Italienische Gastarbeiter verrichteten Anfang des vorigen Jahrhunderts die schwere Arbeit an den Strecken, wie eine Ausstellung im Stadtarchiv belegt. Sie huldigt zudem dem berühmten Ingenieur Otto Kapp aus Gültstein.

Herrenberg - Das Industriezeitalter und die große, weite Welt rückten für Herrenberg ein Stück näher, als im Jahr 1879 die Gäubahn eröffnet wurde. Nach und nach wurde die Stadt Dreh- und Angelpunkt für den Bahnverkehr. Die einzelnen Stationen zeigt nun eine

 

Ausstellung im Stadtarchiv Herrenberg mit Exponaten, die bisher nur vereinzelt zu sehen waren. Anlass für die Schau ist der jüngst begangene Tag der Archive, der in diesem Jahr unter dem Motto „Mobilität im Wandel“ stand.

Die erste Eisenbahnstrecke im Königreich Württemberg wurde am 22. Oktober 1845 zwischen den heutigen Stuttgarter Stadtteilen Bad Cannstatt und Untertürkheim eröffnet. Fast 34 Jahre später, zur Inbetriebnahme der Gäubahn zwischen Stuttgart und Freudenstadt am 1. September 1879, erhielt Herrenberg einen Bahnanschluss. „Über den Ablauf der Eröffnungsfeier informierte das damals im Gäuboten gedruckte Programm“, berichtet die Stadtarchivarin Michaela Couzinet-Weber, die tief in den Fundus gegriffen hat, um die Dokumente zu Tage zu fördern. Seine ersten Sporen als Ingenieur habe sich dabei Otto Kapp verdient, der im Jahr 1853 geboren wurde und 1920 in Gültstein starb. Er spielte eine zentrale Rolle beim Bau der Bagdadbahn, einer Bahnlinie im Osmanischen Reich. Dafür ist er in den Adelsstand erhoben worden.

Der Ingenieur Otto Kapp war ein Gültsteiner

Couzinet-Weber belegt mit einem so genannten Beibringungsinventar, das einen Eintrag der Großeltern Otto Kapps väterlicherseits enthält, die Gültsteiner Wurzeln des berühmten Ingenieurs. Es zeigt auf, dass Johann Georg Kapp und Anna Maria Riethmüller im Jahr 1821 den Bund der Ehe schlossen.

Ein weiterer Meilenstein war im Jahr 1909 die Eröffnung der Ammertalbahn, die den Herrenbergern noch mehr Mobilität bescherte. In der Gäustadt habe sich das Industriezeitalter allerdings nur langsam entwickelt, weiß Couzinet-Weber. Erst im Jahr 1899 sei die Ansiedlung einer Fabrik gelungen – eines Zweigwerks der Vollmoellerschen Trikotagefabrik, die ihren Sitz in Vaihingen auf den Fildern hatte.

Italienische Arbeiter

Um den wirtschaftlichen Aufschwung zu forcieren, setzten bereits in den frühen 1890er Jahren Überlegungen zum Bau einer Nebenstrecke der Gäubahn zwischen Herrenberg und Tübingen ein, die in einer Denkschrift zusammengefasst wurden. Eine Teilstrecke von Herrenberg nach Pfäffingen ging am 12. August 1909 in Betrieb, ein Jahr später fuhr die Bahn dann bis Tübingen. Couzinet-Weber zeigt auf, dass vor allem italienische Arbeiter beim Bau der Strecke eingesetzt wurden, die auch in privaten Unterkünften aufgenommen wurden. Erstaunliche Details sind überliefert, Namen, Beruf und Herkunftsorte der Menschen, wie etwa von Giuseppe Zulian, dem ledigen „Erdarbeiter“, wie in einem Verzeichnis zu lesen ist, geboren am 15. Oktober 1857 in Paliano in der italienischen Region Latium. Er wohnte bei Ludwig Rietmüller in Gültstein, und zwar vom 30. März 1907 bis 8. April desselben Jahres. Danach sei er nach Tübingen gegangen, „wahrscheinlich auf die nächste Bahnbaustelle“, sagt die Stadtarchivarin.

Auch einen kleinen Schlenker zum Aufkommen des Automobils unternimmt Couzinet-Weber. Sie berichtet: „Kraftfahrzeuge waren in der Gäustadt zunächst sehr selten. Aus einem im Jahr 1911 veröffentlichten Verzeichnis geht hervor, dass es in Herrenberg damals lediglich acht zugelassene Fahrzeuge gab.“ Was dem Bau von Bahnstrecken zunächst eine besondere Bedeutung zumaß. Das sollte sich ein gutes halbes Jahrhundert später jedoch gravierend ändern. Mit dem „Wirtschaftswunder“ vor allem in den 1960er Jahren begann der „Siegeszug“ des Automobils und des Individualverkehrs. Sämtliche Bahnstrecken kamen auf den Prüfstand, nachdem sie immer weniger genutzt worden waren. Auch die Ammertalbahn war betroffen, im Jahr 1966 wurde die Strecke zwischen Herrenberg und Entringen stillgelegt, im Jahr 1973 erfolgte der Abbau der Gleise zwischen Herrenberg und Gültstein. Bilder davon sind in einem Fotoalbum zu sehen, das ein Bürger dem Stadtarchiv überließ.

1992 fuhr die S-Bahn bis Herrenberg

Doch der Bahnverkehr gewann später erneut an Bedeutung, als immer mehr Menschen aus dem Raum Stuttgart ins Gäu zogen, zur Arbeit jedoch in Richtung Landeshauptstadt pendelten. „Die Staus auf den Straßen und das wachsende Umweltbewusstsein förderten den Ausbau der S-Bahn“, erklärt Couzinet-Weber. Die Linie S 1, die anfangs an der Stuttgarter Station Schwabstraße endete, wurde im Jahr 1985 bis Böblingen verlängert und sieben Jahre später bis Herrenberg ausgebaut. Am 5. Dezember 1992 erhielt Herrenberg einen eigenen S-Bahn- Anschluss.

Der vorerst letzte Meilenstein war dann die Reaktivierung der Ammertalbahn im Sommer 1999, im damaligen August wurde sie von Hunderten von Menschen im Bahnhof Herrenberg freudig begrüßt.

Güterwagen von Märklin

Ausstellung
: Die Stadtarchivarin Michaela Couzinet-Weber hat zum Thema „Mobilität im Wandel“ zahlreiche Dokumente, Fotos, Schriften und auch Objekte zusammengetragen, darunter etwa die Einladungskarte zur Wiedereröffnung der Ammertalbahn oder einen Miniatur-Güterwagen der Firma Märklin zur Eröffnung der S-Bahn. Die Ausstellung „Meilensteine in der Geschichte des Bahnstandorts Herrenberg seit 1879“ ist bis Ende Mai im Stadtarchiv in der Marienstraße 21 zu sehen.

Besuch:
Die Ausstellung kann zu den Öffnungszeiten des Archivs montags bis donnerstags von 8.30 bis 12 Uhr und 14 bis 17 Uhr sowie freitags von 8.30 bis 12 Uhr besucht werden. Um eine Anmeldung möglichst zwei Tage vorher wird gebeten (unter der Telefonnummer 0 70 32/9 54 63 30 oder per E-Mail an archiv@herrenberg.de).