Man kennt den Hamburger Komödianten Heinz Strunk als komischen Vogel. Doch bei seinem neuen Roman bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Im Mittelpunkt steht eine kleine Kaschemme in St. Pauli, in der die letzte Hoffnung, die Welt könnte ein vernünftiges Ganzes sein, für immer versinkt.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Liebesszenen klingen hier so: „Fiete fuhrwerkt noch mit Kochlöffel und Banane bei ihr unten rum“. Unterhaltungen enden gerne einmal damit, dass der Kiefer auf halb acht hängt. Und schon lange bevor es zum Schlimmsten kommt, stinkt die Verzweiflung der Leute, die diesen Roman – beziehungsweise, die Kneipe, die ihm den Namen gab – bewohnen, in allen Nuancen des Verfalls und der Verwesung zum Himmel.

 

Der Schwiegermutter würde man dieses Buch wohl nicht für ihren Lesekreis empfehlen: finsterer, wüster und vernichtender als Heinz Strunk in seinem „Goldenen Handschuh“ kann man auf die Welt nicht blicken. Und doch wurde dieser Milieu-Roman völlig zurecht für den Leipziger Buchpreis nominiert. Denn gute Romane müssen nicht schön sein, sie dürfen auch böse sein. Und der „Goldene Handschuh“ ist ein guter böser Roman.

Strunk erzählt die wahre Geschichte des Wachmanns Fritz Honka, der in den Siebzigerjahren vier Frauen ermordet, zerlegt und in der Abseite seiner Dachwohnung entsorgt hat. Es ist die Geschichte eines von katastrophalem Glücksverlangen gepeinigten traurigen Verlierers, der viel Mist erlebt hat, noch mehr trinkt, und immer wieder nur an alte Omas gerät. In der Absturzkneipe am Rande der Reeperbahn in Hamburg nennt man sie Säberalmas, weil sie ihren Speichelfluss nicht mehr unter Kontrolle haben, der Alkohol ihr Hirn zerfressen und die Nerven zerstört hat.

Manche sind schon tot

Im „Goldenen Handschuh“ sammeln sich die Gestrauchelten und diejenigen, die gar nie eine Chance hatten, auf eigenen Beinen zu stehen. Und wer hier erst einmal versumpft ist, bekommt diese Chance so bald nicht mehr – schon allein aus Gleichgewichtsgründen. Manche sind schon tot, wie jener Gast, der zwei Tage und Nächte bewegungslos auf seinem Hocker hing, was wegen des Schichtwechsels niemand gemerkt hat. Andere werden noch sterben. Denn hier trinkt auch ein kleiner Mann mit eingedrücktem Gesicht und großen Händen. Fiete nennen ihn die anderen Kneipen-Zombies, eigentlich heißt er Fritz.

Auch er kennt die Sehnsucht nach Höherem, er weint zu traurigen Schlagern, und weil auch der Autor Heinz Strunk wie alle Gnostiker die Musik liebt, untermalt er seine Serienmörder-Passion mit einem Schnulzen-Soundtrack, der in diese Wüstenei gleichwohl hineinscheint wie ein Bach-Choral: „Es geht eine Träne auf Reisen…“. Fietes Versuche, sich dem Elend zu entringen, scheitern allesamt: am Alkohol, an seiner Hässlichkeit, seinem zahnlosen Mund, dem nuschelnden Sächsisch, das keiner versteht. Das alles verdichtet sich zu einer gehörigen Wut.

Keine guten Aussichten für jene, die bei ihm Unterschlupf suchen. Für das, was ihnen hier blüht, reicht es, die Spuren auf dem ehemals weißen Teppich in seiner von Leichendünsten vollgeschwelten Dachbaracke zu lesen: „Mit den Jahren haben sich Sperma, umgekippte Getränke, Zigarettenasche, tröpfelnder Urin und wer weiß was noch zu einem ganz kranken Farbton verdichtet. (…) Die Wohnung wird bis in alle Ewigkeit Dreck speien.“ Und Blut.

Der Himmel der Reichen ist nur eine andere Hölle

Nein, dieser Roman ist nichts für Lesekreise, aber auch denen, die Heinz Strunk bisher als lustigen Vogel schätzten, dürfte das Lachen im Halse stecken bleiben. Mit der Lesung aus der Doktorarbeit „Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern“ tingelte er einst zusammen mit Charlotte Roche über die Lande. Als Brachial-Satiriker, der prekäre Verhältnisse musikalisch und sprachlich so lange bearbeitet, bis sie komisch werden, füllt er die Hallen. Sein Debüt „Fleisch ist mein Gemüse“ wurde von einer Untergrundauflage in Bestsellerhöhen geschleudert. Massenkompatibler Extremismus ist die Formel für Kult. Das Erbe des Kuriositätenkabinetts klingt darin nach, in dem die Gesellschaft jene als grusliges Wunder begafft, die sie ausgeschieden hat.

Doch dieses Buch ist anders. Sein negativer Furor treibt die kulinarische Komik des Randexistenzen-Voyeurismus über sich hinaus. Endorphinfreier wurden soziale Verhältnisse selten beschrieben. Und das gilt nicht nur für die verwittertsten und verlorensten Fundstücke die sich ganz unten im „Goldenen Handschuh“ sammeln, sondern auch für die Vertreter der Hamburger Aristokratie, wenn sie hier stranden, um im Komasuff den Ekel vor sich selbst, ihren hasszerfressenen Standesgenossen und dieser ganzen scheußlichen Welt kurzzeitig zu vergessen. Denn der Himmel der Reichen, Schönen und Blöden ist nur eine andere Hölle.

Strunks Stilmittel, ist das der erlebten Rede. Sein Erzähler weiß genau, wie seine Figuren ticken, weil er ihre Sprache spricht, ihre Lieder kennt, ihre Gesöffe trinkt (Fako, Fanta mit Korn im Verhältnis eins zu eins). Leiche, Anus, Soldaten-Norbert lauten die Spitznamen derer, die hier lungern, sie Jungs zu nennen, würde auf die falsche Fährte führen, es könnte sich beim „Goldenen Handschuh“ in irgendeiner Weise um kernig-drastische Kiez-Folklore handeln. Ganz entschieden eine falsche Spur.

„Es ist, als sei die Nacht explodiert und alle Luft vom Himmel verschwunden. So trudelt der Erdball durch die unendlich bedrohliche und stille Nacht.“ Ähnliche Bilder der Verlorenheit liest man bei Büchner und Schopenhauer.

Strunk ist kein Sozialarbeiter und eher ein Milieu-Praktiker als ein Milieu-Theoretiker. Er macht die große metaphysische Rechnung auf. Und um im Kneipenjargon zu bleiben: Gott steht ganz schön in der Kreide. Bei allem Hass, bei aller Aggressivität, die Strunks Figuren in verbale oder eben tatsächliche Amokläufe der Vernichtung treibt, umgibt sie eine tiefe kosmische Einsamkeit. Und diese kleine Kaschemme in St. Pauli, seit 1962 24 Stunden am Tag geöffnet, ist das schwarze Loch, in dem die letzte Hoffnung, die Welt könnte ein in sich gegründetes vernünftiges Ganzes sein, für immer versinkt.

Wenn man das Glück nicht zu fassen bekommt, muss man sich ans Unglück halten. Strunk setzt sich ihm aus. Die Reeperbahn wird bei ihm zur Via Dolorosa für die armen Schweine, zu denen der Mörder ebenso zählt wie seine Opfer. Was auf die Passion folgt, bleibt offen. Aber nur, wer sich dem Elend wirklich ausgesetzt hat, darf auf Erlösung hoffen.

Heinz Strunk: Der goldene Handschuh. Roman. Rowohlt Verlag. 256 Seiten, 19,95 Euro.