Helene Fischer ist bei ihrem Stuttgart-Konzert am Donnerstag in die Erste Liga der Entertainer aufgestiegen. Unser Autor war ebenso begeistert wie die 40 000 Fans in der Mercedes-Benz Arena.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Das war perfekte Unterhaltung: als Kritiker schreibt man gern mal eine solche Formulierung, wenn man zufrieden und mit sich und dem Abend im Reinen aus einer Premiere oder einem Konzert nach Hause geht. In Zukunft wollen wir etwas sparsamer mit diesem Urteil umgehen – jetzt, da wir erlebt haben, was „perfekte Unterhaltung“ wirklich ist.

 

Helene Fischer hat am Donnerstagabend satte zweieinhalb Stunden in der Stuttgarter Mercedes-Benz Arena nun wirklich eine perfekte Performance abgeliefert, hat Unterhaltung auf allerbestem Niveau geboten, hat in der ausverkauften Arena 40 000 Fans größtmögliches Zuschauerglück beschert. Sie hätte es sich summa summarum vermutlich nur halb so schwer machen müssen, um im ohnehin Fischer-begeisterten Publikum den beinahe gleichen Effekt zu erzielen. Aber das muss man bei dieser Künstlerin respektvoll feststellen: für halbe oder leichte Sachen ist sich Helene Fischer offensichtlich zu schade. Sie will nach einer Show mit sich und ihrem Auftritt ganz im Reinen sein. Mit Verlaub: diesbezüglich haben wir schon ganz andere Künstler erlebt.

Und dabei wäre beinahe die ganze Chose ins Wasser gefallen: noch eine halbe Stunde vor Fischers Auftritt goss es in Stuttgart in Strömen. Die Vorgruppe Glasperlenspiel versuchte vergeblich, den unter Schirmen und Plastikplanen versunkenen Zuschauern auf dem unbedachten Platz irgendwie Mut auf einen schönen Abend zu machen. Doch pünktlich um halb neun kam ein wenig Abendsonne durch – und die Popschlagerkönigin Helene Fischer konnte sich golden gewandet ein erstes Mal ihren von Anfang an jubelnden Fans zeigen.

Schlager auf hohem Popniveau

Eigentlich singt Helene Fischer immer noch das, was sie schon immer gesungen hat: Schlager. „Das ist unser Tag“, „Und morgen früh küss ich dich wach“, „Wunder dich nicht, dass ich dich liebe“, „Mein Herz läuft Marathon“ – das sind eigentlich genau die Textzeilen und Weltsichten, das ist genau jener stampfende Grundrhythmus, derentwegen man einen Radiosender wie SWR 4 lieber schnell überdreht.

Aber die Fischer macht aus diesen Titeln inzwischen viel mehr als Pitsch-Patsch-Schlagerkost. Ein mittelgroßes Orchester mit ordentlich Bläsern und Streichern, vor allem mit einem sehr ordentlichen E-Gitarristen katapultiert beinahe jede Nummer schnurstracks auf Popniveau, lässt die Leute längst nicht mehr dumpf im Takt mitklatschen, sondern mitswingen, mitgrooven, mitfetzen. So wird aus einem Herz-Schmerz-Reigen ein veritables Popkonzert in deutscher Sprache. Nie fühlt man sich irgendwie unter Niveau zugespaßt. In dieser musikalischen und stimmlichen Qualität bietet das außer der Fischer gerade weit und breit niemand.

Covers von Westernhagen, Grönemeyer, Turner

Und Helene Fischer erhebt Ansprüche. Sie covert zwischendurch Titel von Müller-Westernhagen, Grönemeyer, Maffay, Tina Turner – und macht sich diese tatsächlich zu eigen, arrangiert und interpretiert sie so überzeugend neu, dass sie wie ein echtes Stück Helene Fischer werden. Und links und rechts lässt sie sich von absolut professionellen Tänzerinnen und Tänzern einrahmen, die wir insbesondere auf der männlichen Seite so knackig und lustvoll körperbetont bisher nur bei Konzerten von Madonna sahen.

Erst nach dreißig Minuten gönnt sich Helene Fischer eine kleine Begrüßungspause. Erst nach einer Stunde verlässt sie wenigstens kurz die Bühne – Umzugspause, aus großer goldener Robe wird nun eine silberne. Fischer ist praktisch ständig auf der Bühne und im Einsatz, ihre Stimme bleibt bis zum Schluss klar und kräftig, dazu schont sie sich weder beim Tanzen noch beim Turnen. Und all das, was sie tut, das tut sie mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit. Selbst wenn sie in eine Sexy-Pose geht, wirkt das nie übertrieben, selbst dann wirkt sie noch unaufgeregt und authentisch.

Singen, Salti, Super-Show

Unaufgeregt und authentisch fliegt sie irgendwann sogar durch die Luft. Dass sich die Fischer an dünnen Stahlseilen über das Publikum hinweg ziehen lässt, gehört schon seit einiger Zeit zu den Standards ihrer Hallenshows. Hier in Stuttgart fliegt sie aber plötzlich kreuz und quer durchs Stadion, macht dazu Salti und kleine Juchzer, schaut mal kurz beim Publikum in der Untertürkheimer Kurve vorbei. Ach ja, und singen tut sie auch noch, zeitweise kopfüber: „Von hier bis unendlich“.

Sie schwebt also – aber nur um nach ihrer Landung (inzwischen ist es viertel nach zehn; andere Popstars sind zu dieser Zeit längst mit ihren Groupies in den Hotelzimmern verschwunden und vernaschen die Minibar), um also im bisher hinteren Teil des Zuschauerfeldes einfach noch eine zweite kleinere Bühne zu eröffnen. Hier bringt sie drei ruhige Titel in kleiner Besetzung und beinahe mit Studioatmosphäre.

Sie lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen, auch nicht durch Unruhe und Rufe, wie sie bei einem Stadionkonzert dieser Größenordnung unvermeidlich sind. Sie gibt natürlich als Zugabe ihre beiden bisher größten Hits: „Phänomen“ und „Atemlos“. Und spätestens jetzt verwandelt sich die Mercedes-Benz-Arena zum Schauplatz eines musikalischen Orkans; alte, junge, kleine, große Menschen singen und feiern, tanzen, springen, hüpfen, sind selig. Und das wahre Phänomen: niemand muss sich für diese Augenblicke hinterher irgendwie schämen. Alles ist gut. Hier hat schlicht und einfach eine hochtalentierte Sängerin eine großartige Show geliefert. Man darf es genießen.

Nein, „Sängerin“ ist zu wenig gesagt. Helene Fischer ist Entertainerin. Sie bietet Entertainment von einer Qualität, wie man diese eigentlich nur aus angelsächsischen Ländern kennt. Und mit ihrer Stadiontournee hat sie in diesem Frühsommer eine neue Stufe ihrer Karriere erklommen – zum Beispiel hier, in der Stuttgarter Mercedes-Benz-Arena. Wo vor wenigen Wochen die Fußballjungs vom VfB beinahe in die Zweitklassigkeit abgestiegen wären, ist Helene Fischer endgültig in die Erste Liga aufgerückt. Glückwunsch und Respekt!