Zwei Studenten haben einen Hörführer für das Gelände der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg entwickelt.

Ludwigsburg - Ellen Keune hat auf der Karlshöhe Ludwigsburg schon so manche Knutscherei erlebt. Die wenigsten waren von der zärtlichen Sorte, zumeist ging es rau zu. Die 25-Jährige, die auf dem einen Auge nur über fünf, auf dem zweiten nur über 20 Prozent Sehkraft verfügt und im Rollstuhl sitzt, hat Laternenmasten, Stühle, Stützpfeiler umarmt. Auf dem Weg von einem zum anderen Gebäude der Evangelischen Hochschule weicht die Studentin einer Laterne aus, die in den Weg ragt. „Die habe ich auch schon geknutscht“, sagt Ellen Keune, „die ist ganz schön hart.“

 

Zusammen mit ihrem Kommilitonen Thomas Kleber (45) aus Korntal, der wie die Schorndorferin im sechsten Semester Soziale Arbeit studiert, hat sie einen Audioguide für das Hochschulgelände entwickelt. Was anfangs einfach als Projektarbeit für zwei Drittsemester gedacht war, mauserte sich zur Sisyphosarbeit zweier Perfektionisten. Wer sich die CD, die in der Bibliothek ausgeliehen und als MP-3-Datei auf dem Handy gespeichert werden kann, von Anfang bis Ende anhört, bekommt in drei Stunden erklärt, was sich in welchem der insgesamt fünf Gebäude befindet. An der Hochschule werden etwa 1000 Studenten unterrichtet.

„Als Sehbehinderter bereitet man sich ganz anders vor“, sagt Ellen Keune. Bevor sie auf der Karlshöhe zu studieren begann, erkundete sie zum Beispiel einen Tag lang gemeinsam mit ihrem Vater das Gelände und versuchte sich einzuprägen, wo welcher Hörsaal und wo die Mensa liegt. „Der Audioguide soll ein Trainingstool sein für Menschen mit Sehbehinderung, damit sie sich vorher über den Campus informieren können“, sagt Thomas Kleber.

Präzise wird beschrieben, wo sich was befindet

Dazu führen die zwei ihre Zuhörer in jedem Gebäude zu einem Orientierungspunkt, von dem aus dann minutiös beschrieben wird, in welcher Richtung sich welches Zimmer, welcher Automat oder welcher Türöffnerschalter befindet.

Die Idee entstand gleich zu Studienbeginn. In einer fremden Stadt führe ihr erster Weg normalerweise ins Touristenbüro, wo sie die Informationen über die Angebote für Behinderte sammle, erzählt Ellen Keune. Eine solche Bündelung der Informationen fände sie auch für die Evangelische Hochschule praktisch, sagte sie damals bei einem Treffen der Interessengruppe behinderter Menschen – und schon hatte sie ihr Thema für ihre Projektarbeit im dritten Semester.

Beim Süßigkeitenautomaten hilft nur einer: ein netter Mensch

Etwa 2000 Stunden Arbeit stecken in der dreistündigen CD. Ellen Keune und Thomas Kleber sind mit dem Zollstock über das Hochschulgelände, sie haben Feuerwehrpläne gewälzt, nach Stolperfallen gesucht und dabei auch einmal aus Versehen die Alarmanlage aktiviert. Geholfen haben ihnen dabei unter anderem zwei Studenten der Staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst, die die Texte gesprochen und die Aufnahmen geschnitten haben.

Thomas Kleber hat gelernt, wie sehr ein Sehender sich auf seine Augen verlässt. Und Ellen Keune kennt sich jetzt blendend mit dem Süßigkeitenautomaten aus. Ihr Tipp im Audioguide: zum Schokoriegel-Kaufen einfach „jemanden Nettes mitnehmen, ihm etwas spendieren und ihn das Gewünschte raussuchen lassen. Das Sortiment wechselt einfach zu oft“.