Die Optogenetik ist ein Mix aus optischen Technologien und Genetik. Hirnforscher können damit Nervenzellen präzise steuern. Die Wissenschaft jedenfalls ist elektrisiert: pro Jahr verdoppelt sich die Zahl der Mitstreiter. Die Forschung steht noch am Anfang.

Stuttgart - Das Verfahren ist einfach, liefert aber viele Erkenntnisse über die Abläufe in einem Mäusegehirn: Wissenschaftler setzen in die Nervenzellen der Tiere mit einem Trick einen winzigen Schalter ein, der auf Licht einer bestimmte Farbe reagiert. Und tatsächlich: wenn das farbige Licht über ihrem Kopf leuchtete, konnten die Mäuse ihre Aufgaben nicht mehr so gut erledigen. Ihre Fähigkeit, etwas aus dem eigenen Verhalten zu lernen, ließ deutlich nach – als ob mit dem Schalter die Lernfähigkeit der Tiere geregelt werden konnte. Genau das hatten Andreas Lüthi von der Universität Basel und Johannes Letzkus vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt erhofft, denn damit konnten sie die Bedeutung zweier Botenstoffe im Gehirn identifizieren, die für das Lernen wichtig sind.

 

Das Verständnis des Mäusegehirns hat sich in den vergangenen Jahren gewaltig verbessert, seit Wissenschaftler bestimmte Typen von Nervenzellen gezielt steuern können. Optogenetik heißt die neue Technik: Mit Hilfe eines Virus, der üblicherweise Erkältungskrankheiten überträgt, schleusen die Forscher ein Gen in die Nervenzellen ein, das den Code für das Schalterprotein beinhaltet. Die Zelle beginnt mit dessen Produktion und fügt das Protein in die Zellwand ein. Bei Licht öffnet der Schalter dann einen Ionenkanal, durch den geladene Teilchen fließen: Das löst den elektrischen Impuls aus, mit dem sich Neuronen im Gehirn verständigen.

Neues Werkzeug entdeckt

Seit Anfang des Jahres steht den Neurowissenschaftlern ein weiteres Werkzeug zur Verfügung. Unabhängig voneinander haben eine amerikanische und eine deutsche Forschergruppe ein Verfahren entwickelt, mit dem sie Nervenzellen des Gehirns auch ausschalten können. „Wir haben einen Schalter umgebaut, den wir schon kannten“, erklärt der Biophysiker Peter Hegemann von der Humboldt-Universität Berlin, „in seiner bisherigen Funktion hat er die Nervenzellen eingeschaltet.“ Für die Forscher aus Hamburg, Berlin und Karlsruhe war es eine große Überraschung, dass eine kleine Veränderung in der Struktur der lichtempfindlichen Proteine ausreicht, um deren Funktion umzukehren. Statt positive Ionen lässt er jetzt die negative Ionen passieren.

Peter Hegemann ist kein Neurowissenschaftler und trotzdem darf man ihn als den Vater des neuen Forschungsgebiets bezeichnen. Das war Ende der 90er-Jahre nicht abzusehen: Der Biophysiker untersuchte damals die Chlamydomonas, eine Grünalge, für die sich niemand so recht interessierte. Dabei entdeckte er die Kanal-Rhodopsine, so nennen die Wissenschaftler die Proteine, die lichtgesteuert Ionenkanäle öffnen. Hegemann erkannte das Potenzial dieser Moleküle, suchte nach dem genetischen Code für ihre Produktion, ermittelte die Struktur und ließ ihr Verhalten mit Computern simulieren. Jeder Schritt brachte mehr Wissenschaftler in das vielversprechende Projekt. Als 2005 der amerikanische Neurologe Karl Deisseroth die Kanal-Rhodopsine erstmals in Nervenzellen einbaute und diese mit Licht anregen konnte, gelang der Durchbruch.

Forscher sind elektrisiert

Die Optogenetik elektrisiert die Wissenschaft, die Zahl der Forscher verdoppelt sich etwa alle zwei Jahre. In der ersten Generation dieser Technik musste den Versuchstieren noch ein Lichtleiter ins Gehirn eingepflanzt werden. Inzwischen sind die Schalter so empfindlich, dass Mäuse, Würmer und Fische den Lichtimpuls auch durch die Haut und die dünne Schädeldecke empfangen und sich ganz normal bewegen können. Es gibt verschiedene Schalter für die unterschiedlichen Farben des Lichtes, mittlerweile werden die natürlichen Kanal-Rhodopsine am Computer simuliert und die Auswirkungen eines leicht veränderten Designs berechnet.

Lichtschalter für Nervenzellen

Alexander Gottschalk von der Universität Frankfurt hat beispielsweise gleich mehrere Lichtschalter in die Bewegungsneuronen eines Fadenwurms eingeschleust. Je nach Farbe des Licht bewegt sich der Wurm vorwärts oder rückwärts, entspannt oder rollt sich auf.

Besonders faszinierend sind die Experimente, in denen die Forscher die Oberhand über Teile des Gehirns der Tiere übernehmen, weil sie dort gezielt ihre Schalter einbauen. Denn die Forscher können zum genetischen Code des Schalters eine Art Schlüssel hinzufügen, der bewirkt, dass nur ein bestimmter Typ von Gehirnzellen den Lichtschalter einbaut, während die anderen ihn ignorieren. So haben mehrere Forschergruppen nur die Nervenzellen angeschaltet, die das Glückshormon Dopamin verwenden. Damit lassen sich Zusammenhänge im Gehirn besser aufklären.

Zellen, die am Suchtverhalten schuld sind

„Meine Kollegen aus Genf konnten eindeutig zeigen, welche Zellen im Gehirn einer Maus am Suchtverhalten beteiligt sind“, berichtet Hegemann. Wenn dieser Zelltyp durch Licht aktiviert wurde, löste es das Suchtverhalten der Maus aus. Sie schlug immer wieder gegen einen bestimmten Knopf, obwohl sie gleichzeitig dafür bestraft wurde. Ähnliche Studien gibt es auch für Aggressivität, Alkoholismus, den Futtertrieb, den Schlaf oder das Sozialverhalten der Tiere. Die Ergebnisse sind meistens überraschend und gehen weit über das hinaus, was Neurowissenschaftler bisher entdecken konnten.

Aber die Forschung stünde noch an den Anfängen, erklärt Hegemann. „Es ist nicht unsere Absicht, zu manipulieren“, sagt er. Es gehe um Grundlagenforschung am Mäusegehirn, das mit 75 Millionen Nervenzellen im Vergleich zum Menschen nur ein Hunderstel ausmacht und trotzdem ein großes Rätsel geblieben ist. Deshalb dämpft Hegemann auch die Hoffnung auf Lichttherapien für Parkinson, Schizophrenie, Epilepsie oder schwere Depressionen. „Der Fadenwurm hat nur 302 Gehirnzellen, und wir haben trotzdem noch nicht verstanden, wie diese arbeiten“, sagt der Biophysiker. Doch ohne Zweifel werden die Erkenntnisse aus der Maus den Schlüssel zu neuen Medikamenten liefern, sobald mehr über die Proteine und Botenstoffe des Gehirns bekannt ist.

Was das Hirn reguliert

Es scheint offensichtlich, dass die Optogenetik eine alte Debatte der Hirnforschung erwecken wird: nämlich die Frage, wie unser Gehirn reguliert wird, wer unser Verhalten prägt. Sind Angst, Aggressivität oder Sozialverhalten die Folge von Erziehung, freiem Willen und dem, was wir gern Bewusstsein nennen? Oder sind die Tränen, die wir weinen, nicht mehr als das Ergebnis einer Überaktivität der Nervenzellen?