Sie helfen Mitmenschen rasch in medizinischen Notsituationen, bis der Rettungsdienst da ist. Die „Helfer vor Ort“ haben sich im Strohgäu etabliert, viele der Gruppen verfügen über ein eigenes Auto mit Sonderrechten. Die Einsatzzahlen steigen rasant.

Strohgäu - Mal brauchen sie eine Minute, mal zwei oder auch mal fünf. Meistens sind sie vor dem Rettungswagen oder dem Notarzt beim Patienten: Die Helfer vor Ort. In den knallroten Jacken stecken meist Freiwillige des Roten Kreuzes. Sie helfen Menschen, die in einer medizinischen Notfallsituation stecken. Das kann ein Herzinfarkt, ein Schlaganfall, eine Atemstörung oder gar ein Herz-Kreislaufstillstand sein. Lutz Humbert aus Ditzingen hat schon alles erlebt. Der Bereitschaftsleiter des Ditzinger Roten Kreuzes ist einer der Helfer vor Ort (HvO) im Strohgäu. Er fährt zu Einsätzen von zuhause in Hirschlanden, aber auch von seinem Büro in Hemmingen aus.

 

Einsatzzahlen steigen rasant

Die Verantwortlichen sind froh, dass sich der HvO-Dienst etabliert hat. Denn die Zahlen schießen in die Höhe: In manchen Orten, wie in Korntal, Münchingen oder Hemmingen, gab es im ersten Halbjahr 2019 schon so viele Alarme wie im ganzen Jahr zuvor. Die Helfer vor Ort retten häufig in den wenigen Minuten, die sie vor den Profi-Rettern beim Patienten sind, Leben. Wie oft hat er schon erfolgreich reanimiert? Lutz Humbert lächelt. Er ist nicht nur ein Mann der Tat, sondern auch einer der Zahlen, nicht nur in seinem Beruf als Finanzberater. „Es waren bisher elf erfolgreiche Wiederbelebungen, allein drei in diesem Jahr“, sagt der 26-Jährige.

Es waren lebensrettende Einsätze, darf man getrost annehmen. Denn ein Mensch, dem das Herz oder der Kreislauf versagen, erleidet bereits nach drei Minuten bleibende Schäden, wenige Minuten später ist er tot. Und in drei oder vier Minuten ist ein Rettungswagen oder ein Notarzt nur selten und mit viel Glück beim Patienten.

Zeitvorteil durch Ortsnähe

Die Helfer vor Ort hingegen haben einen Zeitvorteil, der im System begründet ist: Sie kommen aus dem gleichen Ort, sind in kurzer Zeit da. In Ditzingen waren es im Schnitt gut zweieinhalb Minuten, hat Humbert ausgerechnet – auch Dank des Einsatzfahrzeuges, das er mit Sondersignal fahren darf. In Ditzingen haben sie ein solches Auto seit einem halben Jahr, die Gerlinger haben eines im Januar 2018 angeschafft, die Münchinger eines im Frühjahr 2019 bekommen – der Mercedes diente zuvor der Freiwilligen Feuerwehr in Gerlingen mehr als 20 Jahre lang als Kommandowagen. „Jeder Einsatz ist gerechtfertigt“, sagt Stefan Hahl, der Bereitschaftsleiter des Roten Kreuzes Münchingen. Die Helfer würden nicht zu Kleinigkeiten geholt, es gebe so viele Aktive, dass zu manchen Einsätzen zwei Helfer kämen.

Die Helfer vor Ort aus Hemmingen fahren im Notfall mit dem eigenen Fahrzeug zum Patienten. „Die Kosten eines Autos übersteigen unsere Möglichkeiten“, sagt die DRK-Bereitschaftsleiterin Elke Velm, die selbst als HvO ausrückt. Ihre Kollegen in Gerlingen oder Ditzingen haben die Einsatzwagen nicht allein aus der Spendenkasse bezahlt: Sponsoring von Firmen oder einige Tausend Euro aus der Stadtkasse senkten die Anschaffungskosten. Hemmingen hilft auf andere Weise: Die Gemeinde übernimmt die Materialkosten. 2018 waren das 3150 Euro. Auch Korntal-Münchingen hat dies vor. Ditzingen unterstützt die HvO in Heimerdingen im Rahmen der Vereinsförderung.

Hemmingen als gutes Beispiel

Hemmingen ist ein gutes Beispiel dafür, wie nützlich die HvO sind: Die Rettungswagen sind dorthin meist zehn Minuten oder länger unterwegs – sehr lange für viele Patienten in akuter Not. In diesem Jahr wurden die HvO bereits 159-mal alarmiert, 2018 waren es 103 Einsätze.

Die Verantwortlichen des Roten Kreuzes betonen: „Der Dienst des Helfers vor Ort ist freiwillig, er ist keine gesetzliche Pflicht, sondern eine Ergänzung des Rettungsdienstes“, sagt Steffen Schassberger vom Kreisverband Ludwigsburg des DRK. Die hauptamtlichen Retter würden die HvO-Kollegen schätzen. Durch sie könne man Menschen schneller helfen.

Warum aber sind in einer Stadt wie Gerlingen nur fünf Helfer vor Ort tätig? Der Rot-Kreuz-Vorsitzende Thilo Lang sagt dazu: „Bei vielen Einsätzen sieht man Schlimmes, auch Tote. Da will ich nicht jeden hinschicken. Die Helfer für diesen Dienst sollen mitten im Leben stehen.“ Denn bereits die Einsatzfahrt mit Blaulicht erfordert Erfahrung, Umsicht und ruhig Blut. Trotz aller Hektik.