Zum ersten Mal gibt das Ministerium zu, dass die Hesse-Bahn in Weil der Stadt enden könnte. Calw ist sauer.
Stuttgart - Geben Sie sich einen Ruck!“, hatte der Böblinger Landrat am Wochenende an den Verkehrsminister geschrieben. Roland Bernhard hat sich damit eingereiht in das Mantra, das die meisten Weil der Städter, Renninger und Vertreter der Region Stuttgart seit Jahren singen: Hesse-Bahn, ja gerne – aber sie möge in Weil der Stadt enden. Per Brief sandte Bernhard ein Rechtsgutachten, das zeigen sollte, dass das sehr wohl möglich ist.
Der Ruck bleibt aber aus – jedenfalls vorerst. Schon seit 2015 vertrete man nämlich beim Ministerium die Auffassung, dass ein Endpunkt der Hesse-Bahn in Weil der Stadt unter bestimmten Bedingungen durchaus möglich ist. „Daher wurden wir von dem von Böblingen beauftragten Gutachten überrascht“, sagt ein Sprecher des Verkehrsministers Winfried Hermann (Grüne) dieser Zeitung und schiebt sofort nach: „Die Aussagen des Gutachtens sind für das Ministerium inhaltlich nicht überraschend.“ Das hat man so aus Stuttgart noch nie gehört. Noch im Februar hatte das Verkehrsministerium behauptet, die Hesse-Bahn müsse auf jeden Fall bis Renningen fahren – aus förderrechtlichen Gründen.
Springender Punkt ist das Geld. Der Landestopf unterstützt den Bau der Hesse-Bahn nur, wenn die Wirtschaftlichkeit nachgewiesen ist. Den Gutachten zufolge ist sie das nur, wenn in Renningen ein durchgehender Anschluss an die S 60 gewährleistet ist. Das ist dann der Fall, wenn die dieselbetriebene Hesse-Bahn bis Renningen fährt – oder eine S-Bahn bis Calw.
Gretchenfrage: bis Renningen oder nur bis Weil der Stadt?
Die Dieselbahn darf demnach nur dann in Weil der Stadt enden, wenn jetzt schon feststeht, dass auf jeden Fall einmal die S-Bahn nach Calw verlängert wird. Das sei doch der Fall, findet der Böblinger Landrat – spätestens, seit das Gutachten publik wurde, wonach eine S-Bahn-Verlängerung wirtschaftlich und von großem Nutzen ist. „Das ist doch die Gretchenfrage: Bauen wir die Bahn bis Renningen oder nur bis Weil der Stadt?“, hatte Roland Bernhard in den vergangenen Tagen mehrfach betont.
In Stuttgart ist man noch lange nicht so weit. „Vorher sind noch Antworten auf zahlreiche aufgeworfene fachliche Fragen zu finden“, sagt Axel Dürr, der Sprecher des Verkehrsministeriums. Es stehe noch nicht einmal fest, ob später mal ein Wasserstoffzug fährt, ob die S-Bahn-Linie 6 verlängert wird oder eine Express-S-Bahn bis nach Calw fährt. „Vor allem müssen wir zuerst eine gemeinsame politische Festlegung aller Beteiligten erreichen“, erklärt Dürr.
Eine solche Festlegung gibt es in der Tat noch nicht. Im Nordschwarzwald jedenfalls ist man stinksauer, dass alle über Calw reden, aber offenbar niemand mit Calw. „Es ist schon überraschend, dass der Landkreis Böblingen ein Gutachten zum vorläufigen Betrieb der Hesse-Bahn bis Weil der Stadt in Auftrag gibt, ohne uns als Vorhabenträger davor zu informieren“, sagt Calws Landrat Helmut Riegger (CDU) unserer Zeitung. Man halte sich an Vereinbarungen – und die würden vorsehen, dass die Bahn bis Renningen fährt. „Dass dieses Gutachten veröffentlicht und im Verkehrsausschuss des Böblinger Kreistags vorgestellt wurde, ohne uns davor einzubeziehen, ist bedauerlich“, findet Riegger. „Ich hätte schon erwartet, dass der Landkreis Böblingen uns früher informiert und nicht erst nach Vorliegen des Rechtsgutachtens.“
Jetzt geht es darum, die Gesprächsfäden wieder aufzunehmen und zu entscheiden, was man wirklich will. „Bis dahin ist es noch ein Stück Weg für alle Beteiligten“, dämpft Axel Dürr vom Verkehrsministerium zu schnelle Erwartungen. „Dann kann das Ministerium eine konkrete und verbindliche Aussage zur förderrechtlichen Frage treffen.“ Der Böblinger Landrat Roland Bernhard jedenfalls zeigte sich am Donnerstag zuversichtlich, dass das bald gelingt. Nachdem er die Antwort des Ministers bekommen hatte, ließ er ausrichten: „Wir freuen uns, dass das Verkehrsministerium grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet hat, eine Hesse-Bahn nur bis Weil der Stadt zu fördern.“
Verband Region Stuttgart fordert mehr Einsatz des Ministers
Mehr Engagement des Verkehrsministeriums erwartet man auch beim Verband Region Stuttgart (VRS). Dieser Verband verantwortet die S-Bahn. „Wenn man den Menschenverstand einschaltet, liegt es nahe, die S-Bahn nach Calw zu verlängern“, sagte der Regionalrat Rainer Ganske (CDU) am Mittwoch bei der Sitzung des VRS-Verkehrsausschusses. „Der Minister muss endlich den Sprung wagen.“ Es zeige sich, wie sinnlos alle Investitionen in eine dieselbetriebene Hesse-Bahn seien, ergänzte die Leonbergerin Monika Hermann (SPD). „Es bleibt zu hoffen, dass der Landrat aus Calw nicht die Wahrung seines Gesichts über die Vernunft stellt.“ Gleich die S-Bahn zu bauen, spare erheblich Geld, fand auch der Freie-Wähler-Vertreter Bernhard Maier aus Renningen. „In Calw gibt es immer noch Leute, die den Schuss nicht gehört haben“, sagt er.
Auch beim VRS will man die Gespräche mit dem Land und den Landkreisen Calw und Böblingen zu einer S-Bahn-Verlängerung bis Calw fortführen. Einstimmig beschlossen das alle Fraktionen.