Die Ratingagentur Standard & Poor’s hat Frankreich aus Versehen herabgestuft. Wie es zu diesem Fehler kommen konnte ist noch ungeklärt.

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)

Paris - Genug ist genug: mit diesem Gefühl reagierte Frankreich gestern auf die Falschmeldung, dass seine Volkswirtschaft ihr "Triple A" verloren habe. Die Pariser Finanzaufsicht AMF eröffnete eine offizielle Untersuchung über die Gründe, welche Standard & Poor's zur irrtümlichen Publikation verleitet hatten. Die Herabstufung erfolgte zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt:

 

In Paris waren am Donnerstagnachmittag bereits die Zinsen am Steigen, was eine Ansteckung Frankreichs durch die Griechenland- und Italienkrise andeutete. Nervosität herrschte auch deshalb, weil Frankreich von der Agentur Moody's vor einem Monat bereits "unter Aufsicht" gestellt worden ist und binnen drei Monaten effektiv deren Dreier-A verlieren könnte.

Standard & Poor's hatte am Donnerstag um 15.57 Uhr per E-Mail-Verteiler angekündigt, Frankreich verliere das AAA. Erst zwei Stunden später, um 17.40 Uhr, korrigierte die amerikanische Ratingagentur den Fehler: Frankreich behalte seine Bestnote, und zwar "mit einer stabilen Perspektive". Die Pariser Finanzaufsicht AMF, die auch die europäische Finanzmarktbehörde ESMA eingeschaltet hat, folgt dem Gesuch des französischen Finanzministers FranÛois Baroin. Er ärgert sich über ein "ziemlich schockierendes Gerücht ohne jede Grundlage".

Fahrlässiger Irrtum oder böse Absicht?

Auch der französische EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier spricht von einem "gravierenden Vorfall". Er will am Dienstag seine seit Längerem geplanten Maßnahmen zur besseren Ratingkontrolle vorstellen. Dazu zählen unter anderem ein Veröffentlichungsverbot bei akuten Krisen sowie die Haftung von Ratingagenturen für Fehlangaben.

Offen bleibt, wie es überhaupt zu einer so flagranten Falschmeldung kommen konnte. Die Erklärung von S&P, die Falschmeldung sei wegen eines "technischen Versehens" online geschaltet worden, erklärt noch nicht, wer die Meldung erstellte. Marktbeobachter sind umso erstaunter, als S&P nach der Rückstufungsdrohung von Moody's Mitte Oktober erklärt hatte, man gedenke, die eigene Frankreich-Note nicht zurückzustufen. So hatte sich auch die dritte US-Agentur Fitch geäußert.

Die Franzosen rätseln deshalb, ob es fahrlässiger Irrtum oder böse Absicht war. Der Europablogger Jean Quatremer nimmt eine mittlere Variante an, spricht er doch von einem "acte manqué", was etwa einem Freud'schen Versprecher entspricht. Den britischen und amerikanischen Finanzmärkten, die in der Vergangenheit gerne gegen den französischen Franc spekuliert hatten, wäre es laut Quatremer ein Vergnügen, wenn die einstige Grande Nation in den Schuldenstrudel geriete. Im Sommer hatten britische Medien wie "Mail on Sunday" schon den Konkurs der Pariser Großbank Société Générale vermeldet. Gestern zirkulierte an der Londoner City bereits der Scherz, dass der Frankreich-Irrtum von S&P nicht in der ominösen Ankündigung liege, sondern im Rückzug der Ankündigung.

Öl im Feuer französischer Finanzpolitik

So bezeichnend der Irrtum der Ratingagentur ist, so beschränkt waren allerdings die kurzfristigen Folgen. Aufgeschreckte Pariser Medien hatten zuerst berichtet, der Zinsunterschied für Zehnjahresanleihen in Deutschland und Frankreich sei am Donnerstag wegen des S&P-Fehlers in die Höhe geschnellt. Das stimmt nur zu einem kleinen Teil: Um 15.57, als die Falschmeldung erfolgte, war dieser "spread" bereits auf einem hohen Niveau angelangt.

Möglich, dass er danach wegen des Irrtums zusätzlich kletterte. Jean-Louis Mourier von der Pariser Börsengesellschaft Aurel BGC meint allerdings, dass der Zinsanstieg schon im September begonnen habe und "den Beginn der Ansteckung" Frankreichs durch die südeuropäische Schuldenkrise widerspiegle. Sein Kollege Marc Touati von Global Assya meint ebenfalls, der wachsende Zinsabstand französischer Anleihen zu deutschen Staatsanleihen (siehe Grafik) offenbare die schlechte Finanzpolitik Frankreichs: In den letzten zehn Jahren hätten Pariser Regierungen ein durchschnittliches Budgetdefizit von 4,1 Prozent erwirtschaftet, während Berlin im gleichen Zeitraum auf einen Fehlbetrag von 2,5 Prozent komme.

EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn verlangte "zusätzliche Anstrengungen" von der französischen Regierung, die bereits zwei Sparpläne über elf und sieben Milliarden Euro vorgelegt hat. Sie beruhen aber laut Brüssel auf zu optimistischen Wachstumsprognosen. Dies erklärt die Erhöhung der französischen Zinsen. S&P hat ausgerechnet in diesem Moment noch Öl ins Feuer gegossen.

Die Logik der Ratingagenturen

Branche Ratingagenturen bewerten die Kreditwürdigkeit von Unternehmen, Banken und Staaten. Dabei fließen veröffentlichte Zahlen ebenso ein wie Brancheneinschätzungen. Die einflussreichsten Agenturen sind Standard & Poor's (S&P), Moody's und Fitch.

Bedeutung Je schlechter die Ratingagenturen die Bonität eines Marktteilnehmers beurteilen, umso teurer und schwieriger wird es für diesen, sich Geld zu besorgen. Die Refinanzierungskosten steigen, schlimmstenfalls ziehen Geldgeber ihr Kapital ab. Am Rating orientieren sich nicht nur Banken, sondern zum Beispiel auch institutionelle Investoren.

Notensysteme Für ihre Einstufungen verwenden die Agenturen Buchstabencodes. Die Skala beginnt beispielsweise bei Standard & Poor's und Fitch mit der Bestnote AAA (Englisch: "Triple A"). Es folgen AA, A, BBB, BB, B, CCC, CC, C. Die meisten Stufen können mit Plus- und Minuszeichen noch feiner unterteilt werden. Ab BB+ beginnt der spekulative Bereich, der auch "Ramsch" genannt wird. Die Skala reicht bis D - das bedeutet, ein Ausfall des Schuldners ist eingetreten.

Kritik Kritiker bemängeln, es bleibe oft unklar, welcher Anteil der Bonitätseinstufungen (Ratings) Mathematik und was Meinung ist. In der Finanzkrise wurden Ratingagenturen immer wieder an den Pranger gestellt - auch weil schon vorgekommen ist, dass sie Ramschpapiere als sichere Geldanlage anpriesen.