Die Musik zu laut, der Geruch zu streng, das Großraumbüro eine Qual: es gibt Menschen, die sind empfindsamer als andere. Im Interview gibt die Expertin Ulrike Hensel Tipps für Hochsensible.
24.08.2014 - 16:37 Uhr
Stuttgart - - Wird Ihnen Musik schnell zu laut? Ein Geruch zu penetrant? Das Großraumbüro eine Qual? Dann sind Sie vielleicht hochsensibel. Etwa 15 bis 20 Prozent der Menschen sollen Studien zufolge ein besonders feines Nervensystem haben. Ob Hochsensibilität als Begabung oder als Belastung empfunden wird, hängt von den Umständen ab, sagt die Expertin Ulrike Hensel.
Frau Hensel, sind wir nicht alle ein bisschen sensibel? Woher kommt Hochsensibilität, und wie viele sind davon betroffen?
Natürlich verfügen alle Menschen über Sensibilität. Unser Nervensystem nimmt Informationen über die Umwelt und den Organismus auf, verarbeitet sie und reagiert darauf. Bei Hochsensiblen liegt aufgrund der angeborenen Konstitution ihres Nervensystems eine stark ausgeprägte Sensibilität vor. Nach den Studien der US-Psychologin Elaine Aron sind das 15 bis 20 Prozent der Menschen – eine Minderheit zwar, aber keine vernachlässigbare.
Sie nennen Hochsensibilität ein Persönlichkeitsmerkmal.
Durch ihre besondere Veranlagung nehmen Hochsensible alle Reize intensiver, feiner und nuancierter wahr. Sie sind im Ganzen empfindsamer. Wichtig: Hochsensibilität ist eine Normvariante, keine Störung, nichts Krankhaftes.
Können Sie Beispiele nennen? Wie nimmt ein Hochsensibler eine Situation wahr im Vergleich mit einem durchschnittlich sensiblen Menschen?
Hochsensible sind deutlich leichter irritierbar und eher reizüberflutet. Der Schwerpunkt liegt allerdings bei jedem etwas anders. Beim einen treten vielleicht besonders Gerüche hervor, beim anderen Geräusche. Ich bringe gern den Vergleich mit Antennen. Hochsensible sind mit feineren Antennen ausgestattet, sie haben einen stärkeren Empfang. Für sie wirkt es, als sei das Radio, das im Hintergrund läuft, lauter gestellt.
Können das auch unbewusste Signale sein, die andere Menschen ausstrahlen? Versteckte Emotionen etwa?
Zu dem, was intensiver wahrgenommen wird, gehören sicher auch die Emotionen des Gegenübers, die sich mitunter in feinster Mimik, der Mikromimik, widerspiegeln: eine winzige Stirnfalte, ein leises Zucken im Mundwinkel. Hochsensible bemerken schon kleine Signale und werten sie aus, oft gar nicht bewusst.
Das erscheint wie eine nützliche Begabung.
Ja, so ist es! Ob Hochsensibilität insgesamt mehr als Begabung oder als Belastung empfunden wird, hängt von den Umständen ab. Wenn Sie an einer Durchgangsstraße wohnen oder in einem Großraumbüro arbeiten, ist ein feines Gehör eine Last. Beim Waldspaziergang oder im Konzertsaal ist es ein Gewinn.