So umfassend und detailliert wie jetzt vom SWR ist im Fernsehen noch keine Herzoperation gezeigt worden. Im Sommer verfolgte ein Reportageteam, wie in der Tübinger Uni-Klinik ein Bypass gelegt wurde: „Skalpell bitte“ läuft am Mittwoch im Dritten.
Stuttgart - Was passiert in einem Operationssaal? Wer nicht Arzt oder Krankenschwester ist, weiß das in aller Regel nicht. Der Patient ist narkotisiert, die Angehörigen müssen draußen bleiben. Dennoch geschehen hinter den geschlossenen Türen Dinge von enormer Bedeutung für das Leben eines Menschen.
Dieser Unwissenheit will der SWR mit der Sendung „Skalpell bitte“ begegnen, in der nichts Geringeres als eine Herzoperation gezeigt wird – zwar nicht live und in voller Länge, aber in dokumentarischen Bildern und in allen Schritten des Eingriffes: Im August 2012 wurden einem sechzigjährigen Mann in der Universitätsklinik Tübingen drei Bypässe gelegt, die verstopfte Gefäße auf dem Weg vom und zum Herzen überbrücken. Vier Kameras im OP-Saal haben den viereinhalbstündigen Eingriff am offenen Herzen aufgezeichnet. Die Bilder wurden in ein Studio im Foyer der Klinik übertragen, wo die „Tagesthemen“-Moderatorin und Ärztin Dr. Susanne Holst und Professor Christian Schlensak, Leiter der Tübinger Herzchirurgie, sie erklären und einordnen. Operationsbilder, Erklärungen und 3-D-Animationen sowie eingespielte Beiträge sind nun in einer neunzigminütigen Sendung zusammengefasst.
Einen solchen Eingriff gab es zuvor noch nie im Fernsehen zu sehen. „Das ist ein Dammbruch“, sagt der Medienethiker Christian Schicha, der an der Mediadesign-Hochschule in Düsseldorf lehrt. Eine öffentliche Berichterstattung blickt hier in einen Bereich, der ihr bisher verschlossen war. Es sind spektakuläre Bilder zu sehen, etwa eines geöffneten Brustkorbs und eines in der Hand des Chirurgen pulsierenden Herzens. Der Brisanz des Stoffes war sich der produzierende SWR durchaus bewusst. „Unvorbereitet würde das verschrecken“, gesteht der zuständige Redakteur Hans-Michael Kassel zu. Doch man verfolge einen didaktischen Ansatz. Die womöglich verstörenden Bilder sind in einen informativen und aufklärenden Rahmen eingebettet. Es vergehen geschlagene dreißig Minuten, bevor die Operation tatsächlich beginnt. Diese Zeit wird genutzt, um zu erklären, was bei dem Eingriff konkret getan wird. Und in der anschließenden Reportage um 22 Uhr wird dokumentiert, wie es dem Patienten inzwischen geht.
Keine Risiko-Patienten
Bewusst habe man sich für die Bypass-Operation entschieden, so Kassel. Die zugrunde liegende Herzerkrankung stellt eine Volkskrankheit dar. Die Operation ist ein standardisierter Präzisionseingriff mit geringer Komplikationsrate und wurde 2010 sage und schreibe 56 000-mal in Deutschland durchgeführt. Bewusst habe man sich für das Krankenhaus in Tübingen entschieden, wo Kameras im OP-Saal nicht ungewöhnlich sind. Denn in der Uniklinik werden regelmäßig per Video Eingriffe in Hörsäle übertragen. Und sorgfältig wurde schließlich auch der Patient ausgewählt, der nicht die Risikofaktoren Rauchen und Übergewicht aufweist und deshalb eine besonders gute Prognose hat. Nicht auszudenken, wenn dem Patienten während oder nach dem Eingriff etwas passiert wäre.
Der Medienethiker Christian Schicha freilich denkt einen Schritt weiter: „Was ist, wenn ein kommerzieller Sender die nächste OP wirklich live zeigt – und es passiert etwas?“ Ob die manchmal drastischen Bilder wirkungsvoll aufklären, ist schwer zu sagen, so Schicha, „weil Menschen gerade im Bereich Gesundheit hochgradig irrational reagieren“. Zwar könne es sein, dass Zuschauern Ängste genommen werden. Andererseits: „Wenn ein Herzkranker die gezeigten Bilder als Horror empfindet und deshalb sagt: Ich lass die OP nicht machen – dann ist das natürlich kontraproduktiv.“
Problematisch findet Schicha, dass die Sendung „auch eine Form von Leistungsschau ist“, in der sich die Klinik und die Ärzte präsentieren. „Ich kann mir vorstellen, dass der Run auf die Ärzte zunehmen wird. Dass die Leute sagen, wir wollen uns genau von diesen Chirurgen operieren lassen.“ Außerdem müsse man fragen: „Wie nervös sind die Ärzte, wenn eine Kamera dabei ist? Reagieren sie anders, als wenn keine da wäre?“ Begrüßenswert hingegen findet der Medienethiker, dass das Herz durch die unverstellte Darstellung ein wenig entmythisiert wird. „Das Herz wird meist symbolbehaftet gesehen. Insofern finde ich es wichtig, dass man darauf hinweist: es ist ein Organ, das – wenn es krank ist – genau wie andere Organe durch solche Eingriffe am Leben erhalten werden kann.“
Andere Organe, auch sie könnten noch in den Fokus der Sendung rücken. Wenn das Format, das aus einem senderinternen Ideenwettbewerb hervorgegangen ist, eine entsprechende Quote erzielt, könnte es fortgesetzt werden.