Auf dem Weg zur offiziellen Präsidentschaftskandidatin der Demokraten kann vor allem Ehemann Bill Clinton auf dem Parteitag überzeugen.

Philadelphia - Gloria Goodwin hat sich dem Anlass entsprechend ausgestattet und einen Hut in Landesfarben ausgesetzt, von dem eine weiße Feder absteht. Mit ihrem Finger zeigt die Afro-Amerikanerin jetzt auf einen Button, den sie oberhalb der Herzgegend an ihre apricotfarbene Bluse geheftet hat. „Never underestimate the power of a woman“ (etwa: „Unterschätze nicht die Kraft einer Frau“) steht darauf. Nur Minuten später wird die Frau aus Jacksonville in North Carolina Augen- und Ohrenzeugin eines für amerikanische Verhältnisse wahrhaft historischen Ereignisses.

 

Wie eine Zeile aus einem Märchen

Der Parteitag der US-Demokraten wählt Hillary Clinton offiziell zur Präsidentschaftskandidatin. Zum ersten Mal in der Geschichte einer der beiden großen Parteien hat nun eine Frau die Chance, ins Weiße Haus in Washington einzuziehen. Gloria Goodwin aus Jacksonville in North Carolina lächelt versonnen, ruft „Hillary, Hillary“ und sagt: „Endlich ist es passiert. Wir Frauen wurden viel zu lange wie Menschen zweiter Klasse behandelt.“

Für Gloria Goodwin, die die Demütigungen in der Zeit der Rassentrennung miterlebt hat, klingt das wie eine Zeile aus einem Märchen. Eine Frau als Präsidentschaftskandidatin ihrer Partei? „Das ist so wunderbar.“ Zeit sei es ja gewesen: „Wir managen sonst ja auch alles – unsere Familien, unsere Firmen, unsere Männer.“ Gloria Goodwin freut sich sichtlich. Es scheint, als sehe sie bereits den 21. Januar 2017 vor ihrem inneren Auge. Das ist der Tag, an der Nachfolger oder die Nachfolger von Präsident Barack Obama den Amtseid leisten wird.

Die bekannteste Frau der USA

Das allerdings ist ein wenig voreilig. Denn noch muss Hillary Clinton die Wahl gegen den Populisten Donald Trump bestehen. Sie ist zwar bekannt wie keine andere Frau in den USA, weil sie seit Jahrzehnten in der Politik ist – erst als Gouverneursgattin, dann als First Lady im Weißen Haus, als Senatorin, als gescheiterte Präsidentschaftskandidatin des Jahres 2008, als Außenministerin der USA. Doch sie ist auch, gäbe es da nicht Donald Trump, dessen Werte noch schlechter sind, die im Wahlvolk unbeliebteste Kandidatin aller Zeiten. Sie wirke kühl, abgehoben, ihr sei nicht zu trauen, weil sie im Zweifel auf den eigenen Vorteil bedacht sei. Sie sei zu eng mit Big Money verwoben, sei ein unnahbarer Machtmensch. Zumindest sagen das die Meinungsforscher, die danach fragen, wie die Menschen im Land die Persönlichkeit der Kandidaten bewerten.

Damit sich dieses Bild, das Clinton-Anhänger natürlich ein Zerrbild nennen, so schnell wie möglich verändert, haben die Parteitagsregisseure einen Mann verpflichtet, der es wissen muss: Bill Clinton, 42. Präsident der USA, kommt kurz nach 22 Uhr auf die Bühne des Wells Fargo Centers in Philadelphia und erzählt eine Geschichte. Es ist eine Liebesgeschichte, seine Liebesgeschichte. Sie beginnt mit einem Satz, der wahrscheinlich demnächst in die Lehrbücher für Wahlkämpfer aufgenommen wird. „Im Frühjahr 1971 traf ich ein Mädchen“, sagt Bill Clinton.

Beste Wegbereiterin des Wandels

In der Arena erhebt sich ohrenbetäubender Jubel. Bill Clinton ist ein guter Redner. Man kann sagen: Sollte seine Frau die Wahl im November gewinnen, dann hat ihr Mann einen großen Anteil daran. Kunstvoll schafft er den inhaltlichen Spagat zwischen Emotion und Information. Seine Frau sei eine liebevolle Mutter, sagt er. Tochter Chelsea sitzt in der Arena und lächelt. Seine Frau sei aber auch „die verdammt beste Wegbereiterin des Wandels, der ich je begegnet bin“, sagt er. Jetzt bricht wieder Jubel im Delegiertenlager aus. Das wollen sie hören.

Es mag ein wenig eigentümlich sein, dass ein Ehemann Werbung für seine Frau betreibt, damit die das Amt erhält, das er schon einmal hatte. Aber für derlei demokratietheoretische Feinheiten ist kein Platz in der großen Show von Philadelphia. Alles ist auf dem Parteitag der US-Demokraten dem Ziel untergeordnet, die Kandidatin weichzuzeichnen. Millionen von Amerikanern sehen das Spektakel im Fernsehen – und auf diese Millionen kommt es an. Sie werden entscheiden, ob am Ende Hillary Clinton tatsächlich Präsidentin wird.

Anmut und Charakterstärke

Erst hat Michelle Obama, die Frau des amtierenden Präsidenten, in einer fulminanten Rede gesagt, dass Hillary Clinton die richtige Kandidatin zur richtigen Zeit sei. „Wegen Hillary Clinton glauben meine Töchter, dass eine Frau Präsidentin der Vereinigten Staaten werden kann“, hat sie gesagt, die Delegierten von den Sitzen gerissen und die Modekritiker wegen ihres schlichten, blauen Kleides in Verzückung versetzt. Dann kommt halb Hollywood auf die Bühne und sagt Ähnliches. Hillary Clinton sei eine Kandidatin, die Anmut und Charakterstärke in sich vereine, sagt die Schauspielerin Meryl Streep. Und auch Präsident Obama selbst, der am Mittwochabend vor dem Parteitag sprechen sollte, wird nicht mit Lob gespart haben.

Aber es ist Ehemann Bill, dessen Anekdoten aus seiner jahrzehntelangen Liebesbeziehung zu Hillary Clinton für den größten Applaus sorgen. Er zeichnet das Bild einer liebevollen Macherin, die das Allgemeinwohl über das eigene Wohl stellt. Clinton spricht 42 Minuten lang. Gegen Ende seiner Rede fragt er mit einem verschmitzten Lächeln auf seinem Gesicht, was denn eigentlich der Unterschied zwischen seiner Darstellung der Kandidatin und der Version sei, die der politische Gegner über seine Frau verbreite. Die Republikaner machen Clinton für so ziemlich alle politischen Fehler der vergangenen acht Jahre verantwortlich. Was sei denn nun der Unterschied, fragt Clinton und gibt schnell die Antwort: „Die eine Frau ist echt, die andere ist erfunden.“ Da könne man doch von Glück reden, dass die Delegierten die echte Hillary Clinton als Präsidentschaftskandidatin nominiert hätten. Jetzt tobt der Saal.

Eine Glasscheibe zerspringt

Bill Clinton geht von der Bühne, und in schneller Abfolge flimmern die Porträts aller US-Präsidenten seit George Washington über eine Videoleinwand. 44 Gesichter sind es - alle weiß bis auf eines, aber alle ausnahmslos die Gesichter von Männern. Dann ist zu sehen, wie auf dem Monitor eine Glasscheibe zerspringt. Als sich der gefilmte Splitterregen legt, erscheint das Gesicht von Hillary Clinton auf der Leinwand. „Das ist wirklich euer Sieg, das ist wirklich euer Abend“, ruft sie per Videoschalte aus ihrem Haus in Chappaqua im Bundesstaat New York nach Philadelphia hinüber. Am Donnerstagabend wird Hillary Clinton auf dem Parteitag der Demokraten die Nominierung annehmen und eine Grundsatzrede halten. Vorab sagt sie lediglich: Sollten zu dieser späten Stunden vielleicht noch kleine Mädchen wach sein, dann wollen sie ihnen nur sagen: „Ich werde vielleicht die erste Frau Präsidentin, aber eine von euch ist als Nächste an der Reihe.