Mehr als zwei Millionen Menschen in Deutschland sind krankhafte Sachen-Sammler. Michael Schröter, ein erfahrener Entrümpelungsprofi, hat in Gauting bei München jetzt eine Messie-Akademie gegründet, die Helfer ausbildet. Doch seine Initiative stößt nicht überall auf Gegenliebe.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Gauting/Stuttgart - Helfer können ein Lied davon singen: Sie sperren eine Wohnung auf und stoßen meterhoch auf Müll. Oft krabbelt Ungeziefer zwischen Essensresten und Papierbergen herum. Meistens zeugt ein unausstehlicher Gestank von der totalen Verwahrlosung. In solchen Wohnungen hausen seelisch kranke Menschen, genannt Messies. Sie können nichts wegwerfen, müssen alles zwanghaft horten. Am Ende sind sie in einer ausweglosen Situation und brauchen Hilfe. Experten gehen davon aus, dass an die zwei Millionen Menschen in Deutschland unter dem Messie- oder Vermüllungs-Syndrom leiden.

 

Echte Hilfe für Messies ist rar

Durch diverse voyeuristische TV-Sendungen („Raus aus dem Messie-Chaos – rein ins Leben“, „Das Messie-Team – Start in ein neues Leben“, „Die Entrümpelungsprofis“) hat es das Thema zu zweifelhaftem Ruhm gebracht. Doch echte Hilfs- und Therapieanfgebnote sind rar gesät. Michael Schröter will das ändern. Der 64-Jährige hat 14 Jahre Erfahrung mit vermüllten Wohnungen und deren Inhabern. An diesem Freitag (14. Oktober) ist die Gründungsfeier seiner Messie-Akademie in Gauting bei München, in der künftig sogenannte Messie-Hilfe-Fachkräfte ausgebildet werden. Die Vision des gelernten Altenpflegehelfers: „Eines Tages soll jeder Betroffene des Messie-Syndroms professionelle und einfühlsame Hilfe erhalten.“

Schröter geht es dabei um praktische Hilfe, um Wohnraumarbeit, wie er es nennt. „Wenn wir Zutritt in die Wohnung eines Messies haben, geht es erst einmal darum, Platz zu schaffen, uns regelrecht eine Schneise durch den Müll zu schlagen.“ Der nächste Schritt sei, die Böden freizubekommen, um Durchgänge zu schaffen und danach Zimmer für Zimmer aufzuräumen. Manchmal stapelt sich Angesammeltes bis fast unter die Decke.

Messies – Könige der Unordnung

Messies sind „Mess“-Meister, Könige der Unordnung (so der englische Begriff). Sie leiden unter zwanghaftem Horten („compulsive hoarding“). Wie der Name schon sagt, ist das Messie-Syndrom eine Form der Zwangsstörung. Diese auch als neurotische Belastungs- und somatoforme Störungen (englisch: obsessive-compulsive disorder, OCD) bezeichneten Erkrankungen zählen zu den besonders schweren seelischen Leiden. Betroffene verspüren innere Zwänge, bestimmte Dinge zu denken und/oder zu tun. Auch wenn diese (wie ein Wasch-, Aufräumzwang und Hortungszwang) als übertrieben und sinnlos erlebt werden, kann man sich ihnen nicht entziehen, wodurch das komplette Leben beeinträchtigt wird.

Nach Schätzungen der Selbsthilfegruppe Anonyme Messies gibt es in Deutschland mehr als zwei Millionen Menschen, die mit chaotischen Zuständen in ihren eigenen vier Wänden, mit Papier- und Müllbergen, Schmutz und Exkrementen, leben. Messies sidn Menschen, die nichts wegwerfen können, ohne etwas von ihrem Selbst aufzugeben. In der Regel fängt es mit ein paar Dingen an, die sich rasch vermehren und irgendwann zu Bergen in der Wohnung auftürmen. Schon bald überfordert die Sammelwut den Horter.

„Animal Hoarding“: Die Tiermessies

Bsonders dramatisch wird die unkontrollierbare Leidenschaft, wenn Lebewesen im Spiel sind. Tierschützer und Veterinäre nennen es „Animal Hoarding“ – Tierhorten oder Tiersammeln. „Es geht um das pathologische Sammeln von Tieren - und zwar in sehr großen Mengen“, sagt Elke Deininger, Veterinärin bei der Akademie für Tierschutz des Deutschen Tierschutzbundes. Bis vor wenigen Jahren sei dieses Phänomen in Deutschland weitgehend unbekannt gewesen, während es in den USA längst als psychische Störung anerkannt ist. Doch seit dem ersten großen Animal-Hoarder-Fall 2003 nehme die Zahl der Fälle kontinuierlich zu.

Diese spezielle Form des Messie-Syndroms ist bisher kaum erforscht. Experten vermuten, dass Vernachlässigungen in der Kindheit oder ein pervertierter Pflegetrieb Ursachen sein könnten. Auch massive seelische Verletzungen und Kränkungen können dazu führen, dass sich ein Mensch derart isoliert und in eine Pseudowelt vergräbt. Die Tiere werden zum Trostspender und Ersatz für fehlende Zuwendung und Kommunikation.„Animal Hoarder sind mehrheitlich Einzelpersonen, die sich von ihrer Umwelt total zurückgezogen haben“,, erläutert Elke Deininger. „Sie schotten sich ab, lassen niemanden in ihre Wohnung.“ So kann es passieren, dass Vermieter und Nachbarn oft jahrelang nichts von dem „Hobby“ des Hausbewohners merken.

Gestank, Ungeziefer und Tonnen von Müll

Grauenhafte Atemluft

Ein besonderes Problem Problem in vermüllten Messie-Haushalten ist die grauenhafte Atemluft. „Zu den seelischen Problemen der Messies treten oft körperliche Beschwerden, vor allem Atemwegserkrankungen“, sagt Michael Schröter. Denn Messies lüften nicht, sie können es oft gar nicht, weil alles in der Wohnung zugestellt ist. Dazu kommt nicht selten der Gestank von verdorbenen Lebensmitteln.

Und natürlich spielt Ungeziefer eine Rolle. Kakerlaken sind noch das geringere Problem. Vor allem in Erdgeschosswohnungen werden auch Mäuse und Ratten Mitbewohner. Schröter erinnert sich an eine Räumaktion, bei der ein Messie mit rund 50 toten und 50 lebenden Mäusen hauste. Die Nagetiere waren vom bestialischen Gestank im Haus angelockt worden. Bei derartigen Extremfällen setzt Schröters Team schon einmal Atemschutzmasken auf.

Bis zu 10 000 Euro kostet die Entmüllung

Doch mit dem Wegbringen von Unrat ist es nicht getan. Zu Schröters Arbeit gehört auch, zusammen mit dem Messie ein Konzept zu entwickeln, damit sich nicht wieder Papierberge und Gegenstände aller Art ansammeln. Ohnedies weiß er, dass hinter dem Messie-Syndrom eine seelische Krankheit steckt. Meist seien die Betroffenen vereinsamt und fühlten sich ausgegrenzt. Sie lassen aus Scham über ihre Unordnung niemanden mehr in ihre Wohnung. „Es braucht oft erst einen Zwischenfall, etwa einen Wasserrohrbruch, damit jemand die Räume des Messies betritt. Die Betroffenen empfinden es dann als Erleichterung, wenn ihr Schicksal bekannt wird.“

Seine ersten Erfahrungen mit Messies sammelte der Altenpflegehelfer bei der Caritas. „Ich war erschrocken, als ich die ersten Messie-Wohnungen sah, aber dann wurde ich neugierig“, erinnert er sich. So entstand sein Dienstleistungsbetrieb zur Räumung von vermüllten Wohnungen. Schröter arbeitet dabei mit Sozialbehörden zusammen. Bis zu 10 000 Euro kostet das Aufräumen einer total verwahrlosten Wohnung. In gut der Hälfte der Fälle können Messies das Geld selber aufbringen, andernfalls springt der Staat ein.

Der Gründer und Leiter der Messie-Akademie will die Hilfe für Betroffene nun auf ganz Deutschland ausweiten. In mehrwöchigen Kursen bildet er Messie-Hilfe-Fachkräfte aus. Er will dazu in größere Städte kommen und die Seminare dort abhalten. Die Helfer sollen in Messie-Wohnungen aktiv werden. „Es geht nicht um Therapie, die wir gar nicht leisten können, es geht um praktische Unterstützung in der Wohnung selbst“, bekräftigt er. Für die Therapie seien Psychotherapeuten gefragt.

Messie-Akademie oder Entrümpelungsdienst?

Schröters Akademie-Gründung stößt nicht überall auf Gegenliebe. Die nicht mit Michael Schröter verwandte Veronika Schröter etwa, eine Heilpraktikerin für Psychotherapie, die seit 2001 in Freiburg das Institut für Messie-Therapie und in Stuttgart ein Messie-Kompetenz-Zentrum betreibt, fragt: „Wie kann er es wagen, eine Akademie zu gründen?“ Dafür fehle dem 64-Jährigen schlichtweg der wissenschaftliche Hintergrund. Der Name sei zu hoch gegriffen.

Denn letztlich sei Schröters Unternehmen nichts anderes als ein Entrümpelungsdienst. „Vielleicht braucht man diesen Mut“, argwöhnt die Expertin, die von 2010 bis 2012 maßgeblich an einer wissenschaftliche Studie der Uni Freiburg zum Messie-Syndrom beteiligt war.

Rat und Hilfe können Betroffene und ihre Angehörigen auch beim „HERA“-Team des Caritasverbandes für Stuttgart einholne. „HERA“ steht für „HElfen und Räumen. „In gemeinsamer Anstrengung mit dem Bewohner/der Bewohnerin führen wir die entgleisten Wohnverhältnisse zurück in eine Form, in der man sich wieder wohl fühlen kann und die auch Nachbarn und Vermieter ruhig schlafen lässt“, heißt es auf der Homepage des Stuttgarter Caritasverbandes.