Der Altkanzler als Dramenfigur: Das Nationaltheater Mannheim präsentiert das neue Stück des Dramatikers Lukas Bärfuss. Helmut-Kohl-Verehrer dürften wenig Freude an der bemerkenswerten Inszenierung haben.

Bauen/Wohnen/Architektur : Nicole Golombek (golo)

Mannheim - Als hätte die Wirklichkeit den Intendantenstart von Christian Holtzhauer am Nationaltheater Mannheim inszenatorisch begleitet, wurde am Samstag in Speyer ein Teil der Rheinpromenade in Helmut-Kohl-Ufer umbenannt. Man hört dies im Autoradio auf der Fahrt nach Mannheim, wo am Abend „Der Elefantengeist“ zur Uraufführung kommen soll, ein Stück über den ehemaligen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten und langjährigen Bundeskanzler Helmut Kohl, der am 16. Juni 2017 in Ludwigshafen am Rhein gestorben ist.

 

Holtzhauer sorgte als Dramaturg während der Intendanz von Hasko Weber in Stuttgart mit außergewöhnlichen Projekten für Aufsehen. Jetzt hat er in Mannheim kurzfristig den Job des jetzt in Stuttgart amtierenden Schauspieldirektors Burkhard C. Kosminskiübernommen und in kurzer Zeit einen ambitionierten Auftakt vorbereitet: Schillers „Räuber“, 1782 erstmals in Mannheim gezeigt, „Mitwisser“, eine deutsche Erstaufführung eines Werkes der angesagten Nachwuchsdramatikerin Enis Maci – und nun „Der Elefantengeist“. Das Stück stammt aus der Feder von Lukas Bärfuss, einem sich gern in seinem Geburtsland, der Schweiz, politisch äußernden Dramatiker. Um es gleich zu sagen, Kohlverehrer dürften wenig Freude am „Elefantengeist“ haben.

Der Name Kohl fällt nicht

Vielleicht hat sich Bärfuss für seinen Text von einer Kohl-Nachfolgerin inspirieren lassen: „Es gibt keine Zukunft ohne Gegenwart, keine Gegenwart ohne Vergangenheit“, so wird die CDU-Politikerin Julia Klöckner in Zeitungsartikeln zitiert, als dieses Jahr der Helmut Kohl Platz in Mainz direkt vor dem Römisch-Germanischen Zentralmuseum eingeweiht wurde. Der vielfach preisgekrönte 1971 geborene Dramatiker erzählt nicht einfach Kohls Leben nach. Kohl wollte in die Geschichte eingehen, als Europa- und Einheitspolitiker. Diesen Gefallen immerhin tut ihm Bärfuss. Der Name Kohl fällt nicht, doch der Kanzler ist noch ein Begriff, auch in der Zukunft.

Der Dramatiker verlegt das Stück in eine Zeit, in der nur noch „Freundschaft und Wohlwollen“ herrschen. Er schickt eine Expeditionsgruppe an mythische Orte der Vergangenheit, ins kalte Herz der Finsternis, dessen rechte Herzkammer vielleicht auch Helmut Kohl war. Die Menschen von morgen besuchen das Deutschland von gestern und finden in den Ruinen der längst verlassenen Bundesrepublik den Kanzlerbungalow. Staub an den Glasfenstern des Hauses, daneben ein Dreckhügel, wo früher Rosen blühten, das ist das hervorragend bespielbare Bühnenbild von Sabine Kohlstedt. Spinnweben hängen am Haus, wie Geschichtsfäden, die einen einspinnen, die einem die Sicht nehmen und eine „falsche Transparenz“ herstellen. Man hört von deutschen Großverbrechen im 20. Jahrhundert und von einer Verschwörung der Industrie, darunter ehemalige Nazis, die sich Willfährigkeit von diesem Mann erhofften und 1982 zum Kanzler machten. Doch mehr als Schattenrisse sind nicht erkennbar.

Die Gattin liegt wie tot da – der Kanzler merkt es nicht

Ein Ort, von allen guten Geistern verlassen, nur die bösen sind geblieben – nach und nach überwältigen sie die neuen Menschen, die in uralte, scheinbar längst überwundene Alphatier-Mechanismen verfallen. Darin besteht die vorhersehbare Dramaturgie des Stückes. Regisseurin Sandra Strunz lässt das Ensemble manche Leerläufe, die dadurch entstehen, durch körperliche Verrenkungen und Krawall lautstark überdecken.

Es ist eher ein Stück über die Unmöglichkeit, in einer Gruppe ohne Machtgerangel miteinander auszukommen, als ein reines Geschichtsdrama. Ein bisschen kommt sich der Zuschauer vor, als habe die Expeditionsgruppe ein Fernglas falsch herum benützt, alles wirkt weit entfernt. Eine interessante Akzentverschiebung ist Bärfuss aber gelungen, er und Strunz gönnen einer Figur, die wie die Kanzlergattin Hannelore Kohl frisiert ist, in der Kunst einen großen Auftritt. Immer stärker werden im Verlauf des zweistündigen Abends die Parallelen zwischen Expeditionsleiter und seiner Frau zum Kanzler und dessen Gattin.

Johanna Eiworth spielt die Frau des Expeditionsleiters Dr. Matthias (Matthias Breitenbach) und wühlt sich nach der Pause wortwörtlich aus dem Dreck der Geschichte. Als Diva im rosa Kostüm gibt sie Interviews und mag gar nicht mehr von der Bühne gehen. So geschichtsstundenhaft Passagen über Ehrenworte und schwarze Kassen wirken, so anrührend sind Momente, in denen die Frau längst wie tot da liegt und der im Rollstuhl kauernde Expeditionsleiter/Kanzler das nicht einmal merkt und kleinlich, beleidigt über fehlende Anerkennung und Missverständnisse vor sich hingreint. Ein starker Schluss eines bemerkenswerten Mannheimer Theaterstarts.