Der Wohlfahrtsverband schlägt Alarm. Ein Betreuungsschlüssel von 1:136 sei viel zu hoch. Um die größte Not unter den Flüchtlingen zu lindern, legt die Caritas eigene Projekte zur Arbeitsvermittlung und Traumabehandlung auf.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Die Caritas Stuttgart gehört zu den großen Trägern in der Flüchtlingsbetreuung in der Landeshauptstadt. Deren Mitarbeiter machen in ihrem Arbeitsalltag oft die Erfahrung, dass ihnen zu wenig Zeit bleibt für wichtige Dinge in der Betreuung. Auf drei Gebieten ist die Caritas daher aktiv geworden: sie bietet Hilfen für traumatisierte Flüchtlinge, engagiert sich in der Arbeitsintegration und in der Vermittlung von Wohnraum.

 

Das Arbeitspensum von Lisa Maisch in der Asylunterkunft am Lautlinger Weg in Möhringen ist beträchtlich. Sie organisiert unter anderem Sprachkurse und Arztbesuche, kümmert sich um die Schulanmeldung der Kinder, hilft bei der Suche nach einem Kitaplatz und stimmt Unterstützung mit Ehrenamtlichen ab. „Man muss die Leute zum Teil schon abfertigen“, sagt die Sozialpädagogin. Sie leitet das Flüchtlingsheim mit 237 Plätzen. „Auch die Bewohner werden da ungeduldig und unsicher.“

Kritik: ein Betreuer für 136 Flüchtlinge

„Wir sind mit dem aktuellen Stellenschlüssel von 1 zu 136 nicht zufrieden“, sagt Caritasdirektor Raphael von Deym. Er äußert damit eine Haltung, die auch andere freie Träger in der Flüchtlingshilfe vertreten. Etwa ein Drittel der in Stuttgart lebenden Flüchtlinge werden von der Caritas betreut, rund 3200 in 26 Unterkünften. Vor zwei Jahren hatte sie im Flüchtlingsbereich noch 20 Mitarbeiter, jetzt sind es 80. Dennoch ist vieles nicht mehr zu leisten.

Etwa tiefergehende Gespräche mit traumatisierten Flüchtlingen. „Das ist nicht möglich bei dem Stellenschlüssel“, sagt Fritz Weller, der Bereichsleiter Migration. Derzeit liege die Wartezeit auf ein Erstgespräch für eine Traumatherapie bei „mindestens zwölf Monaten“, sagt Weller. Deshalb hat die Caritas das Projekt Omid – persisch: Hoffnung – aufgelegt, das traumatisierten Asylbewerbern möglichst bald nach deren Ankunft fachliche Hilfen anbietet. Man habe zwei neue Projektmitarbeiter eingestellt und das Team durch zwei Psychologinnen ergänzt.

Einen „Riesenbedarf“ sieht der Leiter des Migrationsdienstes auch bei der Integration von Flüchtlingen in Arbeit und Ausbildung, wo es noch nicht sehr viele Angebote gebe. Deshalb hat die Caritas das Projekt „Zifa – Zielgerichtete Integration von Flüchtlingen in Ausbildung und Arbeit“ gestartet. Vier erfahrende Sozialpädagogen sind nun an der Tunzhofer Straße, wo auf dem Areal des ehemaligen Bürgerhospitals 1300 Menschen leben, damit befasst, Kompetenzen und Qualifikationen von Flüchtlingen zu erfassen, mit ihnen einen Berufswegeplan zu erarbeiten und diese zunächst in Deutschkurse in Hospitationen oder Praktika bei Firmen zu vermitteln.

Kaum Jobs für die Flüchtlinge

Eines der Hauptprobleme ist laut Weller, dass die Flüchtlinge, die in den meisten Fällen nur wenige formelle Qualifikationen vorweisen können, die ersten 15 Monate nur einen nachrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Wer etwa einen Reinigungsjob bekommen würde, darf ihn nicht antreten, weil es auch deutsche Bewerber gäbe. „In der Regel werden diese Arbeitsplätze dann gar nicht besetzt“, sagt Weller.

Weil es für anerkannte Flüchtlinge gerade in Stuttgart sehr schwer ist, eine Wohnung zu bekommen, wendet die Caritas nun ihr für Gruppen wie Suchtkranke oder Erwerbslose erprobtes Konzept an. Der Verband mietet Wohnungen oder Häuser und vermietet sie an Flüchtlinge weiter. „Wir wollen damit Berührungsängste abbauen und eine Überbrückungshilfe bieten“, sagt Caritasdirektor von Deym. Den Vermietern biete man feste Einnahmen. Erste Wohnungen habe man angemietet.

Suche nach ehrenamtlichen Helfern

Auch bei der Betreuung und Gewinnung von Ehrenamtlichen hat die Caritas das Personal um zwei Stellen aufgestockt. Insbesondere bei Flüchtlingskindern, die eine reguläre Schule besuchen, „brauchen wir dringend Helfer“, sagt Ulrike Holch, die Leiterin des Freiwilligenzentrums Caleidoskop. Es meldeten sich inzwischen Lehrer und Rektoren mit der Bitte um Helfer für eine Ein-zu-eins-Betreuung von Flüchtlingskindern im Unterricht. Ein erstes Projekt mit drei Ehrenamtlichen läuft in der Wilhelm-Hauff-Schule in Heslach.

Das Geld für die Projekt wird von der Diözese Rottenburg-Stuttgart und von der Caritas aufgebracht. Von den 2,25 Millionen Euro, die für drei Jahre notwendig sind, zahlt der bischöfliche Flüchtlingsfonds 1,3 Millionen Euro, 920 000 Euro bringt die Caritas Stuttgart selbst auf.