gärtringen - Nichts wie hinaus in die Natur – so lautet das Motto vieler, gerade im Frühling und erst recht in Zeiten des ungeliebten Corona-Lagerkollers. Der zugenommene Freizeitdruck birgt aber auch Gefahren und Konfliktpotenzial, vor allem auf landwirtschaftlichen Wegen, die für unterschiedliche Zwecke genutzt werden. In Gärtringen zieren neuerdings nun Piktogramme die Feldwege und werben für ein gutes Miteinander und gegenseitige Rücksichtnahme.
Es ist eine Szene, die sich an sonnigen Frühlingstagen hundertfach im Kreis Böblingen abspielt: Ein großer Traktor befährt einen Feldweg und reduziert das Tempo, weil er eine Personengruppe vor sich sieht. Die Spaziergänger, keineswegs in Eile, gehen einen Schritt zur Seite, man grüßt sich freundlich und der Landwirt passiert mit einem Lächeln die Fußgängergruppe. „In neunzig Prozent aller Fälle läuft das so problemlos ab“, meint der Gärtringer Landwirt Eberhard Lutz und beruft sich auf seine langjährige Erfahrung, „und so soll es auch sein, mit Rücksichtnahme von Seiten aller Beteiligten.“
Nicht immer geht es glimpflich ab
Sich arrangieren und aufeinander achtgeben lautet der Grundsatz, nicht nur auf Feldwegen und Mischverkehrsflächen. Doch das Einhalten der Spielregeln stellt nicht immer für alle eine Selbstverständlichkeit dar. Immer wieder kommt es zu unschönen Begegnungen der anderen Art und Aufeinandertreffen, die in provozierende Gesten, abfällige Bemerkungen oder gar Wortgefechte münden. Traktorfahrer beschweren sich über Fußgänger oder auch Radfahrer, die sich mit einem Knopf im Ohr musikalischer Dauerbeschallung hingeben und von der Außenwelt nicht viel mitbekommen. Andererseits hört man von Fußgängern, dass motorisierte Verkehrsteilnehmer und auch Radfahrer viel zu schnell die Wege befahren und nur ein Sprung zur Seite vor schlimmeren Folgen schützt. „Es gibt durchaus Negativbeispiele aus der Vergangenheit“, sagt Eberhard Lutz, der als Gärtringer Ortsobmann auch als Sprachrohr für die Landwirte der Gemeinde fungiert. „Vor allem Landwirte, die ihren Hof direkt an einem Radweg haben, machen zuweilen schlechte Erfahrungen. Manche Radfahrer haben beispielsweise gar keine Klingel, um auf sich aufmerksam zu machen. Klar ist aber auch, dass sich alle Parteien an die eigene Nase fassen müssen. Als gemeinsame Nutzer der Wege muss man sich auch gegenseitig respektieren.“
Bislang sind neun Wege bemalt worden
Unter Federführung von Christina Nasdal-Offner, der Sachgebietsleiterin Öffentliche Sicherheit und Ordnung, und dem Bauhof unter Leitung von Christof Klingler, initiierte die Gärtringer Gemeinde nun gemeinsam mit den Landwirten eine konzertierte Aktion. Parole: „Rücksicht macht Wege breit.“ So wurden bislang an neun Wegen in Gärtringen und zwei in Rohrau Piktogramme auf den Asphalt gepinselt. Sie zeigen nebeneinander einen Traktor, einen Erwachsener mit Kind und einen Radfahrer. „Wir sind der Meinung, dass die Piktogramme auf dem Boden mehr Wirkung erzielen als Schilder“, sagt Thomas Riesch. „Wo Bedarf ist, werden wir noch weitere Piktogramme anbringen“, meint der Gärtringer Bürgermeister, der in diesem Zusammenhang auch die Problematik der Vermüllung anspricht. „Rücksicht bedeutet auch, sich beim Thema Müll korrekt zu verhalten. Leider sieht man vermehrt Hundekotbeutel auf den Feldern liegen. Das ist ein Problem vor allem dort, wo Feldwege an Kreisstraßen grenzen“, ergänzt der Rohrauer Ortsobmann Herbert Brösamle.
Mancher E-Biker hat keine Kontrolle über sein Gefährt
Die stetig steigende Anzahl von E-Bikern stellt zudem eine problematische Komponente dar. „Nicht jeder ist Herr seines Pedelecs“, stellt Riesch fest. Peter Grotz, Kreisvorsitzender des ADFC Baden-Württemberg, geht ins Detail: „In der Tat gibt es E-Biker, die schon länger nicht mehr Fahrrad gefahren sind und nicht immer in der Lage sind, das Tempo an die Situation anzupassen.“ Auch aus diesem Grund veranstaltet der ADFC zusammen mit dem Württembergischen Radsportverband, regelmäßig Fahrsicherheitskurse für diese Zielgruppe. „Vor Ausbruch der Pandemie war die Nachfrage auf dieses eintägige Sicherheitstraining riesengroß“, so Peter Grotz. Der Böblinger zeigt sich derweil erfreut über die positive Entwicklung an radelnden Berufspendlern: „Die sind am frühen Morgen unterwegs mit dem Ziel, schnell voranzukommen. Ein zugeparkter Radweg sorgt da schon mal für schlechte Stimmung, erst recht, wenn man den Eindruck bekommt, dass die Kommunen zu wenig kontrollieren.“ Deutlich weniger Stressmomente sieht Peter Grotz bei den Freizeitradlern. „Ohne zeitlichen Druck wird man schon beim Anblick eines großen Traktors demütig und begibt sich als Hobbyradler schnell an den Straßenrand.“
Seitens des ADFC ist man nicht untätig, wenn es um die Vermeidung von Gefahrenpunkten und Konfliktsituationen geht. „Auf unserer Homepage kann man beispielsweise Mängel an Radverkehrsanlagen melden, dann gehen wir auf die entsprechenden Behörden zu“, sagt Peter Grotz, dem zurzeit ein gesperrter Wegabschnitt bei der ehemaligen Kreisdeponie im Böblinger Wald ein Dorn im Auge ist. „Die sogenannte Einsiedel-Allee wurde seitens der US-Army ohne Rücksprache blockiert, hier können wir nur begrenzt Einfluss nehmen.“ Beim Thema Rücksicht erhellt sich Peter Grotz Miene derweil wieder: „Verkehrsraum ist nun mal nicht beliebig vermehrbar, dementsprechend gehen wir auf unseren organisierten Touren immer auf ein optimales Miteinander ein. Unsere Tourenleiter haben das beispielhafte Verhalten quasi in ihrer DNA verankert.“
Polizeistatistik weist kein erhöhtes Risiko auf
Und wie verhält es sich angesichts verstärkter Freizeitaktivitäten mit der Unfallstatistik auf Landwirtschaftswegen? Dem zuständigen Polizeipräsidium in Ludwigsburg sind aktuell keine statistischen Ausreißer bekannt. „Die Corona-Situation und damit verbunden die verstärkte Fußgänger- und Radfahrerfrequenz auf landwirtschaftlichen Wegen hat nach unseren Aufzeichnungen bislang nicht zu mehr Verkehrsunfällen geführt“, sagt Peter Widenhorn, Leiter der Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit, auf Anfrage. „Allerdings wäre es durchaus möglich, dass die Zahl der Konfliktsituationen zugenommen hat. Diese erreichen die Polizei aber zumeist nicht.“