Exklusiv Geschmuggelte Leichen, gefälschte Arztbriefe, gesundheitsgefährdende Röntgengeräte: Immer wieder hatten die Behörden von Missständen und Verdachtsmomenten gegen die beiden Herzzentren in Konstanz und Kreuzlingen erfahren – passiert ist praktisch nichts.

Konstanz/Kreuzlingen - Am Anfang ging es um einen Chirurgen aus der Schweiz, der jahrelang ohne Approbation in Deutschland operiert haben soll. Der Mann war in Zürich schon verurteilt worden, weil er einen kapitalen Kunstfehler begangen hatte. Dann gesellte sich eine falsche Ärztin dazu, die offenkundig Rettungsdienste absolviert und wohl auch in den Herzzentren Konstanz und Kreuzlingen Dienste gemacht hatte. Zuvor hatte sie in Bayern und in der Schweiz gearbeitet. Danach kam die Sache mit den menschlichen Herzklappen auf, die aus dem Universitätskrankenhaus Prag stammen sollen und die ohne Zulassung des Paul-Ehrlich-Instituts, dem zuständigen Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, nach Deutschland eingeführt und dort auch verpflanzt wurden. Am 5. Juni gab es deshalb am Herzzentrum Konstanz eine Razzia. Die Staatsanwaltschaft Konstanz nahm Ermittlungen zu diesen drei Punkten auf. Die Anklagebehörde im schweizerischen Zug untersucht den Fall der falschen Ärztin. Doch die Liste der Vorwürfe gegen die beiden privaten Herzkliniken in Konstanz und Kreuzlingen ist noch länger. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Verdachtsmomente auftauchen gegen Dierk Maass, den Gründer und Ärztlichen Direktor des Klinikums, das er mit dem Geschäftsführer und ehemaligen Krankenwagenfahrer Martin Costa und dessen Frau, der Vizedirektorin Antoinette Airoldi, einer ehemaligen Arzthelferin, führt.

 

Vorwürfe um Patiententransfer und geschmuggelte Leichen

Es geht nun auch um gefälschte Arztbriefe, um schlecht besetzte Notdienste in den Kliniken sowie um veraltete, gesundheitsgefährdende Röntgengeräte und um Schimmelbefall in der Kreuzlinger Klinik. Gewichtiger sind die Vorwürfe um den Patiententransfer über eine EU-Außengrenze und um geschmuggelte Leichen. Obendrein sollen die Klinikeigner über In-sich-Geschäfte mit der konzerneigenen Handelsfirma Proventis durch überhöhte Preise für Medizinprodukte hohe Millionengewinne gemacht haben – zu Lasten der Schweizer und der deutschen Kassen sowie des deutschen Steuerzahlers. Und das jahrelang.

Die Klinikleitung bestreitet weitgehend die Vorwürfe. Manche jedoch gibt sie auch zu. So räumt Klinikchef Costa ein, er habe Berichte und Briefe von Ärzten „in Einzelfällen“ auch verändert. Diese habe er „im Rahmen einer administrativen Schlussprüfung“ dabei „auf Vollständigkeit überprüft“ und den Ärzten „ggf.entsprechende Ergänzungsvorschläge unterbreitet“. Dass der Klinikchef damit die ärztliche Schweigepflicht, die Persönlichkeitsrechte von Patienten oder Datenschutzbestimmungen verletzt haben könnte, mag er nicht erkennen. Der Vorwurf der Dokumentenfälschung weise man „entschieden zurück“. Dass das Arztgeheimnis gebrochen worden sei, sei ebenfalls „abwegig, weil Herr Costa als Klinikleiter ebenfalls der gesetzlichen Schweigepflicht“ unterstehe.

Treffen die Anschuldigungen gegen die Verantwortlichen oder zumindest einige von ihnen zu, stellt sich die Frage, warum in all den Jahren niemand etwas mitbekommen hat. Immer wieder gab es Hinweise an Behörden und Strafanzeigen gegen Klinikverantwortliche. Passiert ist so gut wie nichts, dabei mangelt es nicht an Vorfällen:

Zahlreiche Vorfälle in der Vergangenheit

>Im Jahr 2006 werden Berichte südafrikanischer Medien bekannt, nach denen die südafrikanische Firma Cryoscience mindestens 120 Herzklappen zweifelhaften Ursprungs nach Deutschland geliefert haben soll. Sie sollen Toten entnommen worden sein. In den Handel involviert ist ein Chefarzt des Herzzentrums Bodensee, der als Experte für Operationen nach der „Ross-Methode“ gilt. Die Staatsanwaltschaft Konstanz ermittelt, der Südafrikaner wird 2007 zu einer Geldstrafe verurteilt.

>Im Jahr 2009 stellt das Herzzentrum Konstanz beim Regierungspräsidium Freiburg den Antrag, Herzklappen lagern zu dürfen. Dazu gab es auch einen Vor-Ort-Termin, der allerdings erst zwei Jahre später stattfand. Mitarbeiter der Klinik erinnern sich, dass die Beamten die Lagerung der Herzklappen überprüften. Ob es für die Herzklappen eine Zulassung gab, war nicht von Belang. Diese Prüfung sei nicht Aufgabe der Behörde, teilt ein Sprecher mit. Die Klinik sei aber schriftlich gebeten worden, sich diese Bewilligung zu besorgen. Das Herzzentrum versprach, sich darum zu kümmern. Passiert ist offenkundig nichts.

>Im Februar 2011 geht ein umfangreiches Dossier anonym im Stuttgarter Sozialministerium ein. Es enthält eben jene Vorwürfe, die zweieinhalb Jahre später die Öffentlichkeit beschäftigen werden. Aber erst Ende Mai leitet das Ministerium das Papier an die Staatsanwaltschaft Konstanz und an das Regierungspräsidium Freiburg weiter. Die Staatsanwaltschaft nimmt nun Ermittlungen auf – wieder wie 2006 wegen nicht zugelassener Herzklappen. Das Herzzentrum Konstanz legt den Beamten aus Freiburg und den Ermittlern eine Bewilligung der niederländischen BIS Foundation Leiden und der Universitätsklinik Prag für die Einfuhr von Herzklappen in die Schweiz vor. Die Erlaubnis des Paul-Ehrlich-Instituts fehlt noch immer. Im April 2012 wird das Regierungspräsidium von der Staatsanwaltschaft gebeten, „in Sachen Herzzentrum nichts mehr zu unternehmen“.

Im Juni gab es eine Razzia in der Klinik

Aber auch die Strafverfolgungsbehörde lässt sich Zeit. Erst am 5. Juni 2013 gibt es eine Razzia in der Klinik. Bisher sieht die Staatsanwaltschaft Konstanz keinen Grund, ihre Ermittlungen auszuweiten. Angeblich gebe es ein Verfahren gegen Proventis in der Schweiz. Die Staatsanwaltschaft Thurgau gibt sich völlig zugeknöpft. Sie prüfe „alles, was in ihrer Zuständigkeit“ liege, teilt sie mit. Ob tatsächlich Verfahren laufen, erfährt man nicht.

Bleibt die Frage, wer die Klinik eigentlich kontrolliert. Eine einfache Frage, möchte man meinen. Doch eine Antwort ist nicht so leicht zu bekommen. Zusammenfassend stellt sich die Lage so dar: eine echte Aufsicht gab und gibt es nicht. Die beteiligten Behörden erklären sich nur für Teilbereiche zuständig. Das Paul-Ehrlich-Institut etwa kontrolliert die Herzklappen, aber nur auf Antrag einer Pharmafirma. Wer keine Klappen vorlegt, wird auch nicht überprüft.

Die AOK Baden-Württemberg hatte 2003 mit der Herzzentrum Konstanz GmbH einen Versorgungsvertrag geschlossen. Die Krankenkasse weist darauf hin, dass das baden-württembergische Sozialministerium die „Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und den Bedarf“ prüfen und den Vertrag genehmigen muss. Das Sozialministerium wiederum sieht die Aufsichtspflicht „ganz klar“ bei der Kasse – zumindest insoweit, dass der Versorgungsauftrag eingehalten wird. „Uns ist klar geworden, dass sich hier eine Gesetzeslücke auftut“, sagt der Sprecher des Regierungspräsidiums Freiburg. Diese wollen die Beamten nun schnellstmöglich schließen. Man werde sich mit dem Bundesministerium für Gesundheit ins Benehmen setzen, heißt es.