Gehörlose Eltern sowie Elternbeiräte müssen Dolmetscher für Elternabende oder Infoabende aus eigener Tasche zahlen. Unsere Zeitung hatte im Juli darüber berichtet, jetzt übernimmt die Stadt Stuttgart bis auf weiteres die Kosten für Gebärdendolmetscher.

Stuttgart - Gehörlose Eltern von Kita-Kindern sind von Gesprächen mit Erzieherinnen oder beim Elternabend ausgeschlossen. Es sei denn, sie investieren aus eigener Tasche pro Stunde 75 Euro für eine Gebärdendolmetscherin oder einen -dolmetscher. Künftig zahlt die Stadt.

 

Kita wies gehörlose Eltern ab

Unsere Zeitung hatte im vergangenen Jahr über die Schwierigkeiten von Janina Dieudonné berichtet. Die 29-Jährige ist Mutter einer inzwischen zweijährigen, hörenden Tochter. Das Kind war von einer Kita abgelehnt worden, weil die Kita die Verständigung mit der Mutter und dem schwer hörenden Vater für unmöglich erachtet hatte. Sozialamt und Jugendamt hatten Kostenerstattung für Dolmetscher abgelehnt, und Geld gab es auch nicht vom städtischen Behindertenbeauftragten, „weil mir kein Budget zur Verfügung steht“, sagt Walter Tattermusch.

Teil der Elternbildung

Gleichwohl sei diese Situation „nicht hinnehmbar“, teilt Tattermusch mit. Er habe nach Lektüre des Artikels eine Reihe von Gesprächen geführt, „um auf dieses gravierende Problem hinzuweisen und für eine Lösung zu werben“. Denn Elternabende und Elterngespräche bildeten „die klassische Form der Elternarbeit im Kindergarten“ und dienten nicht nur der Information, sondern auch der Elternbildung. Das Thema sei schließlich im Rahmen der Haushaltsplanberatungen angesprochen worden, die SPD-Fraktion bat die Verwaltung um einen Lösungsvorschlag.

Stiftungsmittel für Dolmetscherkosten

Auf Anfrage teilt Werner Wölfle, Bürgermeister für Soziales und gesellschaftliche Integration mit, dass man Folgendes vorschlage: Gehörlose Eltern von Kindern in Kindertageseinrichtungen erhalten von der Stadt die notwendigen Kosten für Gebärdendolmetscher(innen) für die Teilnahme an Elternabenden, Sprechstunden oder entsprechenden Veranstaltungen ersetzt, die Kosten sollen aus Stiftungsmitteln finanziert werden. Den Antrag auf Kostenerstattung müssten gehörlose Eltern beim Träger der Kita stellen, die Zuständigkeit liege dann beim Sozialamt. Tattermusch begrüßt den Vorschlag: „Damit haben wir eine Lösung gefunden, die den gehörlosen Eltern von Kita-Kindern in Stuttgart hilft.“

Beim Landesverband der Gehörlosen ist man erleichtert. „Die Stadt Stuttgart geht damit einen beispielhaften Schritt für das ganze Land. Das Problem wurde erkannt, es wurde nach einer einfachen, unkomplizierten Lösung für die Eltern und die Stadt gesucht – und gefunden“, so der Landesvorsitzende Wolfang Reiner. Er hoffe jedoch, dass das Land „bald nachzieht“.

Grundproblem ungelöst

Im vergangenem Sommer ist das Thema an Sozialminister Manne Lucha herangetragen worden, der Berufsfachverband der Gebärdensprachdolmetscher(innen) überreichte 5000 Unterschriften. Gefordert wurde „die gesetzliche Verankerung der Übernahme von Dolmetscherkosten bei Elternabenden, Elterngesprächen und Veranstaltungen in Schulen und Kindergärten“ sowie die Erhöhung des Budgets für Dolmetscherkosten, das zurzeit 80 000 Euro für das ganze Jahr und das ganze Land beträgt. „Das Land ist in der Pflicht für die gehörlosen Eltern eine rechtlich saubere und gute Lösung zu schaffen“, meint Reiner.

Zweierlei Maß bei Barrierefreiheit

„Die Landesregierung nimmt die Belange von Menschen mit Behinderung sehr ernst“, teilt der Pressesprecher des Ministeriums, Sebastian Altemüller, auf Anfrage mit, Konsequenzen scheint der Protest der Gehörlosen aber nicht zu haben: „Zusätzliche Mittel sind derzeit aufgrund der Konsolidierungsauflagen leider nicht finanzierbar.“ Die Beauftragte der Landesregierung für Menschen mit Behinderungen sieht das Land ohnehin nur auf dem Schulsektor in der Pflicht. „Ist der Träger einer Kita die Kommune, muss sie die Dolmetscherkosten tragen. Sie ist nach dem Landesbehindertengleichstellungsgesetz seit 2015 zur Barrierefreiheit verpflichtet“, sagt Stephanie Aeffner. Bei freien Kita-Trägern wiederum müssten die Eltern ihren Anspruch auf Mittel aus der Eingliederungshilfe geltend machen. Diese wird allerdings nur abhängig von Vermögen und Einkommen gewährt.

„Sollte die leistungsrechtliche Finanzierung im Zuge der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes verbessert werden, entfällt in Stuttgart die Finanzierung aus Stiftungsmitteln“, kündigt Werner Wölfle an. Ob und wann es dazu kommt, ist noch offen.