Psychologen untersuchen, wie im Tiefschlaf die beim Lernen gewonnenen Eindrücke vertieft werden.

Stuttgart - Lernen im Schlaf – das klingt nach der Erfüllung eines alten Schülertraums: Einfach die Augen zumachen, wegdämmern und am nächsten Morgen mit mehr Wissen aufwachen. Aber kann das wirklich klappen? So richtig hat das Buch unter dem Kopfkissen zu Schulzeiten ja meist nicht geholfen. Wissenschaftler haben allerdings keinen Zweifel mehr daran, dass Schlaf tatsächlich die Gedächtnisleistung fördert. Wie weit aber reicht dieser positive Effekt? Lässt er sich beeinflussen? Mit solchen Fragen beschäftigen sich Jan Born und seine Kollegen von der Universität Tübingen.

 

Wer schon einmal versucht hat, den ganzen Tag Vokabeln, Geschichtszahlen oder chemische Formeln zu pauken, kennt die hilfreiche Wirkung des Schlafs: Hatte man abends noch das frustrierende Gefühl, nun gar nichts mehr zu wissen, sieht die Sache am nächsten Morgen oft deutlich besser aus. Kein Wunder: auch die Netzwerke aus Nervenzellen, die für die Gedächtnisbildung zuständig sind, ermüden schließlich irgendwann. „Im Schlaf aber werden sie reaktiviert, so dass sich das Gelernte verfestigt“, erklärt Jan Born. Ein Hippocampus genannter Bereich im Gehirn sorgt dann dafür, dass die neuen Wörter oder Fakten vom Kurz- ins Langzeitgedächtnis überführt und in der Hirnrinde gespeichert werden. Diesen Prozess können Forscher beobachten, wenn sie die Gehirnströme etwa von lernende Ratten in einem Elektroenzephalogramm (EEG) direkt im Hippocampus aufzeichnen. „Im Schlaf zeigt dieser Bereich darauf die gleiche Aktivität wie während der Lernphase“, sagt Born.

Langzeitgedächtnis arbeitet nur im Tiefschlaf

Allerdings speichert das Langzeitgedächtnis keineswegs während der gesamten Nacht, sondern nur im Tiefschlaf neue Inhalte ab. Wann ein Mensch in diese wichtigen Schlafphasen absinkt, lässt sich ebenfalls im EEG erkennen: Es zeigt dann langsame Wellen, die in der Hirnrinde entstehen und bis in den Hippocampus reichen. Ihre Funktion für die Gedächtnisbildung haben Jan Born und seine Kollegen schon vor einigen Jahren aufgeklärt. Jedes Mal, wenn sich die Kurve zu einem neuen Wellenberg aufschwingt, ist das demnach eine Art Startschuss für das Gehirn: Jetzt reaktiviert es die neuronalen Netzwerke und speichert die tagsüber gelernten Inhalte im Langzeitgedächtnis ab.

Kann man diesen Prozess vielleicht fördern und so bessere Lernerfolge erzielen? Tatsächlich haben die Tübinger Forscher das mit erstaunlich einfachen Mitteln geschafft. „Wenn sich im EEG ein neuer Anstieg anbahnt, schubsen wir die langsamen Wellen sozusagen ein bisschen an“, erklärt Jan Born. Dazu genügt es, wenn der Schläfer im richtigen Moment ein kurzes, leises Klick-Geräusch zu hören bekommt. Schon entstehen höhere Wellen, die länger schwingen. Jan Born sieht darin eine zukunftsträchtige Möglichkeit, Menschen mit Schlafstörungen gezielt wieder zu mehr erholsamen Tiefschlafphasen zu verhelfen – und das auf eine so schonende und effektive Weise, wie sie derzeit mit keinem Medikament zu erreichen ist. Da etliche Firmen bereits an tragbaren EEG-Geräten arbeiten, könnte die Methode seiner Einschätzung nach schon in ein paar Jahren reif für den Einsatz im heimischen Schlafzimmer sein. Das EEG-Gerät müsste dann nur im richtigen Moment ein Signal an das Smartphone auf dem Nachttisch senden. Dieses würde daraufhin einen Klick ausstoßen – und seinem Besitzer so zu einem tieferen Schlaf verhelfen.

Lernerfolge verbessern

„Nebenwirkungen sehen wir bisher nicht“, sagt der Psychologe. Daher könnte der Ansatz auch für Menschen ohne Schlafstörungen interessant sein, die ihre Lernerfolge verbessern wollen. Wie erfolgversprechend das ist, haben die Forscher in Experimenten getestet, bei denen sich die Teilnehmer Wortpaare wie „Himmel“ und „Schloss“ merken sollten. Tatsächlich klappte das mit der klickenden Stimulation im Schlaf deutlich besser. Allerdings hat die Methode ihre Grenzen. Zwei aufeinanderfolgende Wellenberge lassen sich erfolgreich anschubsen, dann ist erst mal Schluss. Durch weitere Klicks ließen sich weder zusätzliche noch höhere Schwingungen erzeugen – und damit auch kein zusätzlicher Lernerfolg. Das könnte nach Ansicht der Forscher an einem natürlichen Schutzmechanismus des Gehirns liegen. „Zu viele und zu starke Hirnschwingungen steigern das Risiko für epileptische Anfälle“, erklärt Born. Also steuert das Denkorgan selbst gegen und verordnet sich feste Pausenzeiten. Gedächtniswunder können ein paar im Schlaf gehörte Geräusche also auch nicht bewirken. Ein bisschen beim Vokabellernen helfen sie aber schon.

Nun wollen die meisten Menschen aber nicht nur Sprachen und Fakten lernen, sondern vielleicht auch Tanzen, Skilaufen oder Autofahren. „In solchen Fällen kommt es vor allem darauf an, die nötigen Bewegungen zu automatisieren“, erklärt Jörn Born. Könner denken schließlich nicht weiter darüber nach, was sie wann mit welchem Arm oder Bein machen müssen. Seit den 1990er Jahren wissen Psychologen, dass Schlaf auch bei solchen motorischen Lernprozessen hilft. Das lässt sich zum Beispiel in einem klassischen Versuch zeigen, bei dem die Teilnehmer eine einfache Zahlenabfolge auf einer Computertastatur tippen müssen. Dabei werden sie nicht nur im Laufe des Trainings immer schneller. Nach ein paar Stunden Schlaf treffen sie die Tasten sogar in einem Tempo, das sie zuvor nie erreicht hatten. „So ist die Idee entstanden, dass Schlaf aktiv die motorischen Fähigkeiten verbessert“, sagt Born.

Auch Erholung hilft

Diese Theorie haben er und seine Kollegen allerdings gerade zu den Akten gelegt. In ihrem Tipp-Experiment haben sie das Niveau der Teilnehmer nämlich nicht nur direkt nach dem Training gemessen, sondern auch eine halbe Stunde später. Und sämtliche Tipper zeigten nach dieser kurzen Ruhephase einen Leistungssprung – ganz ohne Schlaf. Das liegt offenbar an Ermüdungseffekten, die sich im Laufe des Trainings einschleichen. Die für Fingerfertigkeit zuständigen neuronalen Netzwerke reagieren nicht mehr so schnell, wenn sie ständig beansprucht werden. „Diese Ermüdung verschwindet aber rasch, wenn man einfach ein paar Minuten lang etwas anderes macht“, betont Jan Born. Die in früheren Versuchen beobachtete Leistungssteigerung am nächsten Morgen ist offenbar durch diesen Erholungseffekt zustande gekommen und nicht durch den Schlaf.

Das heißt aber nicht, dass Schlaf beim motorischen Lernen gar nichts bewirkt. Vielmehr nutzt das Gehirn auch in diesem Fall die Zeit, um das während des Tages Gelernte zu festigen. Dazu muss man sich nicht unbedingt direkt nach dem Training aufs Ohr legen, zeigen die Tübinger Experimente. So sollte ein Teil der Kandidaten nach den Tippübungen vier Stunden wach bleiben. In dieser Zeit verschlechterte sich ihre Fingerfertigkeit zwar deutlich. Doch nach dem anschließenden Schlaf liefen auch sie wieder zu ihrer alten Bestform auf.

Das Lehrbuch unter dem Kopfkissen reicht nicht

„Wer allerdings ganz sicher gehen will, dass sich das Gelernte auch verfestigt, sollte kurz nach der Lernphase schlafen“, meint Jan Born. Es helfe aber auch, sich kurz vor dem Einschlafen noch einmal bewusst an das Training zu erinnern. Zwar gelten bewusstes Lernen und das Automatisieren von Bewegungen eigentlich als zwei ganz unterschiedliche Leistungen, für die im Gehirn auch verschiedene Bereiche zuständig sind. „Unser Versuch zeigt aber, dass beide Gedächtnissysteme gar nicht so streng getrennt sind“, erklärt der Forscher. Wer sich vor dem Schlafengehen gezielt noch einmal die Szenen aus der Tanz- oder Fahrstunde vor Augen führt, stößt offenbar auch die Netzwerke an, die für motorische Fertigkeiten zuständig sind – und hat dann weniger Schwierigkeiten, die richtigen Tanzschritte zu machen oder Kuppeln und Gangeinlegen zu koordinieren.

„Neues lernt man auf diese Weise allerdings nicht“, betont Jan Born. Die meisten Schüler dürften es geahnt haben: Das Lehrbuch unter dem Kopfkissen reicht nicht. Man muss vorher schon auch hinein geschaut haben.

Das Geheimnis des menschlichen Schlafs

Schlaf
Noch immer ist nicht ganz klar, warum Menschen und viele Tiere schlafen. Offenbar erfüllt dieser Ruhezustand eine Reihe von Funktionen, die noch nicht bis ins Detail geklärt sind. Nachgewiesen sind zum Beispiel Einflüsse auf das Immunsystem, die Wundheilung und verschiedene Stoffwechselprozesse.

Gedächtnis
Auch die Gedächtnisbildung funktioniert nicht ohne Schlaf. Anders als früher vermutet, findet diese nicht während des REM- oder Traumschlafes statt, sondern nur im Tiefschlaf. Gerade diese Schlafphase aber ist beim Menschen sehr ausgeprägt: Junge, gesunde Erwachsene verbringen 20 bis 25 Prozent der Nacht in diesem Zustand, mit dem Alter nimmt der Anteil allerdings ab. Trotzdem verbringen auch ältere Menschen deutlich ruhigere Nächte als viele andere Säugetiere. Ratten zum Beispiel sind sehr unruhige Schläfer, die nur für wenige Minuten im Tiefschlaf versinken und zwischendurch sehr häufig aufwachen.

Tiefschlaf
Forscher vermuten, dass der Mensch zumindest einen Teil seiner intellektuellen Fähigkeiten und seiner Lernfähigkeit seinem ungewöhnlich tiefen Schlaf verdankt. So ist diese Phase etwa beim Spracherwerb wichtig: Nur im Schlaf lernen 9 bis 16 Monate alte Kinder, Kategorien zu bilden – etwa Äpfel, Birnen und Kirschen gedanklich als Obst einzuordnen.