Nicht nur der Fruchtkasten gehört zur Herrenberger Stadtgeschichte – sondern auch der Streit um die Nutzung des 300 Jahre alten Hauses. Am Montag entscheidet der Gemeinderat über die neuesten Pläne. Wie sieht die Zukunft aus?

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Herrenberg - Droben unterm Dachfirst hat die Zeit ein paar Visitenkarten hinterlegt. Hier, wohin kaum jemand je emporsteigt, hat ein Unbekannter irgendwann ein Loch im Gemäuer mit Holzstücken gestopft. Er wollte wohl verhindern, dass die Vögel zurückkehren, die unübersehbar hinten im Raum genistet hatten. Ansonsten ähnelt das siebte und oberste Stockwerk des Fruchtkastens in Herrenberg Omas Bühne, und der Blick durchs bröckelnde Mauerwerk offenbart das allgegenwärtige Problem historischer Gemäuer: Handwerker haben ein Gerüst aufgebaut, um den rückwärtigen Teil der Fassade zu flicken. Der Bau ist 1684 eröffnet worden. Ein Teil ist gar älter als die Stadt. Im Erdgeschoss sind Reste eines Steinhauses erhalten, an das im 13. Jahrhundert die Stadtmauer angebaut wurde.

 

Die Umbaukosten sind auf elf Millionen Euro geschätzt

„Die Fassade hat’s dringend nötig“, sagt Oliver Mack vom Büro Space 4. Die Firma ist spezialisiert auf die Wiederbelebung historischer Bauten und hat Zukunftspläne für den Fruchtkasten entworfen. Nach dem Willen des Oberbürgermeisters Thomas Sprißler soll das Haus zu einer Mischung aus Museum und Treffpunkt ausgebaut werden, samt Café, Läden und Veranstaltungssaal. Auf elf Millionen Euro ist das Vorhaben geschätzt – grob. Am Montag sollen die Stadträte entscheiden, ob eine solche Ausgabe dies- oder jenseits ihrer Vorstellungskraft liegt. Danach wird im Detail geplant. Oder eben nicht. So oder so „kommt die Stadt nicht drumrum, etwas zu tun“, sagt Mack. Schon 1926 ist der Fruchtkasten unter Denkmalschutz gestellt worden. Weder Abriss noch Verfall kommen in Frage.

In den unteren Etagen haben die Jahrhunderte das Haus geknetet. Ursprünglich diente der Fruchtkasten dazu, den Zehnt zu lagern, den Teil jeder Ernte, den Bauern an die Herrschenden abzugeben hatten. Wellen in den Dielen zeugen von den Lasten, die einst hier lagerten, und der Boden neigt sich streng der Vorderseite des Baus zu. Alles kein Problem, meint Mack, „das Gebäude ist in gutem Zustand“. Wegen des Brandschutzes müsste der Boden ohnehin aufgebaut werden. In ihm könnten Leitungen für Strom, Wasser und Heizung liegen.

Über den Fruchtkasten wird mehr als 100 Jahre diskutiert

Eine andere Zukunft des Fruchtkastens wird schon seit mehr als 100 Jahren diskutiert. 1909 wollte der Kaufmann Traugott Krauß das Haus für 24 000 Mark kaufen und abreißen, um sein Geschäft mit einem Neubau zu erweitern. Schon damals wandte zumindest ein Gemeinderat ein, der historische Bau müsse erhalten bleiben. Die Mehrheit meinte nur, Krauß’ Angebot sei zu niedrig. Nach dem Ersten Weltkrieg sollte das Lager zum Wohnhaus werden, aber der Aufwand schien zu hoch. 1953 war erneut ein Umbau im Gespräch und das Konzept dem heutigen nicht allzu fern. Eine Bücherei stand auf der Ideenliste, eine Jugendherberge, Läden, Versammlungsräume. Alle Wünsche scheiterten an den geschätzten Kosten: bis zu 500 000 Mark. Zuletzt verwarf der Gemeinderat 2002 den Plan, ein Museum einzurichten.

Der ursprüngliche Eingang würde heute in die Toiletten führen

Ungeachtet all dieser misslungenen Versuche „ist das Gebäude im Lauf der Jahrhunderte mehrfach umgebaut worden“, sagt Mack. Zuletzt wohl in den Siebzigern und Achtzigern, in denen der Denkmalschutz offenbar nicht allzu bedeutsam schien. Der einstige Eingang ist vermauert. Heute würde er in die Toiletten führen. Eine Zwischendecke teilt das Erdgeschoss. Zusätzliche Treppen wurden genauso eingebaut wie elektrische Leitungen und eine Heizung, die auch schon einem rostigen Ende entgegenstrebt. Im ersten Stock ist der Raum mit Sperrholzwänden unterteilt worden. Überall verstaubt jeder erdenkliche Krimskrams: eine Nähmaschine, eine Mistgabel, Holzscheite, ein rostiger Herd. „Die Sachen gilt es wieder zu entdecken“, sagt Mack, „keiner hat einen Überblick“.

Außer im Erdgeschoss: Dort empfängt ein Motorrad-Oldtimer der Marke Maico Besucher. Er ist Teil einer Ausstellung zu Herrenbergs Geschichte, die allerdings nur drei Stunden im Monat zu sehen ist. „Ich weiß nicht“, sagt Mack nur. „Ein Witz – macht ein Parkhaus draus“, urteilte ein unbekannter Besucher auf dem Internetforum Tripadvisor. In einem runderneuerten Fruchtkasten sollen Spottkritiker hingegen staunend verstummen. Jedenfalls sagt der Oberbürgermeister voraus, er werde „etliche tausend Besucher“ locken.