VW-Markenchef Herbert Diess muss auch als Konzernlenker die Ertragskraft der Marke VW weiter verbessern. Doch das ist nicht das einzige Problem.

Stuttgart - Es war ein Bild der Harmonie. Kurz nach seinem Antritt als Markenchef von VW radelte Herbert Diess gemeinsam mit dem Betriebsratschef Bernd Osterloh im Sommer 2015 durch das Wolfsburger Riesenwerk. Hinterher erzählte der als Sanierer eingestellte frühere BMW-Manager, ihn habe nicht nur die Größe des Stammwerks beeindruckt, sondern auch die Motivation und das Engagement der Belegschaft. Betriebsratschef Osterloh lobte nach der gemeinsamen Radtour den neuen Markenchef. „Es spricht für Herrn Dr. Diess, dass er sich die Zeit nimmt, um direkt vor Ort mit den Kolleginnen und Kollegen zu sprechen.“

 

Die Harmonie hielt jedoch nicht lange. Als Diess ans Eingemachte ging und ein „Effizienzprogramm“ anschob, mit dem die Kosten der Kernmarke VW gesenkt werden sollten, schoss der mächtige Betriebsratschef quer und wollte – wie schon in der Vergangenheit immer wieder – die Besitzstände der Werktätigen verteidigen. Nur mit viel Überredungskunst konnte Konzernchef Matthias Müller eine Eskalation des Konflikts verhindern. Wer Osterloh später auf sein Verhältnis zu Diess ansprach, konnte jedoch unschwer erkennen, dass die beiden gewiss nicht mehr beste Freunde werden und der Konflikt jederzeit wieder aufflammen kann.

Als Diess im vorigen Monat auf das vergangene Jahr zurückblickte, zeigte sich der VW-Markenchef zufrieden mit dem bisher Erreichten. „Wir haben die Trendwende geschafft und sind in allen Bereichen deutlich wettbewerbsfähiger geworden“, resümierte Diess. Klammert man die Belastungen durch den Abgasskandal aus, so stieg der operative Gewinn (Ebit) um 77 Prozent auf 3,3 Milliarden Euro. Die Umsatzrendite kletterte stärker als erwartet auf 4,1 Prozent. Mit dieser deutlichen Verbesserung hat sich der ehemalige BMW-Manager als Kandidat für die Nachfolge von VW-Konzernchef Müller empfohlen. Der Aufsichtsrat soll den Führungswechsel am Freitag beschließen. Wie stark die Position des Betriebsratschefs ist, zeigt sich daran, dass Osterlohs enger Vertrauter Gunnar Kilian voraussichtlich Karlheinz Blessing als Personalvorstand des Konzerns ablösen wird.

VW hatte bei Geländewagen Nachholbedarf

Obwohl VW im vergangenen Jahr eine deutliche Ertragsverbesserung verzeichnete, zählt die Kernmarke zu den großen Baustellen, um die sich Diess auch nach dem Wechsel an die Konzernspitze weiter kümmern muss. Denn obwohl VW den höchsten Absatz der zwölf Konzernmarken verzeichnet, ist die Marke bei weitem nicht der größte Gewinnbringer. An der Spitze liegt hier Audi, gefolgt von Porsche. Zur weiteren Stärkung des Gewinns der Kernmarke soll das Sparprogramm „Zukunftspakt“ beitragen, das ab 2020 eine Ertragsverbesserung von 3,7 Milliarden Euro bringen soll, davon drei Milliarden Euro allein in Deutschland. Teil dieses Sparpakets ist ein Stellenabbau ohne Kündigungen, zum Beispiel über Altersteilzeit.

Zusätzlichen Umsatz und Gewinn sollen eine ganze Reihe von neuen Geländewagenmodelle bringen. Der Wolfsburger Konzern hat hier im Vergleich mit den Wettbewerbern Nachholbedarf. Dies gilt auch für die Zukunftsfelder Elektromobilität und neue Mobilitätsdienstleistungen.

VW drohen Strafzahlungen der EU

Bis Ende 2022 sollen im Konzern weltweit an 16 Standorten batterieelektrische Fahrzeuge produziert werden. Von diesem Jahr an soll eine ganze Welle neuer E-Autos anlaufen. In diesem Sommer startet die Produktion des Audi e-tron, des ersten vollelektrischen Serienmodells der Marke, im nächsten Jahr folgt der Porsche Mission E und das erste Mitglied der neuen ID-Elektroautofamilie der Marke VW.

Der Wolfsburger Konzern steht unter hohem Druck mit Elektroautos den CO2-Ausstoß zu senken, um die ab 2021 geltenden schärferen europäischen Verbrauchsvorschriften zu erreichen. Nach einer Studie des Beratungsunternehmen PA Consulting drohen dem Unternehmen Strafzahlungen in Milliardenhöhe wegen einer Überschreitung der Grenzwerte. „Strafen kommen für uns nicht in Frage“, bekräftigte VW-Chef Müller vor wenigen Wochen bei der Vorlage der Bilanz.

Auch die Nachwirkungen des Dieselskandals zählen zu den großen Baustellen, um die sich Diess als Konzernchef kümmern muss. Die Auflistung der vom Abgasskandal ausgelösten rechtlichen Auseinandersetzungen füllt im Geschäftsbericht mehrere eng bedruckte Seiten. Unter anderem klagen viele VW-Kunden gegen den Hersteller oder Autohändler. Außerdem sind Anleger vor Gericht gezogen, die viel Geld mit VW-Aktien verloren haben. Sie werfen dem Unternehmen vor, im September 2015 zu spät über die Manipulation der Abgasreinigung informiert zu haben.