Jede sechste Frau leidet unter dem Psychoterror durch ihren Partner. Dies zu beweisen ist für die Opfer sehr schwierig, und meist ist ihr Selbstwertgefühl zerstört. Der Verein Frauen helfen Frauen kann helfen und klärt in Schulen und Kitas über häusliche Gewalt auf.

Lokales: Sybille Neth (sne)

Drei sehr unterschiedliche Frauen: die junge Mutter in der Erziehungspause, die Journalistin Mitte fünfzig und die alte Dame um die achtzig. Eines verbindet sie. Alle drei sind Opfer psychischer Gewalt durch ihre Partner geworden. Somit haben sie alle das gleiche Schicksal: Sie können ihr Leiden nicht beweisen. „Wir hören in der Beratungsstelle häufiger, dass Frauen, die dem Psychoterror ihres Partners ausgesetzt sind, sagen, dass sie lieber Schläge in Kauf nehmen würden, weil sie dann die Polizei rufen könnten“, berichtet Anna Feistritzer vom Stuttgarter Verein Frauen helfen Frauen. „Psychische Gewalt wird oft als noch schlimmer beschrieben als körperliche Gewalt, weil psychische Gewalt nie aufhört. Es gibt keine Pause“, weiß ihre Kollegin Iris Enchelmaier aus Gesprächen mit betroffenen Frauen.

 

Das Selbstwertgefühl geht kaputt

Wenn ein Opfer den Weg in die Beratungsstelle im Stuttgarter Süden an der Römerstraße gefunden hat, ist schon der erste große Schritt gemacht. Denn die Mitarbeiterinnen des Vereins kennen die juristischen Möglichkeiten, die es für psychische Misshandlungen gibt – auch wenn es wenige sind. Tatsächlich zerstören die Erniedrigungen, Demütigungen und Drohungen – bis hin zur Morddrohung – das Selbstwertgefühl der Frauen, und das hindert sie daran, Hilfe zu suchen.

So beteuert Julia S. (Name geändert) im Gespräch immer wieder, dass sie doch eine gute Mutter sein wolle. Das ist sie. Aber der Albtraum, den sie derzeit mit ihrem Kind im Ausland durchlebt, lässt sie an sich selbst zweifeln. Der gut aussehende, reiche Mann war ihr Märchenprinz gewesen. Lange hatte sie eine Fernbeziehung geführt, dann war sie zu ihm gezogen. Doch nach der Geburt des gemeinsamen Kindes verwandelte er sich in ein Monstrum. Er sperrte sie und das Kind in seiner Villa ein, überwachte sie rund um die Uhr und warf ihr ständig vor, das Baby zu vernachlässigen. Sein Ziel: Die junge Frau für psychisch krank erklären zu lassen und ihr das Kind wegzunehmen. Mit Hilfe einer Frauenorganisation im Heimatland des Mannes gelang Julia S. mit dem Kind die Flucht zurück nach Deutschland. Doch das deutsche Familiengericht entschied, dass sie mit dem Kind in das Land des Kindsvaters, mit dem sie nicht verheiratet ist, zurückkehren müsse, bis dort alles juristisch geklärt sei. Jetzt bangt sie im Ausland, wie die Entscheidung ausfällt.

Große Angst um die Kinder

Die Angst, dass ihnen die Kinder weggenommen werden, hindert viele Frauen daran, sich Hilfe zu suchen. So erging es auch der Journalistin Anke T. (Name geändert). Die selbstbewusste und weltgewandte Frau erlebte nach der Geburt des zweiten Kindes ebenfalls die Verwandlung ihres Ehemannes vom Charmeur in einen Menschen, der sie erklärtermaßen juristisch und materiell vernichten will. Deshalb versucht er dies auch nach der Scheidung immer wieder. Als die Situation vor Jahren eskalierte, wandte sie sich an einen Rechtsanwalt. Der riet ihr lediglich, bei ihrem Ehemann zu bleiben, weil sie sonst die Kinder an ihn verlieren würde.

„Solche Männer können sich oft gut präsentieren, zum Beispiel vor Gericht. Das habe ich selbst schon erlebt“, erzählt Anna Feistritzer. Sie erinnert sich in diesem Zusammenhang an Frau N. (Name geändert), die sich nach jahrzehntelanger Ehe mit einem Mann in ranghoher Position befreite: Tagtäglich hatte sie zu hören, dass sie dumm und komplett unfähig sei. Psychische Gewalt bewirkt bei den Opfern oft eine Art Gehirnwäsche. Sie glauben am Ende tatsächlich, dass sie nichts zustande bringen, dass sie wirklich psychisch krank oder labil sind. „Die Frauen sind durch ihr zerstörtes Selbstwertgefühl so verunsichert, dass sie nicht daran glauben, nach einer Trennung ein selbstständiges Leben zu meistern“, so die Erfahrung von Iris Enchelmaier.

Erste Alarmzeichen erkennen

Häusliche Gewalt beginnt schleichend, und deshalb gelte es, die ersten Warnzeichen zu erkennen. Bei Anke T. war es der Moment, als ihr Ex-Mann eifersüchtig auf das jüngere der Kinder wurde. Julia S. weiß nun, dass der Albtraum damit begann, dass ihr Partner ihr Handy kontrollierte und ihr den Autoschlüssel abnahm. Die Männer stellen sich dabei gerne selbst als Opfer dar: „Hättest du nicht mit deiner Freundin telefoniert, wäre ich nicht so sauer geworden“, so ein häufiges Muster, das die Sozialpädagoginnen in der Beratungspraxis von den Frauen zu hören bekommen. Besonders wichtig sei es, solche ersten Anzeichen als solche deuten zu können und alle Vorkommnisse in einer Art Tagebuch zu protokollieren.

Wie schwierig psychische häusliche Gewalt zu fassen ist und wie wenig Aufmerksamkeit das Problem in der Öffentlichkeit erhält, zeigt sich auch daran, dass es vom Bundesministerium für Familie nur eine einschlägige Studie gibt, und die stammt aus dem Jahr 2014. Hier wird davon ausgegangen, dass jede sechste Frau unter psychischer Gewalt leidet und jede 15. sogar unter extremer psychischer Gewalt. Wird die Polizei gerufen, dann kann sie nicht eingreifen. Wenn allerdings die Kinder nachweislich unter den häuslichen Zuständen leiden, gibt es bei verheirateten Paaren durchaus eine rechtliche Handhabe.

Aufklärung in Schulen und Kitas

Damit häusliche Gewalt im Keim erstickt wird, startet der Verein Frauen helfen Frauen eine Informationskampagne in den Schulen und sogar schon in den Kitas. In geschlechtergetrennten Gruppen, aber auch im gemeinsamen Gespräch mit Mädchen und Jungen wird diskutiert, wo die Grenzen sind, die die Persönlichkeit des anderen Menschen verletzen, welche Warnsignale es gibt, dass die Situation in Gewalt ausarten kann.

Die Kinder sind immer auch die Leidtragenden häuslicher Gewalt. 95 Prozent der Frauen, die bei Frauen helfen Frauen Rat suchen oder einen Platz im Frauenhaus benötigen, haben als Kinder Gewalt erfahren. Diesen Kreis gilt es zu durchbrechen. Anna Feistritzer erzählt, welche drastischen Konsequenzen psychische Gewalt im Haushalt auslösen kann: „Ich erinnere mich an ein Kind, das im Frauenhaus im Alter von drei Jahren zum ersten Mal gesprochen hat.“

Kontakt Frauen helfen Frauen e. V., Römerstraße 30, 70180 Stuttgart. Tel.: 07 11 / 65 83 56 69, E-Mail-Adresse: verein@fhf-stuttgart.de, Notfallnummer Frauenhaus: 07 11 / 54 20 21.