Auch nach einem Herzinfarkt tun sich viele Patienten schwer damit, ihre Lebensgewohnheiten zu ändern. Besonders Männer sind gefährdet.

Stuttgart - Ein kleines Blutgerinnsel kann fast alles ändern: Löst es sich irgendwo im Körper von der Innenwand einer Ader und trifft es auf ein vorgeschädigtes Herz mit verengten Kranzgefäßen, verschließt es sie bisweilen. Nur rasche Hilfe kann dann das Schlimmste verhindern. Etwa 56.000 Menschen pro Jahr - leicht überwiegend Männer - sterben an einem teils abgestorbenen Herzmuskel.

 

Für die Überlebenden, jährlich gut 220.000 Patienten, beginnt nun das, was man landläufig Kürzertreten nennt. Zumindest eine Zeit lang müssen sie sich schonen. Auch der Lebenswandel muss sich nicht selten tiefgreifend ändern, also Ess- und Trinkgewohnheiten, das Ausmaß körperlicher Bewegung und die Einstellung zur Arbeit. Doch längst nicht alle Patienten halten den neuen Kurs durch und werden aus erlittenem Schaden klug - und verzichten beispielsweise auf die Zigarette.

Der Lebensstil ändert sich nur mühsam

"Von der Rauchern unter den Herzpatienten geben 45 Prozent das Rauchen dauerhaft auf", sagt der Psychologe Jochen Jordan, der die Abteilung für Psychokardiologie an der Kerckhoff-Klinik Bad Nauheim leitet. "Das bedeutet aber auch: mehr als die Hälfte wird nicht klug aus einem schweren Herzleiden." Seit es keine Raucherzimmer in Krankenhäusern mehr gebe, stünden die Unbelehrbaren vor den Rehakliniken - "wie ein rauchendes Begrüßungskomitee in Sporthosen und Bademänteln".

Generell seien die Erfolge von Rehabilitationsbemühungen auf lange Sicht "eher bescheiden" - gehe es nun um gesündere Ernährung, mehr Bewegung oder um das Praktizieren von Entspannungstechniken. Dabei sei es "im Grunde paradox: die Leute haben Todesangst und beschäftigen sich intensiv damit, aber Lebensstiländerungen sind extrem schwer durchzusetzen", weiß Jordan nur allzu gut.

Männer haben eher Ausflüchte

Das liegt auch daran, dass die Familie des Patienten, allgemein das engere soziale Umfeld, Veränderungswünsche oft nicht unterstützt oder sich ihnen sogar widersetzt - vor allem bei traditioneller Rollenverteilung im Haushalt. "Ein Herzpatient hält das in der Rehaklinik Gelernte im Alltag nicht lange durch, wenn die Partnerin nicht mitmacht, also genauso kocht und einkauft wie vor der Krankheit ihres Mannes", berichtet Jordan. Oder die Frau qualme 50 Zigaretten am Tag und frage, warum soll ich damit aufhören, nur weil du einen Herzinfarkt hattest. "Neulich hatten wir so einen Fall, einen Pfarrer. Der hat nach vier Wochen wieder geraucht."

Patientinnen verhalten sich eher vernünftig als Patienten; Frauen sind generell die Gesundheitsbewussteren. "Wie gute Studien zeigen, haben Patientinnen es da einfacher, weil sie sich eher als Männer mit Gleichgesinnten sozial verankern", konnte Jordan mehrfach erleben. Frauen träfen sich zu Hause mit Freundinnen oder Bekannten zum gemeinsam Gehen oder Joggen, und zwar egal bei welchem Wetter. "Wenn Ausflüchte aufkommen, sagt eine von ihnen immer, nix da, du kommst mit, ich hole dich gleich ab! Das funktioniert", sagt der Psychokardiologe. Männer hingegen passten sich nicht gerne dem Tempo anderer an. "Die sagen, wenn ich mit denen laufen gehe, muss ich auch noch mit ihnen reden. Das führt leider zu einem sehr stabilen Verhalten - nämlich dazu, sich nicht zu bewegen."

Oft führt die Krankheit zur Depression

Schwierig - nicht nur, aber vor allem für Männer - ist es auch, ein oder gleich zwei Gänge im Berufsleben zurückzuschalten. Menschen mit koronarer Herzkrankheit, also verengten Herzkranzgefäßen, seien "häufig stark leistungsorientiert", sagt Georg Titscher, leitender Psychokardiologe am Wiener Hanusch-Krankenhaus.

Oft wollen sie - unbewusst - über ihren Leistungswillen "ihr Selbstwertgefühl steigern". Doch gerade dieses werde durch die Herzkrankheit weiter geschwächt, sagt der Mediziner. Dadurch fällt es den Betroffenen noch schwerer, das angestrebte Ziel zu erreichen - zumal ihre Leistungskraft zumindest eine Zeit lang vermindert ist. Nicht wenige Patienten treibe dieses Dilemma in eine Depression, merkt Titscher an.

Besonders Selbstständige sind gefährdet

Sich im Job zurückzunehmen, ein Stück weit loszulassen, ist doppelt schwer in einer Zeit mit zunehmender Arbeitsverdichtung, höheren Erwartungen der Arbeitgeber und wachsender Unsicherheit gerade für ältere Beschäftigte. "Auch für junge Menschen ist der Druck, den man aushalten muss, um sich überhaupt über Wasser zu halten, enorm angewachsen", beklagt Jordan. In manchen Berufssparten, die das seelische Ausbrennen begünstigten, sei "es völlig normal, dass 60 oder 70 Stunden pro Woche gearbeitet werden muss".

Immer wieder führen medizinische Erfordernisse und Erwartungen der Arbeitswelt Herzgeschädigte in heftige Konflikte. "Gerade Patienten im fortgeschrittenen Berufsalter bitten darum, berentet zu werden", berichtet Jordan. Sie spüren, dass sie es nicht schaffen werden, ihr Verhalten am Arbeitsplatz oder die Leistungsanforderungen zu ändern und kommen zu dem Schluss: ich kann nur aufhören oder muss so weitermachen wie bisher.

Auch für Selbstständige sei das Abbremsen im Beruf "oft ganz schwer", obwohl sie vermeintlich ihr eigener Herr sind. Da heiße es dann, unter 70 Arbeitsstunden pro Woche gehe es gar nicht - "auch wenn die Einsicht bei den Patienten da ist".

Aus Schaden klug werden

Die Arbeitswelt lässt viele Menschen also gar nicht klug aus ihrem Herzschaden werden. Bei Firmen, selbst bei Behörden und in Schulen gibt es Widerstände, und die Betroffenen fühlen sich bei geringerer Belastungsgrenze abgestempelt und ausrangiert. "Dabei müsste man sie - falls überhaupt möglich - schrittweise wieder eingliedern, und die Arbeitgeber müssten einsehen, dass jemand nicht völlig erholt wieder in den Job zurückkehrt", fordert der Psychokardiologe Jordan.

Sein Fazit: "Innere Unvernunft und äußere Erwartungen und Zwänge machen es Herzkranken wirklich sehr schwer, aus Schaden klug zu werden" - und dann dementsprechend zu leben.

Hintergrund: Stichwort Herzinfarkt

Häufigkeit Etwa 280.000 Menschen in Deutschland erleiden im Jahr einen Herzinfarkt. Dabei verschließt sich eines der drei Herzkranzgefäße durch ein irgendwo im Adernetz sich lösendes Blutgerinnsel, so dass Teile des Herzmuskels nicht mehr mit Blutsauerstoff versorgt werden.

Risikofaktoren Oft war das Herzgefäß auch selber durch Ablagerungen verengt. Diese Beläge, sogenannte Plaques, bestehen vor allem aus Salzen, Fettbestandteilen, Eiweißstoffen und winzigen Blutgerinnseln.

Todesfälle Mehr als 56.000 Menschen erlagen 2009 einem Herzinfarkt, knapp ein Drittel, bevor ein Helfer überhaupt eingreifen konnte. Die Zahl der Todesfälle durch Herzinfarkte nimmt seit Jahren ab: Im Jahr 2000 waren es noch mehr als 67.000.

Folgen Sofern der Patient nicht rasch - möglichst innerhalb der ersten Stunde - fachgerecht behandelt wird, stirbt das vom Blutstrom abgeschnittene Gewebe ab. Kann der Gefäßverschluss innerhalb der ersten, sogenannten "goldenen" Stunde beseitigt werden, sind die Heilungschancen am besten - weshalb Laien unverzüglich als Erstes den Rettungsdienst anrufen sollten.