Wie geht es den Menschen der massiv betroffenen italienischen Provinz Bergamo. Der Hemminger Bürgermeister Thomas Schäfer steht in Verbindung zu den Menschen dort. Deren Berichte über Leben und Tod haben das Handeln des Rathauschefs geprägt – der selbst in Quarantäne gewesen ist.

Hemmingen -

 

In Gedanken ist Thomas Schäfer bei den Freunden, Bekannten und Kollegen in Italien. Seit 2002 besteht die Verbindung auf Landkreisebene zur Provinz Bergamo, seit einem Jahr zwischen Hemmingen und Almenno San Bartolomeo. Ein Gespräch über ein Leben im Ausnahmezustand, das machtlos macht.

Herr Schäfer, Sie dürfen nach fünf Tagen wieder zurück ins Schloss. Sie waren in Quarantäne. Warum so kurz?

Eine Person, mit der ich 15. März Kontakt hatte, wurde am 24. März positiv getestet.

Die Inkubationszeit, so heißt es, beträgt bis zu 14 Tage. Sie waren also einige Zeit unterwegs, ohne auch nur etwas von einer möglichen Ansteckung zu ahnen. Was dachten Sie, als Sie erfuhren, Kontakt mit einer infizierten Person gehabt zu haben?

Es heißt ja, dass der Virus übertragen wird, wenn man 15 Minuten Kontakt von Angesicht zu Angesicht hat. Das war sicher nicht der Fall. Wir waren im gleichen Raum bei einer Besprechung des Krisenstabs in Schwieberdingen. Deshalb hatte ich keine große Sorge, dass ich mich angesteckt haben könnte.

Ihr Amtskollege Nico Lauxmann hatte ebenfalls an der Sitzung teilgenommen, in der es darum ging, die Glemstalschule schon von jenem Montag an zu schließen. Er war wie Sie in Quarantäne. War Homeoffice ein Problem?

Ich konnte von zuhause auf den Server zugreifen. Es war kein so großer Unterschied, weil wir schon zuvor im Rathaus personell ausgedünnt hatten, um bei Ausfällen noch handlungsfähig zu sein. Zur Zeit halten wir unsere Dienstbesprechung über eine Videokonferenz ab, sodass wir auch im Rathaus so wenige Kontakte wie möglich haben, um den Laden am Laufen halten zu können, selbst wenn jemand erkranken sollte. Technisch waren wir dafür im Rathaus ausgerüstet.

Hemmingen hat Beziehungen nach Italien, in die massiv betroffene Region Bergamo – was erfahren Sie dieser Tage von dort?

Ich habe mit drei Personen Kontakt. Mit Alberto Barzanò zum Beispiel, dem Varnbüler-Verwandten, der damals den Kontakt hergestellt hatte. Er schickt mir immer wieder Updates. Dass sie versucht haben, Schutzmasken zu organisieren, er ist ja relativ stark im Rotary Club engagiert. Die Schutzmasken waren für Caravaggio bestimmt, eine Stadt südlich von Almenno. Dessen Bürgermeister Claudio Bolandrini habe ich auch kennengelernt. Er hat mir von drei bis vier Toten am Tag geschrieben, dass er nicht mehr weiß, wie er damit umgehen soll, dass die Särge zum Teil übereinander standen. Auch mit Gianbattista Brioschi, der bis vergangenes Jahr Bürgermeister von Almenno San Bartolomeo war und noch Gemeinderat ist, hatte ich Kontakt. Er ist für die Zusammenarbeit der Kommunen mit der Klinik Papa Giovanni XXIII zuständig. Er hat sich von der Familie abgesondert, in Sorge, dass er, weil er Kontakt mit dem Krankenhaus hat, seine 94-jährige Mutter anstecken könnte. Stand Mitte letzter Woche waren acht oder neun Personen in dem relativ kleinen Ort verstorben.

Almenno San Bartolomeo ist eine Kommune mit rund 6300 Einwohnern.

Heute Morgen habe ich auf Facebook von einem gelesen, den ich flüchtig kenne, von dem es heißt, sein Vater sei an Covid 19 gestorben. Das ist schon drastisch.

Was prägt den Ort derzeit – Trauer, Verzweiflung, Wut, Lethargie?

Ich glaube, es ist eine Mischung von allem. Man las immer wieder die Aufrufe, zuhause zu bleiben. Weil sich dort immer noch die Menschen trafen. Gleichzeitig gibt es die Hoffnung, dass das Ganze ein Ende nehmen möge, wie ein schlechter Traum. Und es wird versucht, Korpsgeist zu entwickeln – ‚andrà tutto bene – alles wird gut werden’. Aber natürlich ist auch ein großes Maß an Verzweiflung dabei, wenn sie merken, dass die Beatmungsplätze ausgehen und sie keine Schutzausrüstung bekommen. Jetzt haben sie Sauerstoffflaschen aus dem häuslichen Umfeld zurückgerufen, um sie wieder zu füllen.

Lesen Sie hier mehr über die Situation in Italien.

Prägen diese Berichte auch Ihr Handeln?

Es gab einen Brief von Barzanò an den Landkreistag mit der Bitte, den Landräten dringend zu empfehlen, die Kontakte zu minimieren. Sie sensibilisierten uns, den zeitlichen Vorsprung, den wir hatten, zu nutzen, um darauf zu reagieren und aus der Situation in Italien zu lernen. Ich hatte hier in Hemmingen gleich am Montag die Spielplätze gesperrt, obwohl die Anordnung vom Land später kam. Weil ich es von den Italienern gelesen hatte, die die Spielplätze gesperrt hatten.

Kann Hemmingen, kann der Landkreis irgendwie helfen?

Das ist schwierig im Moment. An Ausrüstung kommen wir auch nicht. Es ist nur die Solidarität möglich, ein gutes Zureden, das nicht so viel bringt, aber wenigstens zeigen soll, dass wir sie nicht vergessen. Ich versuche ihnen zu vermitteln, dass wir an sie denken.