Explodierende Preise, Angst vor Diebstahl und finanzielle Risiken: Mundschutz ist vom Nischenprodukt zur begehrten Ware geworden. Während Firmen unter Zeitdruck immer mehr bestellen, sollen sie möglichst schnell auch eine Produktion in Deutschland aufbauen.

Buchloe - „Das ist der Wahnsinn“, sagt Alexander Röder mit Blick auf das Hochregal. Eigentlich bietet es Platz für mehr als 43 000 Paletten medizinischer Schutzkleidung. Doch die meiste Ware, die derzeit unter Aufsicht des stellvertretenden Logistikleiters bei der Firma Franz Mensch in Buchloe im Ostallgäu umgeschlagen wird, findet gar nicht den Weg dorthin: Mundschutz, Atemmasken und Kittel werden nach Ankunft direkt wieder in Lastwagen verladen - in unauffälligen Kartons verpackt. Um Diebstahl zu verhindern, sagt eine Sprecherin. Vor dem Eingang zum Firmengelände fährt die Polizei Patrouille.

 

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Bis Mitte Mai will Franz Mensch etwa 80 Millionen Stück Mundschutz an Krankenhäuser, Arztpraxen und Behörden liefern. Dazu sollen 4 Millionen sogenannte FFP-Masken und 2,5 Millionen Kittel kommen. „Das geht gerade ziemlich an die Kapazitäten“, sagt Röder. Aus 250 Aufträgen pro Tag seien etwa 600 geworden, der Betrieb sei auf zwei Schichten von 6.00 bis 23.45 Uhr erweitert worden. „Momentan sind wir am schwierigsten Punkt“, sagt Geschäftsführer Achim Theiler. „Der gesamte Lagerbestand in Deutschland ist so gut wie aufgebraucht.“

Kapazitäten bis zum Anschlag erhöht

Die Unternehmen im Bereich Schutzkleidung hätten deshalb ihre Kapazitäten „bis zum Anschlag“ erhöht, sagt auch Marc-Pierre Möll, Geschäftsführer des Bundesverbands Medizintechnologie (BVMed). Allerdings habe es in Deutschland auch an ausreichenden Vorräten gefehlt. Medizinische Schutzkleidung wie Mundschutz war demnach vor der Corona-Krise in Deutschland ein billiges Nischenprodukt, jetzt wird das Tragen auch in öffentlichen Verkehrsmitteln und Geschäften von der Bundesregierung „dringend empfohlen“.

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Produziert werden Schutzkleidung und Vorprodukte laut BVMed überwiegend in China, wo die Pandemie ihren Ursprung hatte. Doch Ende Januar kamen die Lieferungen von dort weitgehend zum Erliegen. Gleichzeitig hätten chinesische Firmen versucht, Ware aus Deutschland zurückzukaufen, sagt Franz-Mensch-Geschäftsführer Theiler. Sobald Exporte im März wieder möglich gewesen seien, habe seine Firma mehrere Hundert Tonnen Ware bestellt.

Produktionskosten explodieren auf das 20- bis 30-fache

Doch die Preise explodierten. „Ein Mundschutz, der vorher 3 Cent gekostet hat, kostet jetzt 60 Cent“, so Theiler. Er spricht von einer Verzwanzigfachung bei den Produktionskosten, der Transport sei unter anderem durch den Umstieg von See- auf schnellere Luftfracht 30 mal teurer geworden. Andere Firmen wie Dach Schutzbekleidung aus Rastatt in Baden-Württemberg bestätigen diese Einschätzungen.

Auch wenn der Bund und andere Abnehmer angesichts der momentanen Lage bereit sind, enorme Summen zu zahlen, stellen die hohen Kosten die Lieferanten vor Probleme. Denn viele Produzenten verlangten eine Zahlung im Voraus. „Das hatte unser Partner in den 20 Jahren zuvor nie getan“, sagt Theiler. „Wir haben jetzt für 50 Millionen Euro Ware gekauft.“ Ming Gutsche, Geschäftsführerin von Dach, spricht von einem mittleren siebenstelligen Betrag.

Bundesregierung treibt Produktionsausbau voran

Um trotzdem liquide zu bleiben und weiter in großem Stil bestellen zu können, nimmt Franz Mensch einen Zwischenkredit der LfA Förderbank Bayern in Anspruch. Zur Sicherheit werden große Lieferungen oft von der Polizei eskortiert. „Für den Bund etwas zu verlieren, wäre nicht nur wegen des Risikos für uns eine Katastrophe“, sagt Geschäftsführer Theiler. Der Bedarf sei enorm: „Wahrscheinlich wird es erst ab Mitte Mai besser, dann können wir voraussichtlich wieder Unternehmen außerhalb des Gesundheitssektors beliefern.“

Während die Lieferungen immer größer und teurer werden, treibt die Bundesregierung angesichts der Engpässe den Aufbau einer Produktion in Deutschland voran. Nach einer ersten Ausschreibung seien Zuschläge an rund 50 Unternehmen erteilt worden, sagte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Freitag in Berlin. Damit sollten ab Mitte August pro Woche zehn Millionen FFP2-Spezialmasken und 40 Millionen OP-Masken hergestellt werden. So lasse sich der Grundbedarf für das Gesundheitswesen im Großen und Ganzen decken.

Produktion in Deutschland bleibt teuer im Vergleich zu China

Bisher hatten die Firmen eine Produktion in Deutschland wegen der deutlich billigeren Ware aus China abgelehnt. Das ändert sich jetzt: Franz Mensch hat nach eigenen Angaben drei Maschinen bei einem deutschen Unternehmen bestellt, die Firma Dach will schon bis Mai eine Produktion in Rastatt aufbauen. Das Unternehmen Lohmann & Rauscher mit Sitz im rheinland-pfälzischen Rengsdorf teilte mit, man prüfe derzeit eine OP-Masken-Produktion in Deutschland und drei Nachbarländern, warte aber noch auf finale Antworten der Regierungen. B.Braun, einer der größten deutschen Hersteller von Schutzkleidung, plant nach eigenen Angaben dagegen keine Herstellung in Deutschland.

Langfristig sei dies auch nur bei garantierten Abgabemengen zu fairen Preisen möglich, heißt es dazu vom Branchenverband BVMed. „Denn wenn China seine Kapazitäten wieder aufbaut, werden die immer billiger sein als wir“, sagt Franz-Mensch-Geschäftsführer Theiler. Die Rahmenverträge mit dem Bund sollen zumindest bis Ende 2021 laufen. Dach-Geschäftsführerin Gutsche hofft aber darauf, dass Kunden für hierzulande hergestellte Produkte auch künftig mehr zahlen, „damit die Versorgungssicherheit langfristig sichergestellt wird“.