Bedeutet der Rückzug ins Private, dass wir im Corona-Herbst nur noch auf Teddy-Plüschjacken und bequeme Loungewear setzen? Welche Trends in den kommenden Monaten angesagt sind und warum eine Anti-Virus-Jeans auch keine modische Reaktion sein kann.

Stuttgart - Ja, die Jogginghose ist gekommen, um zu bleiben. Während sich die großen Modehäuser für die Frühlings- und Sommerkollektionen des Jahres 2020 noch in überbordendem „70s-meets-’90s“-Maximalismus probierten, fielen die Dresscodes und Hypes schon wenige Monate später einem Virus zum Opfer. Wird die gegenwärtige komfortbetonte Mode die Zukunft sein – und haben das vielleicht nur ältere Generationen noch nicht verstanden? Für jüngere Menschen gehörten Athleisure, Jogginghosen und Oversized-Basics genauso wie digitale Kommunikation in sozialen wie beruflichen Kontexten schon vor dem Lockdown zur Selbstverständlichkeit.

 

Corona beschleunigt den Wandel

Doch nicht nur das Verständnis von Mode hat sich während der Pandemie verändert: Kaum eine andere Branche hadert so mit ihrem Selbstbild und der Frage, welchen Stellenwert die Kunst des Dekorativen und der Show an sich während einer Krise einzunehmen vermag. Die Branche sitzt auf Kleiderbergen, der Wandel wird durch Corona beschleunigt. Bereits im Frühjahr verkündeten die ersten Modehäuser, wie sie sich ihre Zukunft ausmalen könnten: Alessandro Michele, Kreativdirektor von Gucci, verlautbarte auf einer virtuellen Pressekonferenz, dass das italienische Luxusmodehaus nun nur noch zwei statt wie bisher fünf Kollektionen pro Jahr zeigen wolle. „Wir können nicht einfach auf die gleiche atemlose Weise dort weitermachen, wo wir aufgehört haben“, so Michele, dessen digitale Kundschaft sich auf Social Media – mit über 40 Millionen Followern allein auf Instagram – schon längst zur virtuellen Parade verabredet hat. Braucht es dann überhaupt noch Runway-Shows, extravagante Resort-Kollektionen und Live-Publikum?

Anti-Virus-Mode im Hygge-Heim

Ein Blick auf die letzten regulären Schauen im Herbst zeigt, was nun eigentlich Trend sein sollte – und offenbart ein Zerrbild der Hypes, die es bis jetzt noch nicht mit Jogginghosen und Artverwandtem aufnehmen konnten: Veganes Leder, viel Karo, noch mehr Hahnentritt, verspielte Fransen, ballonartige Silhouetten, Plateauschuhe und 70er-Jahre-Kitsch wollen im Herbst den Ton angeben. Aber dieses Jahr wird trotzdem alles anders, da es danach aussieht, dass wir viel Zeit im Hygge-Heim verbringen werden. Dass Mode nun nicht mehr ausschließlich dekorativ sein soll, sondern gleich mehr leisten muss, zeigt Diesel. Die italienische Marke hat den Zeitgeist erkannt und zusammen mit dem schwedischen Unternehmen Polygiene eine antivirale Behandlung für Jeansstoffe entwickelt. Die Technologie soll die Virusaktivität innerhalb von zwei Stunden nach dem Kontakt zwischen Substanz und Krankheitserregern eliminieren. Das ist natürlich gut für alle, die sich Diesel-Jeans leisten können und wollen. Alle anderen werden auch mit einer Waschmaschine zurecht kommen.

„Be Positive?“

Auch die individuelle Umwandlung der maskierten Uninformiertheit entwickelt sich zu einer Strategie, modisch durch die Krise zu kommen: Masken im Design des Lieblingsvereins, sinnentleerte Durchhalteparolen á la „Be Positive“, schreiende Blumenmuster und sogar integrierte Ketten sind längst im Mund-Nasen-Schutz-Kosmos angekommen. Steht man gerade nicht mit Sicherheitsabstand vor einer Kasse, drängt sich die Frage auf, wie man die neue Anti-Mode auch im Homeoffice anwenden kann. Auch hierfür hat die Branche eine Antwort: Dramatische Kragen, aufgepolsterte Schulterpartien und wallende Ärmel betonen den Teil des Körpers, der im Teams-Meeting gerade noch so von den anderen Teilnehmern wahrgenommen werden kann. Denn was spricht dagegen, sich jetzt schon für bessere Zeiten einzukleiden und die bequeme Loungwear zumindest im sichtbaren Bereich gegen ein wenig Glamour einzutauschen? Es muss ja nicht gleich ein glitzerndes Abendkleid sein.