Wenn ein Kind mit unterbrochener Speiseröhre auf die Welt kommt, ist eine Operation unvermeidbar. Foto: IMAGO/Westend61
Jährlich kommen rund 200 Babys mit einem Speiseröhrendefekt auf die Welt. Ohne frühzeitige Operation überleben sie nicht. Die Erika-Reinhardt-Stiftung hilft betroffenen Kindern und Eltern.
Marta Popowska
18.09.2023 - 12:03 Uhr
Sie können nach der Geburt nicht schlucken, husten und würgen Speichel heraus: Jedes Jahr kommen in Deutschland im Durchschnitt 200 Babys mit einer unterbrochenen Speiseröhre, einer sogenannten Ösophagusatresie, zur Welt. Noch Mitte des vergangenen Jahrhunderts hätten diese Neugeborenen keine Überlebenschance gehabt. Heute kann ihr Leben durch eine Operation gerettet werden. Die Stuttgarter Erika-Reinhardt-Stiftung hilft betroffenen Kindern und Eltern auf dem herausfordernden Weg – und sie möchte die Forschung unterstützen. Deshalb hat man den Hugo-Kunzi-Preis ins Leben gerufen, der kürzlich erstmals an zwei Forscher-Teams verliehen wurde.
Ein Röntgenaufnahme bringt Klarheit
Seltene Erkrankungen haben die Begleiterscheinung, dass sie kaum bekannt und oft wenig erforscht sind. So auch im Fall von Ösophagusatresie. Die Ursache der angeborenen Unterbrechung der Speiseröhre ist zwar unklar, doch sie macht sich schnell bemerkbar. Wenn das Baby beim ersten Stillversuch die Muttermilch erbricht und selbst den Speichel nicht schlucken kann, bringt eine Röntgenaufnahme Klarheit.
Die Ausprägungen variieren. Die Lücke kann unterschiedlich groß sein, manchmal hat die Speiseröhre eine Verbindung zur Luftröhre, sodass Nahrung und Speichel hineingelangen. In jedem Fall ist die Fehlbildung ohne operativen Eingriff tödlich.
Für Mütter und Väter ist die Diagnose ein Schock, weiß Professor Franz-Josef Kretz. Der langjährige Ärztliche Direktor der Klinik für Anästhesiologie am Olgahospital sitzt der Erika-Reinhardt-Stiftung vor. Vor mehr als 20 Jahren gründete die ehemalige Bundestagsabgeordnete und gelernte Krankenschwester die Stiftung, um den Verein Keks (Kinder und Erwachsene mit kranker Speiseröhre) dauerhaft finanziell zu unterstützen.
Der Verein hat ein spezialisiertes Medizinteam, schult Fachpersonal, zertifiziert Kliniken und berät Eltern fachkundig. Da bei diesen Kindern oft weitere schwere Fehlbildungen, etwa an Herz und Nieren sowie Infekte hinzukommen, brauchen sie meist mehrere Operationen und jahrelange Nachbehandlungen. Viele müssen das Essen mühsam lernen.
Seit 2022 gibt es den Hugo-Kunzi-Preis
Franz-Josef Kretz berichtet von kleinen Patienten, die fünf Mal operiert wurden: „Die Eltern hatten im Olgäle quasi ihre Zweitwohnung.“ Die Medizintechnik habe sich enorm verbessert und am Olgäle gebe es spezialisierte Anästhesisten. „Aber Vollnarkosen bei Kindern unter einem Jahr sind kompliziert und risikoreich“, erklärt er. Auch deshalb sei laut dem Mediziner eine Zentralisierung mit Spezialisten wichtig. Sein Ziel ist es, die Zahl auf deutschlandweit zehn spezialisierte Kliniken zu bündeln. „Denn das größte Problem ist, dass diese Kinder in 70 Kliniken in Deutschland operiert werden. Und dabei ist das mitunter das Komplexeste, das die Kinderchirurgie zu bieten hat“, sagt Kretz. In den meisten Kliniken werde nämlich höchstens einmal im Jahr ein Neugeborenes mit dieser Fehlbildung operiert. „So wird man darin nicht fit“, resümiert der Mediziner.
Professor Franz-Josef Kretz (links) und Hugo Kunzi Foto: Marta Popowska
Die Vereinsarbeit finanziert sich aus Spenden, doch die Stiftung möchte auch die wissenschaftliche Entwicklung fördern – seit 2022 etwa mit dem Hugo-Kunzi-Preis. Der Stuttgarter Unternehmer stiftete den nach ihm benannten Preis, mit dem zwei wissenschaftliche Arbeiten nun ausgezeichnet worden sind. Je 15 000 Euro gingen an das Team um Dr. Christoph Arneitz am Universitätsklinikum Graz/Klagenfurt sowie das Team von Dr. Alexander Sterlin der Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie Mainz.
„Das ist nicht nur für diesen speziellen Kreis der Ösophagus-Patienten wichtig. Ich hoffe, es strahlt aus in der Forschung, sodass auch andere Personen, die Probleme mit der Speiseröhre und dem Magen haben, davon profitieren. Denn das Thema betrifft viele Menschen“, sagt Hugo Kunzi zu seiner Motivation. Der Preis soll künftig alle zwei Jahre vergeben werden. Die aktuelle Ausschreibung hat bereits begonnen.