Elf Mitglieder der Hells Angels stehen wegen Mordes vor Gericht. Sie sollen aus Rache getötet haben. Die Familie des Opfers erhebt den Vorwurf, ein Informant habe die Polizei gewarnt, doch nichts sei geschehen.

Berlin - Um die Ehre der Hells Angels wiederherzustellen, soll der Boss der Rockerbande selbst den Auftrag zum Mord gegeben haben. Kadir P., Präsident der Berliner Hells Angels, sitzt an diesem Tag hinter Panzerglas, ganz hinten rechts im Saal 500 des Landgerichts Berlin auf der Anklagebank. Schwarzes Hemd, schwarz umrandete Brille, Glatze. Der 30-Jährige muss sich mit zehn anderen Männern wegen gemeinschaftlichen Mordes an dem 26-jährigen Tahir Ö. vor Gericht verantworten.

 

Am 10. Januar dieses Jahres sitzt Tahir Ö. in einem Wettbüro in Berlin-Reinickendorf. Er spielt Karten. Gegen 23 Uhr stürmen 13 Männer in das Lokal. Eine Überwachungskamera hat sie dabei gefilmt. Einer der Männer zieht eine Pistole und schießt achtmal auf Tahir Ö., sechsmal trifft er ihn. Ö. stirbt noch am Tatort. Recep O., der mutmaßliche Todesschütze, flieht durch die Hintertür. Die anderen Zwölf gehen, wie sie gekommen sind, durch die Vordertür auf die Straße.

Auslöser war ein Streit vor der Diskothek

Die Berliner Staatsanwaltschaft geht von einem Auftragsmord aus. Sie ist überzeugt, dass Tahir Ö. erschossen wurde, weil er im Oktober 2013 eine Auseinandersetzung mit Türstehern und Mitgliedern der Hells Angels am Eingang einer Diskothek am Berliner Alexanderplatz hatte. Ö. verletzte dabei einen der Rocker mit einem Messer schwer an der Hand. Der Mann gilt als ein Vertrauter von Hells-Angels-Boss Kadir P. Dieser soll daraufhin Tahir Ö.s Tod bestimmt haben.

In einem Brief an die Staatsanwaltschaft soll der heute 25-jährige Recep O. die Schüsse gestanden haben. Das ist ein ziemlich ungewöhnlicher Vorgang, arbeiten Mitglieder der Hells Angels doch für gewöhnlich nicht mit den Ermittlungsbehörden zusammen. O. soll darin mitgeteilt haben, dass er keineswegs im Auftrag, sondern aus Panik gehandelt habe. Er habe gedacht, dass Tahir Ö. zu seiner Waffe gegriffen hätte. Da habe er, Recep O., abgedrückt. Die Staatsanwaltschaft folgt seiner Darstellung nicht, auch wenn Ö. tatsächlich eine Pistole dabei gehabt haben soll.

Der Kronzeuge fürchtet um sein Leben

Im Gerichtssaal sitzt direkt gegenüber von Kadir P., getrennt von allen anderen, Kassra Z., genannt der „Perser“. Als Hells-Angels-Mitglied soll der 27-Jährige dabei gewesen sein, als Tahir Ö. erschossen wurde. Nun ist er Kronzeuge im Prozess. Seit Monaten packt das ehemalige Mitglied der Hells Angel über seine früheren Rockerbrüder aus. Unter den Hells Angels gilt der Zeuge als Verräter und muss nach Ansicht der Staatsanwaltschaft um sein Leben fürchten.

Kassra Z. droht wie allen anderen Angeklagten eine lebenslängliche Freiheitsstrafe. Doch durch seine Aussage kann er auf eine mildere Strafe hoffen. Während der Verhandlung darf er eine Sonnenbrille tragen, damit er für die Prozessbesucher nicht zu erkennen ist. Auch der Kronzeuge soll der Polizei gesagt haben, dass er von einem Mordauftrag durch Kadir P. nichts wisse. Das Berliner Landeskriminalamt allerdings hatte offenbar schon früh Kenntnis davon, dass sich Tahir Ö. in Lebensgefahr befindet.

„Tahir Ö. hätte gerettet werden können.“

Ein Informant soll der Polizei schon kurz nach dem Vorfall am Alexanderplatz von einem Mordauftrag des Hells-Angels-Präsidenten berichtet haben. Unternommen hätten die Ermittler aber nichts, sagte Anwalt Mehmet Daimagüler am Rande des Prozesses. Er vertritt die Familie des Opfers, die als Nebenklägerin am Prozess teilnimmt. Er sagt: „Tahir Ö. hätte gerettet werden können.“ Die Mutter von Tahir Ö. macht den Ermittlern schwere Vorwürfe. Sie glaubt, dass ihr Sohn geopfert wurde, um hinterher führende Hells Angels bei einem Schuldspruch lebenslänglich hinter Gitter zu bringen.

Die Justiz ist in Alarmbereitschaft

Es ist ein Prozess, der Monate dauern wird, vielleicht Jahre. Die Atmosphäre ist angespannt, die Sicherheitsbestimmungen sind sehr streng. Das Gericht und die Staatsanwaltschaft sind in Alarmbereitschaft. Alle Angeklagten sind aktuelle oder frühere Mitglieder der Hells Angels oder stehen ihnen zumindest sehr nahe. Die meisten Zuhörer im Saal sind Bruder, Onkel, Ehefrau, Cousin, Mutter oder Tante eines der Angeklagten. Es sei daher von einer „generellen Gewaltbereitschaft“ unter den Prozessbesuchern auszugehen, erklärt die Staatsanwaltschaft.

Das Gericht hat die Zahl der Zuhörer deshalb zur Sicherheit auf 30 Personen begrenzt. Eigentlich passen in den größten Saal des Berliner Kriminalgerichts doppelt so viele Besucher. Die Verteidiger hatten darin einen Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz gesehen. Die juristischen Scharmützel zu dieser Frage gehen über Stunden. Zur Verlesung der Anklage kommt es auch an diesem zweiten Verhandlungstag nicht.