Der Geschichtsforscher Volker Mall hat über die sieben britischen Bomberpiloten recherchiert, die im Zweiten Weltkrieg über Gültstein abgeschossen wurden. Sie gehörten zum Lancaster-Geschwader, das Pforzheim in Schutt und Asche legte.

Herrenberg - Wer waren die sieben Briten, die mit ihrer Lancaster-Maschine am 23. Februar 1945 über Herrenberg-Gültstein abgeschossen wurden? Zwei Jahre waren sie auf dem dortigen Alten Friedhof begraben, bevor sie von den Alliierten exhumiert wurden. Volker Mall von der KZ-Gedenkstätteninitiative ist es jetzt gelungen, Licht ins Dunkel zu bringen. Durch Zufall stieß er auf einen Kontakt, über den er an die Namen der britischen Bomberpiloten kam. In der demnächst erscheinenden Ortschronik zum 1250. Bestehen von Gültstein beschreibt der Forscher minutiös das Geschehen kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs.

 

17 600 Menschen in Pforzheim getötet

Die Geschichte beginnt auf dem Flugplatz Ludford Magna, etwa 200 Kilometer nördlich von London. Es ist der 23. Februar 1945. Gegen 16 Uhr heben nach und nach insgesamt 368 Lancaster-Maschinen der Royal Air Force ab sowie 13 wendigere Schnellbomber, so genannte Mosquitos. Ihr Ziel ist die Stadt Pforzheim.

„Der Luftangriff begann kurz vor 20 Uhr und dauerte nur 22 Minuten. Über ein Fünftel der Einwohner wurde getötet – mehr als in jeder anderen Stadt des Dritten Reiches“, hält Volker Mall fest. In Pforzheim hatten vor dem zweiten Weltkrieg 80 000 Menschen gelebt, 17 600 Bombenopfer wurden gezählt: Im Verhältnis zur Bewohnerzahl waren das so viele wie nirgendwo sonst in Nazi-Deutschland. In der engen Altstadt hatte sich ein Feuersturm entwickelt, der laut den Aufzeichnungen 98 Prozent des Stadtgebiets in Schutt und Asche legte.

Pilot einer Ju 88 G6 schießt die Briten ab

Dokumentiert ist ferner, dass die Nazijäger während des Luftangriffs zwölf der Lancaster-Maschinen abschossen. Eine von ihnen hatte die Luftabwehr bis in den Raum Herrenberg verfolgt. „Es war kurz nach 20 Uhr, als die Lancaster PA 237 von einer Ju 88 G6 erwischt wurde“, berichtet Mall, „sie stürzte im oberen Wald in Gültstein im Bereich der Sandgrube ab.“ An Bord waren sieben Angehörige der Royal Air Force. Alle starben und wurden auf dem Gültsteiner Friedhof beigesetzt. Die Namen der britischen Flugzeugbesatzung waren damals noch nicht bekannt.

Der 76 Jahre alte Geschichtsforscher stieß auf ein Schreiben des damaligen Gültsteiner Bürgermeisters Otto Unsöld, der am 17. Juli 1945 den Böblinger Landrat informierte. „Auf dem hiesigen Friedhof befindet sich ein Grab, in welchem am 24. Februar 1945 drei Leichen und Körperteile von vier weiteren Körpern von einem brennend abgestürzten viermotorigen englischen Bomber beerdigt wurden. Die Gendarmeriebeamten Niethammer und Wacker haben erklärt, dass die noch vorhandenen Ausweise nach Stuttgart weitergeleitet worden sind. Ihnen seien die Namen nicht bekannt. Ein Eintrag in das Sterbebuch konnte daher noch nicht gemacht werden.“

Alliierte lassen die Toten umbetten

Ferner unterrichtete der Schultes den Landrat darüber, dass „das Grab ordentlich angepflanzt wurde, pfleglich behandelt wird und mit einer Namenstafel versehen wurde“. Die Aufschrift jedoch gab nur wenig Aufschluss. Zu lesen war dort lediglich: „Hier ruhen sieben englische Flieger.“ Weitere Gräber von alliierten Soldaten gab es damals an der Stelle nicht.

Die Gemeinde Gültstein habe dann Anfang August 1947 das Landratsamt über die Öffnung der Gräber informiert, berichtet Mall. Die alliierte Gräberkommission ließ die Toten exhumieren und Ende Juli desselben Jahres auf den Friedhof der Commonwealth War Graves Commission im Ortsteil Dürnbach der Gemeinde Gmund am Tegernsee umbetten. Die Alliierten ermittelten schließlich dort auch die Personendaten. Aus den Aufzeichnungen des Graves Concentration Report vom 11. August 1948 gehen nicht nur die Namen der sieben Briten hervor, sondern auch deren Alter, Dienstgrad und Funktion. Demnach handelt es sich um den Flugoffizier und Piloten Arthur White Stuart (30), den Flugsergeant und Navigator Rufus Allen Stuart (21), den Flugleutnant und Bombenschützen William Wallace (22), den Sergeant und Bordingenieur Randolph Edward Alexander Winstone (24), den Sergeant und Funker Geoffrey Arthur Stephens (20) sowie um die Sergeants und Bordschützen Joshua Alderdice Slater und David Mortimer.

Abschüsse auch in Renningen und Sindelfingen

Auf diese Namensliste war Mall durch eine Recherche im Internet gestoßen. Den Hinweis auf einen Link hatte er von einem griechischen Gast im vergangenen Sommer erhalten, der zu Besuch in Gäufelden war und die KZ-Gedenkstätteninitiative besucht hatte. Mall fand auch heraus, wo die anderen elf Lancaster abgeschossen wurden. Jeweils eine auch in Renningen mit fünf Toten, in Sindelfingen, wo drei Briten ihr Leben ließen, in Horb (Kreis Freudenstadt) und in Mühlacker (Enzkreis) mit ebenfalls jeweils drei Toten.

Geschichte des KZ Hailfingen-Tailfingen aufgearbeitet

Forscher:
Volker Mall (76), einst Lehrer an verschiedenen Gymnasien und an der Pädagogischen Hochschule Esslingen, hob 2010 die KZ-Gedenkstätte Hailfingen/Tailfingen mit aus der Taufe. An deren Aufbau war auch die Sektion Böblingen/Herrenberg/Tübingen des Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie” beteiligt. Mall und sein Mitstreiter Harald Roth forschen für die KZ-Gedenkstätteninitiative über die ehemaligen Häftlinge des einstigen KZ-Lagers in Hailfingen/Tailfingen (ein Außenlager des KZ Natzweiler im Elsass). Sie ermittelten, dass mindestens 189 Häftlinge bis zur Auflösung des Lagers im Februar 1945 umkamen und 151 überlebten. Sie sind permanent auf der Suche nach Hinterbliebenen, die sie zu Veranstaltungen in die Gedenkstätte und an das Mahnmal einladen.

Auszeichnungen:
Mall und Roth erhielten 2018 von der Europäischen Kommission das Europäische Kulturerbesiegel. An dem Verfahren waren unter anderem die Landeszentrale für politische Bildung, das Landesamt für Denkmalpflege und das Wirtschaftsministerium des Landes beteiligt. 2017 erhielten sie den German Jewish History Award. Die Auszeichnung des einstigen US-Unternehmers Arthur S. Obermayer und dessen Stiftung geht an nichtjüdische deutsche Forscher, die sich der Erinnerungsarbeit widmen.