Vor lauter Theorie vergessen viele Neulinge an den Hochschulen ganz, warum sie ihr Fach studieren. Das Land will Abhilfe schaffen und unterstützt neue Lehrmethoden, vor allem in den Mintfächern.

Stuttgart - Ulrich Stadtmüller kann sich gut in seine Studienanfänger hineinversetzen. „Da wird man totgemacht mit Mathematik und den ganzen theoretischen Grundlagenfächern“, erinnert sich der Vizepräsident für die Lehre an der Uni Ulm. Er ist selbst Mathematiker. Besonders in den Mintfächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) brechen Studenten ab, weil sie vor lauter Theorie oft das Ziel ihres Studiums und die Begeisterung für ihr Fach verlieren.

 

Dagegen wollen die Hochschulen mit neuen Lehrformen angehen. Das Land unterstützt sie finanziell mit dem Programm „Willkommen in der Wissenschaft“. 23 Einrichtungen werden drei Jahre lang mit insgesamt sechs Millionen Euro gefördert, darunter auch fünf der neun Universitäten in Baden-Württemberg. Sie erhalten jeweils 300 000 Euro. Die Universitäten gehen unterschiedliche Wege, um dasselbe Ziel zu erreichen: Die Motivation der Studienanfänger für ihr Fach zu erhalten und die Quote der Abbrecher zu senken.

Amüsante Physik

Wie muss ein Floß beschaffen sein, damit es beim Ulmer Wasserspektakel Nabada langsam die Donau hinuntergleitet? Das lässt die Uni Ulm zum Beispiel angehende Physiker in einem mehrwöchigen Projekt austüfteln. Das hält die Studenten bei Laune und führt ihnen vor Augen, wofür die Formeln gut sein können. An Wirtschaftswissenschaftler und an Biologen wenden sich laut Ulrich Stadtmüller Gastvorträge und Kolloquien, in denen die Redner aus der Praxis der Berufsfelder berichten oder auch Forschungsthemen erläutern. Als dritte Säule werden in Ulm offene und virtuelle Lernräume eingerichtet. Dort können Anfänger mit Unterstützung von Tutoren arbeiten.

Die Uni Stuttgart will ihren Geisteswissenschaftlern mit Einführungen in akademische Lehr- und Lernmethoden von Anfang an Orientierung geben, sagt ihr Sprecher. Im Programm „Das digitale Archiv Stuttgart“, das die Uni zusammen mit dem Literaturarchiv Marbach anbietet, werden Literaturstudenten über Berufsfelder in Bibliotheken und digitalisiertes Arbeiten informiert. „Ausgehend von Marbach wollen wir weitere Einrichtungen einschließen“, kündigt der Sprecher an.

Betriebswirte spielen Unternehmer

Das Karlsruher Institut für Technologie KIT setzt auf Praxisnähe und intensive Beteiligung der Studierenden. In „living labs“, lebenden Laboren, spielen Betriebswirte in spe Geschäftsprozesse fiktiver Unternehmen durch und verbessern deren Abläufe.

Erst danach liefern Wissenschaftler die theoretischen Hintergründe, so dass die Studenten Forschungsfragen klären oder wissenschaftliche Lösungsansätze erarbeiten können. Dabei wird alles herangezogen, was es an modernen Möglichkeiten gibt: Blogs, Wikis und soziale Netzwerke. Mit Vorläufern hat das KIT gute Erfahrungen gemacht. „Studierende empfinden diese Form des Wissenserwerbs als motivierend, innovativ und praxisnah“, berichtet Andreas Oberweis, Professor am Institut für Angewandte Informatik und formale Beschreibungsverfahren. Dort hat das Projekt „Lernen, Forschen, Anwenden: Studieren für Einsteiger“ begonnen. Jetzt werden weitere Institute der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät einbezogen, später soll ein Leitfaden für alle Disziplinen entwickelt werden.

Organisation der Forschung

Die Universität Freiburg setzt auf „Faszination Wissenschaft“. Von 2013 an sollen Studenten vom zweiten bis vierten Semester in diesem Studienmodul lernen, wie man ein interdisziplinäres Forschungsprojekt anlegt. Das Modul wendet sich an Studierende aller grundständigen Fächer.

In Heidelberg will man die Studenten ebenfalls stärker in Forschungs- und Lehraktivitäten einbinden und ihnen frühzeitig methodische und personale Kompetenzen vermitteln, sagt eine Sprecherin. Die Universität erwartet, dass Lehrende im ersten Semester mit den Studierenden gemeinsam Konzepte entwickeln, die dann im nächsten Semester umgesetzt werden.