Unglück

In dem spannenden US-Katastrophenfilm „Höllenfahrt der Poseidon“ aus dem Jahr 1972 wird der Passagierdampfer Poseidon bei seiner letzten planmäßigen Reise von New York nach Athen von einer Monsterwelle auf dem Mittelmeer umgeworfen. Er treibt kieloben im Wasser, während er allmählich sinkt.

Panik

Zwar werden in Wirklichkeit Tsunamis mitten auf dem Meer selten mehr als einen Meter hoch, aber darum geht es hier nicht. Viel interessanter ist die Panik unter den verängstigten Passagieren.

Bei Gefahr hat man in der Regel weder Zeit, vernünftig nachzudenken, noch ist man emotional dazu imstande, und eine zweite Chance zum Handeln ergibt sich in brenzligen Notlagen eher selten. „Hinzu kommt, dass uns emotionale Erregung und Unsicherheit empfänglich machen für Suggestion durch andere“, sagt der Grazer Wirtschaftspsychologe Thomas Brudermann, Autor eines Buches über Massenpsychologie. „Wenn wir uns in einer Situation wiederfinden, für die wir keine Erfahrungswerte haben, dann orientieren wir uns an dem, was andere tun.“ Aus evolutionärer Sicht ergebe das „absolut Sinn“, und dies aus zweierlei Gründen.

Zunächst einmal spart es Energie, wenn wir nicht lange nachdenken, sondern wir uns schnell entscheiden. Kein anderes Organ in einem ruhenden Körper konsumiert so viel Energie wie unser Gehirn. Auf das Oberstübchen entfällt knapp ein Viertel unseres gesamten Energieverbrauchs, etwa so viel wie auf die Muskulatur. Noch eindrücklicher fällt die Energiebilanz aus, wenn man den Zucker- und Stärke-Anteil des Energieverbrauchs berücksichtigt: Obwohl das Gehirn gerade einmal rund zwei Prozent des Körpergewichts ausmacht, verbraucht es gut die Hälfte der Glukose, die wir täglich futtern – bei großem Stress sogar fast 90 Prozent. Wenn wir dem Affen in uns Zucker geben, dann also vor allem für den Großrechner im Schädel.

In gefährlichen Situationen folgen wir oft unserem Impuls

Die Konsequenz aus Sicht von Brudermann: „Das Gehirn muss mit seinen Ressourcen sparsam umgehen, und Nachdenken ist energieintensiv und langsam.“ Affekte hingegen, also Gemütsregungen, brauchen nicht nur weniger Energie; sie werden vom Hirn obendrein fixer hervorgebracht. „Wir folgen daher in gefährlichen Situationen oft unserem ersten, affektiven Impuls, tun also das, was andere tun, oder laufen auf demselben Weg wieder zurück, den wir auch gekommen sind.“

Wichtiger für unser Überleben als biologische Art ist jedoch ein anderer Vorteil des Massenaufruhrs gewesen. Man kennt den Effekt von Wildtieren aus Tierfilmen, wenn sie von Fressfeinden aufgescheucht und gejagt werden. „Ein von der Herde losgelöstes Individuum ist besonders gefährdet“, sagt der Evolutionspsychologe Harald Euler. Eine lospreschende Herde jedoch bietet jedem mitlaufenden Tier Schutz. Erstens dienen die Artgenossen ringsum zumindest den Flüchtenden im Inneren des Pulks als lebende Schutzschilde gegen Attacken, zweitens fällt es Raubkatzen schwer, im Gewusel von zweihundert Zebras oder Gnus ein bestimmtes Tier ins Auge zu fassen – was bei Zebras vom Flirren ihres Streifemusters noch befördert wird. Und drittens bietet der große Verbund die Chance, dass eine Gruppe von Tieren gemeinsam zum Gegenangriff übergeht oder einem angegriffenen Artgenossen zu Hilfe eilt, was nicht nur in den Savannen Afrikas immer wieder einmal geschieht.

Buchstäblich mitreißend wirken auf den Menschen ungeduldige Fußgänger, die an der Ampel bei Rot loslaufen – vor allem dann, wenn wir für ein paar Momente geistesabwesend gewesen sind und das Ampellicht aus dem Blick verloren haben: Marschiert der erste los, folgen leicht ein paar andere, als würden sie mitgezogen. Auch hier kommt der Herdentrieb zum Tragen, befeuert vom System unserer Spiegelneuronen im Hirn, das auch mitwirkt, wenn wir ein Lächeln erwidern oder besorgt dreinschauen, sofern auch andere Menschen das tun. „Wenn wir wahrnehmen, dass andere loslaufen, löst das in uns einen automatischen Impuls aus, ebenfalls loszugehen“, erklärt der Psychologe Thomas Brudermann diesen Mechanismus.

Schön zu beobachten ist dieses fremdgesteuerte Verhalten auch bei Wandergruppen, die gerade bei einer Rast zusammen ihren Proviant verzehren. Eben haben noch alle munter plaudernd oder kauend beisammen gestanden. „Wenn dann aber einer entschlossen losgeht, folgt die Gruppe sofort“, hat der Natursoziologe und Wanderforscher Rainer Brämer oftmals beobachten können. Dabei müsse der Vorangehende den Weg gar nicht kennen, es reicht, dass er so tut. Ein Dasein als Mitläufer kann demnach in die Irre führen, bisweilen gar ins Verderben, an der Börse wie im richtigen Leben. Der Verstand sollte den Füßen also schnellstmöglich folgen – und notfalls Einhalt gebieten.

Tödlicher Herdentrieb in einem US-Katastrophenfilm

Unglück

In dem spannenden US-Katastrophenfilm „Höllenfahrt der Poseidon“ aus dem Jahr 1972 wird der Passagierdampfer Poseidon bei seiner letzten planmäßigen Reise von New York nach Athen von einer Monsterwelle auf dem Mittelmeer umgeworfen. Er treibt kieloben im Wasser, während er allmählich sinkt.

Panik

Zwar werden in Wirklichkeit Tsunamis mitten auf dem Meer selten mehr als einen Meter hoch, aber darum geht es hier nicht. Viel interessanter ist die Panik unter den verängstigten Passagieren.

Masse

Im Ballsaal will die Festgesellschaft fliehen, doch wohin? Der von Gene Hackman gespielte Priester rät, den mühseligen Weg hinauf anzutreten – folglich zum Schiffsrumpf, der noch aus dem Wasser ragt. Doch der uniformierte und deshalb vertrauenswürdig aussehende Zahlmeister des Dampfers hält davon gar nichts und empfiehlt den Passagieren dringend an Ort und Stelle auf die bestimmt schon herbeieilenden Suchtrupps zu warten.

Minderheit

Also heftet sich nur ein kleines Häuflein dem Priester an die Fersen und klettert mit ihm über einen großen Weihnachtsbaum aus dem Ballsaal. Nur im Wellentunnel am Schiffsheck ist der Stahl des Kiels dünn genug für die Schneidbrenner der Retter. Am Ende werden tatsächlich sechs der neun Gefolgsleute des inzwischen umgekommenen Priesters befreit – und zwar als einzige