Ein trockener Alkoholiker erzählt, wie ihn die Caritas-Suchtberatungsstelle in Backnang unterstützt hat. Die Einrichtung gibt es seit 35 Jahren. Sie hat seither rund 19 000 Frauen und Männern geholfen.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Backnang - Das erste Mal getrunken hat er mit 13. Apfelkorn bis zum Abwinken. „Das war cool“, sagt der heute 51-jährige Mann aus Backnang. Der gebürtige Hamburger lebte damals in einem Kinderheim in Waiblingen. In der Schule sei er der Außenseiter gewesen, „aber wenn ich gesoffen habe, dann habe ich zur Klassengemeinschaft gehört“.

 

Dazugehören – das ist sein Lebensthema. Als Baby war er von den Eltern abgegeben und vom Jugendamt in das Heim weit im Süden der Republik gesteckt worden. In ein Heim, das sich für ihn damals, Ende der 1960er-Jahre, angefühlt hat „wie Knast“.

Seine Gefühle betäubt der junge Mann mit Schnaps

Alkohol wird für den gebürtigen Hanseaten zum Alltagsbegleiter. Immer, wenn es ihm nicht gut geht, wird gesoffen. Und wenn er sich besser fühlt, dann meistens auch. Während des Zivildiensts in einem Krankenhaus habe er ständig „Leichen in den Keller gekarrt“. Seine Gefühle betäubt der junge Mann mit Bier und mit Schnaps. Die Geburt des ersten Sohnes 1988 überfordert ihn, und er trinkt.

Beruflich indes läuft es: Studium der Betriebswirtschaftslehre, Einstieg bei einem kommunalen Unternehmen in der Region, wo der Mann nun – längst ist er trockener Alkoholiker – in leitender Funktion arbeitet. Dass er ein massives Alkoholproblem hat, streitet er lange ab. „Ich dachte damals wirklich, dass ich alles im Griff habe. Ich habe doch bloß Ärger wegen der nervenden Frau und wegen der Kinder. Total bescheuert – aber damals hab’ ich das so gesehen.“ Warum findet er trotz dieser Einstellung den Weg zu Suchtberatungsstelle der Caritas in Backnang? Weil ihm mehrmals der Führerschein abgenommen wird – wegen Alkohol am Steuer. Einmal habe er sogar versucht, den Polizisten, die ihn schließlich schnappten, davonzufahren. Danach habe er allen Ernstes angeboten, die Beamten mit viel Geld zu bestechen.

Ein Selbstentzug ist nicht ungefährlich

Mit dem Trinken hört er zunächst nur wegen der anstehenden Gerichtsverhandlung auf, um ein milderes Urteil zu bekommen. Der Sozialarbeiter und Therapeut Wolfgang Geisbühl von der Caritas-Beratungsstelle spricht von einem Selbstentzug, der nicht ungefährlich sei. Der 51-Jährige erinnert sich an Schweißausbrüche. Auch der Besuch der sogenannten Motivationsgruppe der Einrichtung sei kühl kalkuliert gewesen, gibt er zu: „Du hörst auf zu saufen, aber nur bis zum Urteilsspruch.“

Doch alles kommt anders. Während der ambulanten Therapie heißt es: auch Rauchen ist tabu. Er pafft trotzdem und erklärt auf Nachfrage: „Die Zigaretten schmecken“, wird des Raumes verwiesen und beschließt, auszusteigen aus der Therapie. Die Konsequenz indes bedeutet: ab in den Knast, denn der Richter hat die Therapie zur Auflage gemacht. Der Klient besinnt sich, kommt zurück in den Therapieraum, fragt nach, ob er doch wieder mitmachen darf. Geisbühl sagt damals: „Selbstverständlich.“ Das ist der Einstieg in die Abstinenz. Der ehemalige Trinker sagt: „Der Start in ein völlig anderes Leben.“ Er habe gelernt, auf sich zu achten, „mich nüchtern auszuhalten“. Er besucht Selbsthilfegruppen, viele Jahre lang. Heute leitet er so eine Gruppe in Backnang. Geisbühl, der die Caritas-Beratungsstelle vor 35 Jahren mit aufgebaut hat, sagt: „Für die Abstinenz muss man ein Leben lang etwas tun.“

Fachleute sprechen vom Suchtgedächtnis

Kontrolliert trinken? Geht das? Nein, sagt der Ex-Trinker. Er trinkt nicht mal alkoholfreies Bier. „Das Risiko wäre mir zu groß.“ Fachleute sprechen vom Suchtgedächtnis, sie raten sogar ab vom Trinken aus Flaschen, auch aus Sprudelflachen.

Früher hat sich der 51-jährige Mann aus Backnang regelmäßig mit Alkohol belohnt. Und heute? „Ich gehe mit meiner Frau gut essen, oder wir machen eine schöne Reise.“ Außerdem habe er das Laufen entdeckt. Sport, sagt er, „geht immer.“

Hilfe und Vermittlung

Anfänge
Im Herbst 1980 ist die Psychosoziale Beratungsstelle für Suchtkranke, Suchtgefährdete und Angehörige in Backnang eröffnet worden. Der 35. Geburtstag der Einrichtung wurde kürzlich gefeiert. Der Sozialarbeiter Wolfgang Geisbühl hat die Beratungsstelle mit aufgebaut. Bis dato haben rund 19 000 Klienten die Hilfen der Einrichtung in Anspruch genommen. Etwa 2000 Männer und Frauen wurden in Rehabilitationseinrichtungen vermittelt.

Angebote
Die Beratungsstelle hat auch offene Angebote im Programm, etwa die Informationsgruppe dienstags um 19 Uhr.