Nach dem Erdbeben in Nepal liegt der Tourismus brach. Dabei sind viele Regionen nicht beeinträchtigt. Auch die Hauptstadt Katmandu ist bei nicht so stark zerstört, wie viele potenzielle Reisende annehmen.

Kathmandu - Es fühlt sich komisch an, hier zu sitzen und Kaffee zu trinken“, sagt die 28-jährige Stefanie Wenzel. Mit ihrer Freundin sitzt die Frankfurterin in einem normalerweise gut besuchten Café in Thamel, dem Touristenviertel von Kathmandu. Jetzt sind außer den beiden nur drei weitere Gäste dort. Die größte Zerstörung haben die Erdbeben im April und Mai in den Dörfern nahe der Epizentren nördlich der nepalesischen Hauptstadt angerichtet. In der Stadt selbst hat es die historischen Stätten, die maroden Altstadthäuser und jene Gebäude getroffen, bei denen Bauvorschriften missachtet wurden. Der größte Teil der Metropole ist aber heil geblieben. „Wir haben uns sehr gewundert, denn wir hatten gehört, Kathmandu sei völlig zerstört“, sagt Stefanie Wenzel. „Aber es fühlt sich doch alles seltsam normal an.“

 

Wenzel war mit ihrer Freundin aus Israel auf der Trekkingroute zum Everest Base Camp unterwegs, als die Erde bebte. Glücklicherweise durchquerten sie beide Male gerade ein Waldstück, wo sie sicher waren. Wenzel ist hin und hergerissen, ob sie noch bleiben und Freiwilligenarbeit leisten soll. Viele der Touristen, die jetzt noch in Nepal sind, haben sich kleinen lokalen Initiativen angeschlossen und bringen Hilfsgüter in zerstörte Dörfer. Wenzel denkt zugleich an ihre Mutter: „Sie war schon beim Arzt, weil sie sich solche Sorgen macht.“

Viele kleine Läden haben ihre Rolltüren heruntergelassen

Das Touristenviertel von Kathmandu brodelt in der Saison nur so vor Rucksacktouristen, Hippies, Rikschas, fliegenden Händlern und falschen Heiligen, die den Touristen das Geld aus der Tasche locken. Jetzt liegt es verlassen da. Ein Souvenirladen reiht sich an den anderen, dazwischen Restaurants, Cafés, Buchläden und Geschäfte für Trekkingbedarf. Viele der kleinen Läden haben geschlossen und ihre Rolltüren heruntergelassen.

Laxman Raj Upretee’s Trekkingshop ist einer der wenigen, die geöffnet sind. Der Inhaber verkauft Schlafsäcke, Daunenjacken, Schuhe und Gerät für Wanderer. Normalerweise bummeln jetzt zur besten Trekkingsaison jeden Tag hunderte Touristen aus aller Welt an seinem Laden vorbei. Trotz der großen Konkurrenz macht er dann gute Geschäfte. Heute ist das anders. „Nur zwei Kunden waren da“, sagt Upretee. Verkauft hat er nichts.Seinen Mut hat er trotzdem nicht verloren. Es lohne sich nicht, sich Sorgen zu machen, sagt er. „Wir müssen jetzt abwarten.“ Er lächelt verhalten – eine typisch nepalesische Art, mit schwierigen Situationen umzugehen. Er hoffe, dass die Touristen bald zurückkommen – wenn nur die Erde ruhig bleibt.

Selbst Gäste, die schon gebucht haben, bleiben weg

Das hofft auch Dem Pun. Dem 38-Jährigen gehört die „Buddha-Bar“, ein beliebter Treffpunkt für Rucksacktouristen, in einer Seitengasse der Haupteinkaufsstraße von Thamel. Der zu den Seiten offene Raum ist liebevoll mit buddhistischen Bildern und bunten Lampen gestaltet. Die mit traditionellen Futons ausgelegten Sitzecken sind fast leer. Nur in einer sitzen zwei Männer mit Dreadlocks und eine Frau mit weitem Blumenkleid. Sie rauchen Shisha. Es sind die Angestellten von Pun. Sie kommen aus umliegenden Dörfern, die beim Beben völlig zerstört worden sind. Ihren Job in Puns Bar brauchen sie in diesen Tagen mehr denn je.

Neben der Bar betreibt Pun eine kleine Lodge für Ökotourismus in der Nähe seiner Heimatstadt Pokhara. Seine Gäste kommen für Yogaseminare oder zum Wandern, aber auch dort sei derzeit niemand, sagt Pun. „Wir hatten viele Buchungen, aber alle haben abgesagt.“ Dabei ist Pokhara nicht vom Erdbeben betroffen. „Die Leute haben einfach Angst“, sagt Pun. Selbst seine bereits gebuchten Gäste für die zweite Hauptsaison im Herbst wollen nicht mehr kommen. Fast allen Reiseveranstaltern geht es derzeit ähnlich. Für sie bedeuten die Absagen einen Totalausfall, denn die Gäste bezahlen gewöhnlich erst bei der Ankunft.

Junge Nepalesen müssen Arbeit im Ausland suchen

Der Tourismus macht etwa zehn Prozent des nepalesischen Bruttoinlandsprodukts aus und ist neben der Landwirtschaft und dem Geld, das Nepalesen im Ausland verdienen, der größte Wirtschaftszweig. Wenn der Tourismus wegbricht, werden noch mehr junge Nepalesen gezwungen sein, nach Malaysia oder in die Golfstaaten zu gehen und dort unter menschenverachtenden Bedingungen auf dem Bau oder in Fabriken zu schuften.

„Zumindest die Bergsteiger und Kletterer sollten sich nicht abschrecken lassen. Sie suchen doch schließlich das Abenteuer“, sagt die 40-jährige Anusha Subramanian, selbst eine Hobby-Bergsteigerin aus Mumbai. „Sie könnten eine gesponserte Wanderung organisieren und damit Geld für die Betroffenen hier sammeln.“

Viele Nationalparks sind gar nicht betroffen

Subramanian hatte im April noch das Everest Base Camp besucht. Gleich nach dem ersten Erdbeben kam die Journalistin mit einem Freund zurück, um zu berichten und zu helfen. Nun schreibt sie gegen ihre indischen Medienkollegen an. „Sie haben es dargestellt, als stünde hier kein einziges Haus mehr“, sagt ihr Freund Tanveer Wani . Dabei sind die Nationalparks im Süden, Buddhas Geburtsort Lumbini und die exotischen Routen nach Mustang und Dolpo überhaupt nicht betroffen. Auch Rafting, Paragliding und Dschungelsafaris sind möglich. Subramanian und Wani versuchen, ihre Bekannten zu überzeugen, dass Nepal immer noch eine Reise wert ist. „Wenn die Touristen zurückkommen, wäre das die größte Hilfe für Nepal“, sagt Wani.

Stefanie Wenzel ist trotz allem begeistert von dem Land, und sie ist sicher, dass sie wiederkommen wird. „Ich fahre jetzt wirklich nur wegen meiner Familie nach Hause“, sagt sie.