Reportage: Robin Szuttor (szu)

Marcus Zierle, 44, ist Tonmeister im wiederbelebten Studio. „Ich habe noch nie so eine beeindruckende Eigenakustik gehört“, sagt er. „Heutzutage sind die Studiosounds crispy und durchsichtig. Der Klang hier ist völlig anders: älter, wärmer, schöner. Man kommt sich vor wie in einer Zeitkapsel.“ Brunner-Schwer war kein gelernter Tontechniker. Er ging empirisch vor. „Er hat so lange ausprobiert, bis es seinen Ohren gefiel. Das macht es einzigartig“, sagt Zierle. Der Chef platzierte zum Beispiel Mikrofone im Bösendorfer-Resonanzraum. Das Resultat war revolutionär: keine Verzerrungen, aber ein Hörerlebnis, als sitze man mitten im Flügel.

 

Das Studio selbst war ein einziges Experimentierfeld, das vom normalen Büro zum High-End-Soundlabor verwandelt wurde. Es trägt noch die 60er Jahre in sich: bundeswehrgrüne stoffbespannte Wände, graue Linoleumböden, stahlblaue schwere Wollvorhänge vor zugemauerten Fenstern. Die tragbaren Klangtrennwände sind auch original. Und die Lochplatten an der Decke. „Wahrscheinlich ist alles noch mit Glaswolle oder Ähnlichem hinterfüttert – ich will es gar nicht genau wissen“, sagt Zierle. Das Wanddekor aus tausend filigranen Holzleistchen sieht nicht nur hübsch aus, es ist ein akustischer Diffusor und schenkt dem Tonmeister ungetrübte Richtungsorientierung im Stereobild. Auch beim Interieur wurde so lange herumgemacht, bis es den Klangwünschen des Chefs genügte. Geld war ja genug da.

Der Vater Geiger, die Mutter Saba-Erbin

Hans Georg Brunner-Schwer wuchs großbürgerlich auf. Sein Vater war ein erstklassiger Geiger, seine Mutter Erbin von Saba (Schwarzwälder Apparate Bau Anstalt). In den 50er und 60er Jahren war er für die technischen Entwicklungen bei dem Rundfunkgerätehersteller verantwortlich, später wurde er Geschäftsführer. Der Jazzfreund spielte nur leidlich Klavier, erfolgreicher tüftelte er mit Mikrofonen. Anfang der 60er lud er Stars wie Duke Ellington und Teddy Wilson in seine Villa, um private Aufnahmen einzuspielen.

1963 war der große Oscar Peterson zu einem Hauskonzert da. Er spielte am Steinway-Flügel im Wohnzimmer vor kleinem Publikum, begleitet von Ray Brown und Ed Thigpen. Sie ahnten nicht, dass Brunner-Schwer derweil am Mischpult im Dachgeschoss saß und mitschnitt. Als man ihm das Band vorspielte, soll Peterson platt gewesen sein: „So habe ich mich noch nie gehört.“ Von da an kam er jedes Jahr für Aufnahmen nach Villingen. Er war einer der ersten, die das jungfräuliche Tonstudio einspielten.

Das „Grove Dictionary of Jazz“ würdigte die Aufnahmen aus Villingen als die abwechslungsreichsten in ganz Europa. Viele LPs bekamen Auszeichnungen wie den „Grand Prix du Disque“ oder den „Preis der Deutschen Akademie für Schallplatte“. Heute klettern die Euro-, Yen- und Dollarkurse solcher Scheiben auf Allzeithochs. Das liegt an der musikalischen Qualität. Das liegt auch an der Technik in einem der innovativsten Tonstudios jener Zeit. 50 Jahre später laufen hier wieder die Aufnahmemaschinen. Es geht weiter in alter Frische.

Ein Hörerlebnis, als sitze man mitten im Flügel

Marcus Zierle, 44, ist Tonmeister im wiederbelebten Studio. „Ich habe noch nie so eine beeindruckende Eigenakustik gehört“, sagt er. „Heutzutage sind die Studiosounds crispy und durchsichtig. Der Klang hier ist völlig anders: älter, wärmer, schöner. Man kommt sich vor wie in einer Zeitkapsel.“ Brunner-Schwer war kein gelernter Tontechniker. Er ging empirisch vor. „Er hat so lange ausprobiert, bis es seinen Ohren gefiel. Das macht es einzigartig“, sagt Zierle. Der Chef platzierte zum Beispiel Mikrofone im Bösendorfer-Resonanzraum. Das Resultat war revolutionär: keine Verzerrungen, aber ein Hörerlebnis, als sitze man mitten im Flügel.

Das Studio selbst war ein einziges Experimentierfeld, das vom normalen Büro zum High-End-Soundlabor verwandelt wurde. Es trägt noch die 60er Jahre in sich: bundeswehrgrüne stoffbespannte Wände, graue Linoleumböden, stahlblaue schwere Wollvorhänge vor zugemauerten Fenstern. Die tragbaren Klangtrennwände sind auch original. Und die Lochplatten an der Decke. „Wahrscheinlich ist alles noch mit Glaswolle oder Ähnlichem hinterfüttert – ich will es gar nicht genau wissen“, sagt Zierle. Das Wanddekor aus tausend filigranen Holzleistchen sieht nicht nur hübsch aus, es ist ein akustischer Diffusor und schenkt dem Tonmeister ungetrübte Richtungsorientierung im Stereobild. Auch beim Interieur wurde so lange herumgemacht, bis es den Klangwünschen des Chefs genügte. Geld war ja genug da.

Der Vater Geiger, die Mutter Saba-Erbin

Hans Georg Brunner-Schwer wuchs großbürgerlich auf. Sein Vater war ein erstklassiger Geiger, seine Mutter Erbin von Saba (Schwarzwälder Apparate Bau Anstalt). In den 50er und 60er Jahren war er für die technischen Entwicklungen bei dem Rundfunkgerätehersteller verantwortlich, später wurde er Geschäftsführer. Der Jazzfreund spielte nur leidlich Klavier, erfolgreicher tüftelte er mit Mikrofonen. Anfang der 60er lud er Stars wie Duke Ellington und Teddy Wilson in seine Villa, um private Aufnahmen einzuspielen.

1963 war der große Oscar Peterson zu einem Hauskonzert da. Er spielte am Steinway-Flügel im Wohnzimmer vor kleinem Publikum, begleitet von Ray Brown und Ed Thigpen. Sie ahnten nicht, dass Brunner-Schwer derweil am Mischpult im Dachgeschoss saß und mitschnitt. Als man ihm das Band vorspielte, soll Peterson platt gewesen sein: „So habe ich mich noch nie gehört.“ Von da an kam er jedes Jahr für Aufnahmen nach Villingen. Er war einer der ersten, die das jungfräuliche Tonstudio einspielten.

Oscar Peterson, Aufnahme im MPS-Studio 1970

Über zehn Jahre wurde es in mehreren Schüben immer weiter verfeinert. Brunner-Schwer besorgte sich das Beste, was damals an Studiotechnik produziert wurde – und das kam von Siemens und Telefunken. Diese Geräte baute er aber nicht ein, sondern ließ sie von den Spezialisten in den Saba-Werkstätten analysieren. Die pickten sich die technischen Raffinessen raus, modifizierten Schwachstellen, krönten das Ganze dann noch mit eigenen Ideen. Ein Handarbeits-Studio. Selbst die Knöpfe und Schieber am Pult sind mit Rubbelbuchstaben beschriftet. Eine präzise Arbeit. Dafür dürfte sich ein Lehrling schwer abgemüht haben.

Schwarzwälder Luft für die Jazzer

Für viele Villinger Bürger war es eine sehr beunruhigende Sache, was da Anfang der 60er in diesem Saba-Studio vor sich ging. Was man da für Geschichten hörte. Und was man so sah: einen Schwarzen nach dem anderen.

Dann diese LSD-Musik. In den Studioräumen wurde alles konsumiert, was der Rauschgiftmarkt so hergab. Eine Spurenanalyse der alten Wollvorhänge reichte wohl heute noch für ein Jahr Haft. „Damals war das normal, jetzt trinken die Musiker nur noch Wasser oder ein Glas Tee“, sagt Friedhelm Schulz, 62, der Geschäftsführer und Mitgesellschafter der HGBS Musikproduktion.

Lee Konitz, Pony Poindexter, Phil Woods und Leo Wright, Aufnahme im MSP-Studio 1968

Zur weiteren Inspiration der Künstler trug die frische Schwarzwaldluft bei. Brunner-Schwer kutschierte seine Gäste durchs Glottertal, zeigte ihnen den Feldberg, daheim wartete dann seine Frau Marlies mit einem Rehrücken und Spätzle auf die Ausflügler. Kurz: Villingen war eine Märcheninsel für Oscar Peterson, Jean-Luc Ponty, Dizzy Gillespie, Monty Alexander, Earl Hines, Richard Davis, Stephane Grappelli, Phil Woods, Leo Wright, Charly Antolini, George Duke und all die anderen.

Stephane Grappelli, Aufnahme im MPS-Studio 1971

1968 wurde Saba vom US-Konzern GTE gekauft, die Amis zeigten kein Interesse an den Schallplattenproduktionen. So gründete Brunner-Schwer das Label MPS (Musik Produktion Schwarzwald), in das alle bisherigen Saba-Veröffentlichungen einflossen. Rund 1000 Aufnahmen sind insgesamt entstanden: Vor allem Jazz, aber auch Volksmusik und Klassik. Friedrich Gulda, der beste Mozartinterpret seiner Zeit, nahm in den 70ern exklusiv für MPS auf. Für ihn wurde der Bösendörfer Imperial mit Subkontra-Oktave gekauft. Gulda soll „Das Wohltemperierte Klavier“, Johann Sebastian Bachs Sammlung von Fugen- und Präludien, ohne einen Fehler eingespielt haben, das erzählt man sich noch heute.

Brunner-Schwer holte nicht nur Stars. Er machte auch Stars, indem er vielen Talenten überhaupt erst die Chance gab, ein Album aufzunehmen. Heute kann das jeder mit ein paar Euro, damals war eine Platten-Produktion sehr teuer. Viele schafften durch ihn den Durchbruch: Albert Mangelsdorff, Wolfgang Dauner, Peter Herbolzheimer – sie hielten MPS immer die Treue.

Vor vier Jahren wurde das Villinger Studio vom Land als Kulturdenkmal geadelt. Eine gute Starthilfe für den Neubetrieb. So zählt die Ampex-Mehrspurmaschine heute genauso zum schwäbischen Kulturgut wie das Kabelwerk mit Großtuchelsteckverbindungen, das seit Jahrzehnten hinter der Tür hängt. Die Kreuzschienenverteiler mit den Goldkontakten sind schon rein materiell ein Vermögen wert. Das Regiepult scheint aus Panzerstahl gefertigt, an den Kanten hat es ein Lederpolster, damit man sich nicht die Ellbogen strapaziert. „Alles ist für die Ewigkeit gebaut“, sagt der Tonmeister Zierle. „Nur den neuen Rechner für die digitale Abmischung kann ich nach fünf Jahren wieder wegschmeißen.“

Mikrofon-Schätze aus dem Lager

Der größte Schatz sind vielleicht die Neumann-Mikrofone, noch die der alten Generation, erkennbar an der lila Raute. „Davon haben wir noch einige rumliegen“, sagt Friedhelm Schulze. Die hellbraunen Veloursledersessel würden gut in einem Designmuseum stehen. Aber Schulze darf sie nicht verkaufen. Er muss auf sie achtgeben, denn sie gehören zum Denkmal Tonstudio wie die Hängelampen, die als leuchtend-rote Ufos über der cognacfarbenen Ledergarnitur schweben.

Das einzige, was einen neuen Anstrich bekam, war die nikotingelbe Wand an der Bar, wo vielleicht Pony Poindexter oder Horst Jankowski „Closter Mandarine“ süffelten oder die Uraltflasche „Dornkaat“ leerten, die da noch rumsteht. Jetzt sitzen die Jazzer der Band Bounce auf den Hockern und beginnen ihren Werktag. Sie spielen eine CD ein, drei Tage sind geplant. „Das mag sich esoterisch anhören, aber man spürt die Vibrations der Leute, die hier früher gespielt haben“, sagt der Trompeter Julian Hesse.

1982 verkaufte Brunner-Schwer das MPS-Label an die damalige Polygram. Im Studio wurde es still. 2004 starb der Vater der Villinger Jazzbewegung bei einem Autounfall. Sechs Jahre nach seinem Tod zog wieder Leben ein. „Man muss innerlich dafür brennen“, sagt Friedhelm Schulz, der zusammen mit Brunner-Schwers Sohn Mathias den Laden nun wieder zum Laufen bringt. Schulz kam Anfang der 70er nach Villingen, fand bald Anschluss an die Jazzszene um Brunner-Schwer, schrieb ein paar Texte für Bands. 2010 bekam er von der Erbengemeinschaft die Erlaubnis, das Studio weiterzuführen. „Wir wollen Jazz und Klassikaufnahmen in herausragender Qualität platzieren, gern auch Experimentelles“, sagt er. Da wächst wieder was Spezielles heran.

Auf Wunsch sind komplett analoge Aufnahmen möglich, über das Mastertape zur Vinylscheibe. Für das eigene Label produziert Schulz ein Dutzend Künstler pro Jahr: den ungewöhnlichen Baby Sommer, die geschmeidige Gee Hye Lee, den coolen Frank Kuruc. Manche brauchen ein paar Stunden für eine Platte, manche ein paar Tage. Bounce lassen an diesem Nachmittag das Saxofon keuchen, die Trompete singen, das Schlagzeug grooven, den Bass laufen. Zierle, der Tonmeister, sitzt am Pult. Die Jazzer spielen ohne Noten, ohne Schnitte. Danach hören sie sich ihr Lied an: Wenn es noch irgendwo hakt, spielen sie noch mal. Aber es klingt schon gut.