelle für die Volkskundler“, sagt Schwendemann. „Er war ein guter Beobachter des ländlichen und insbesondere des bäuerlichen Lebens.“ Der begabte Schreiber setzte sich zu den einfachen Menschen, fragte sie aus und brachte ihre Erzählungen zu Papier. So entstanden flüssig geschriebene Porträts von Schwarzwälder Originalen, von Handwerkern, Uhrmachern, Hausierern, Bauern, Knechten und Mägden – oder auch dem „Nachtkönig“ von Freiburg, dem Latrinenleerer.

Drei Kilometer langer Leichenzug

Viele mündlich überlieferte Bräuche und Sitten, Märchen und Sagen sind so dokumentiert worden. Geradezu manisch schrieb Hansjakob über Jahre und verdiente mit hohen Auflagen eine Menge Geld. So konnte er sich im hohen Alter in Haslach den „Freihof“, das heutige Museum, bauen und seine fürstliche Grabkapelle. Eine mutmaßliche Geliebte, die bayrische Offiziersgattin Maria Hamminger, hat ihm noch was dazugegeben, beide Bauwerke zusammen kosteten über 100 000 Goldmark, nach heutigen Wert rund eine Million Euro. Am 23. Juni 1916 ist Hansjakob mit fast 79 Jahren in Haslach gestorben. Der Leichenzug für ihn ist am Ort der größte aller Zeiten gewesen, drei Kilometer lang. Den Selbstdarsteller hätte diese „Wallfahrt“ gefreut.