Zwischen den Herzzentren Konstanz und Kreuzlingen werden offenbar Patienten hin und her geschoben – lebende und tote. Die Staatsanwaltschaft Konstanz wollte im Fall eines toten Tamilien wegen Verjährung nicht ermitteln.

Konstanz/Kreuzlingen - Es ist ein seltsamer Fall, der sich in den beiden Herzzentren Konstanz und Kreuzlingen abgespielt hatte. Er zeigt auf, mit welch merkwürdigen Methoden die Verantwortlichen der deutsch-schweizerischen Doppelklinik bisweilen operierten. Am 2. Mai 2004 wird der Asylbewerber Sellathuray S. in das Schweizer „Kantonsspital Frauenfeld“ eingeliefert. Diagnose: Herzinfarkt. Dort bleibt der 56-Jährige nicht, ein Rettungswagen bringt ihn nach Konstanz.

 

Einlieferungszeit: 0:40 Uhr. Hier stirbt Sellathuray S. um 9:20 Uhr. Der diensthabende Arzt protokolliert: „Abbruch sämtlicher Maßnahmen“ und macht ein eingerahmtes Kreuz dazu. Der Totenschein, das belegen Unterlagen, die der Stuttgarter Zeitung vorliegen, wurde aber in Kreuzlingen in der Schweiz ausgestellt.

Warum wurde Sellathuray nach Konstanz und nicht ins Herzzentrum Kreuzlingen gebracht? Der Kliniksprecher verweigert „aus Gründen des ärztlichen Berufsgeheimnisses“ eine Stellungnahme. Man sei nicht bereit, „irgendwelche Aussagen zu Abläufen oder Verläufen von Behandlungen“ zu machen. „Der Transport von Patienten von einem Herzzentrum zum anderen, das war normal“, sagt ein Arzt, der anonym bleiben möchte. „Jedes Jahr haben wir 50 bis 80 Patienten aus Kreuzlingen in Konstanz behandelt.“ Auch im Notfalldienst sei bisweilen so verfahren worden.

Im Notfall stand im Hintergrund nur ein Team bereit

Dabei, das hat der Klinikchef Martin Costa eingestanden, tat in jeder der beiden Kliniken nur ein Assistenzarzt Dienst. Im Hintergrund aber stand nur ein Notfallteam bereit. „Wenn es Notfälle gab, wurde das Notfallteam gerufen. Wenn noch ein Notfall aus dem Nachbarland dazu kam, wurde dieser Patient abgewiesen oder er musste warten“, sagen auch andere Ärzte.

Waren die Kassen mit dem Verfahren einverstanden? Gab es eine Genehmigung dafür? Der Mediziner zuckt mit den Schultern. „Ich glaube nicht.“ Die Leute seien „rübergefahren“ worden, wenn eine elektrophysikalische Untersuchung notwendig wurde. „Solche Spezialuntersuchungen waren in Kreuzlingen nicht möglich“, sagt ein Kollege.

Martin Costa, der neben den beiden Kliniken auch den Krankentransport Rescuemed kontrolliert, räumt in einer „Information an alle Mitarbeiter“ dieses Vorgehen „in Einzelfällen“ ein. Es sei dann erforderlich gewesen, wenn es „um das Verhindern von Kapazitätsengpässen“ gegangen sei. Wie viele Schweizer Patienten in Deutschland behandelt wurden, kann er nicht angeben. Das Vorgehen sei auf alle Fälle aber mit dem für die Gesundheit zuständigen Regierungsrat des Kantons Thurgau abgesprochen worden, teilt ein Kliniksprecher weiter mit. Die Behandlungskosten hätten die Kassen übernommen. Ob die Kassen von den Grenzübertritten wussten und die Patienten dabei auch versichert waren, bleibt offen.

Die Staatsanwalt Konstanz sieht „nur vage“ Vorwürfe

Sicher ist nur: Sellathuray S. ist im falschen Land gestorben. Wenn ein Asylbewerber aus der Schweiz, einem Nicht-EU-Land, in einem EU-Land stirbt, bringt das größere Probleme mit den Behörden mit sich. Wollte die Klinikleitung diese umgehen, in dem sie den toten Tamilen einfach wieder in die Schweiz schaffte? Und das in einem Krankenwagen? Auch das wäre rechtlich ein zusätzliches Problem.

Fraglich ist auch, wer den Totenschein in Kreuzlingen ausgestellt hat. Die Unterschrift ist unleserlich. Die Staatsanwaltschaft Konstanz ist bereits vor einiger Zeit auf diesen Fall aufmerksam gemacht worden. Oberstaatsanwalt Christoph Hettenbach sagt, die Vorwürfe seien „nur vage“ und „unsubstanziiert“ gewesen. Außerdem sei das mögliche Vergehen „bereits verjährt“. Man sei deshalb den Hinweisen nicht weiter nachgegangen.

Klinikchef Martin Costa hingegen bemüht den Konjunktiv. „Angenommen“, die „geschilderten Ereignisse“ seien „zutreffend“, hieße das, dass „ganz offensichtlich eine akut lebensbedrohliche Situation“ bestanden habe. „Auch die Verlegung eines Patienten nach Konstanz – ungeachtet seines Aufenthaltsstatus’ in der Schweiz – wäre medizinisch verantwortungsvoll und völlig in Ordnung gewesen.“

Denn: „Die Erfüllung derartiger lebensrettender Maßnahmen ist in jedem Fall höher zu gewichten als irgendwelche aufenthaltsrechtlichen Sachverhalte.“ Die Überführung in einem Krankenwagen wäre, gesteht er ein, „formal sicher unkorrekt und ein Fehler gewesen.“ Ebenso ein in Kreuzlingen ausgestellter Totenschein. Das aber sei nach „zehn Jahren bedauerlicherweise nicht mehr restlos nachzuvollziehen“.