Die Kirchenbücher sind 450 Jahre alt. Vom Ende des 17. Jahrhunderts an wurden darin alle Familien notiert. Von damals sind noch elf in der Stadt, drei davon sind Vorfahren des ehemaligen Bürgermeisters Albrecht Sellner. Ein Stück Familiengeschichte.

Gerlingen - Jakob Kremmer kommt zu Ehren: Am 25. November 1568 heiratet er seine Frau Anna, eine geborene Kurtz. Das Paar steht auf der ersten Seite des Gerlinger Ehebuchs. Es ist ein großes, schweres Werk mit dicken Blättern, vor ein paar Wochen wurde es 450 Jahre alt. Die Leihgabe der evangelischen Kirchengemeinde steht in einem schweren Metallschrank im Stadtarchiv. Zusammen mit dem Taufbuch, begründet 1561, und dem Totenregister, angefangen 1590, bildet es die Gerlinger Kirchenbücher. Darin verbergen sich viele Namen und Familiengeschichten – für den, der die alten Handschriften lesen kann.

 

Zum Beispiel die der Familie von Albrecht Sellner, dem Bürgermeister von 1983 bis 1999. Drei der Familien aus der Generation seiner Großeltern sind bei den Familien registriert, die schon im 16. Jahrhundert in Görlinngen lebten, wie der Ortsname damals geschrieben wurde. „Drei meiner Vorfahren gehen bis ins späte Mittelalter zurück“, erzählt Sellner nicht ohne Stolz: in Gerlingen die Hecks, die Maischs und die Höscheles.

Sellners Vorfahren waren schon Bürgermeister

Beim Blick in die Familiengeschichten kommt Erstaunliches zustande – nicht nur bei Namen und Daten, sondern auch bei den Berufen. Nach den Aufzeichnungen des Stadtarchivs war Hans Höschele (1618-1688), ein früher Vorfahr Albrecht Sellners, Bürgermeister in Gerlingen; das entsprach im 17. Jahrhundert dem Finanzchef des Orts. Seinem Sohn Hans Höschele (1656-1728) werden die Berufe „Rat, Schultheiß“ zugeordnet. Er hatte also die Funktion inne, die heute mit „Bürgermeister“ bezeichnet wird, erklärt Klaus Herrmann vom Gerlinger Stadtarchiv. Sein Patenonkel Otto Maisch, ergänzt Albrecht Sellner, sei ebenfalls Bürgermeister gewesen – aber erst im 20. Jahrhundert, und nicht in Gerlingen, sondern in Frickenhausen bei Nürtingen. Seine Vorfahren in der väterlichen Linie stammten aus Löchgau. „Es waren vier Brüder“, erzählt Albrecht Sellner. „Mein Großvater und zwei seiner Brüder kamen Ende des 19. Jahrhunderts nach Gerlingen, sie waren Malermeister, Glaser und Fabrikarbeiter.“ Der vierte Bruder wanderte nach Amerika aus – wo sich seine Spur verlor. Die Sellners, Maischs, Höscheles und Hecks gingen aber auch anderen Berufen nach. Viele waren Landwirte oder Weingärtner, Schlosser oder Schmiede, aber auch ein Lehrer, ein Bäcker und ein Metzger waren darunter.

Ein Missionar in der Verwandtschaft

Und ein Missionar. Jakob Heck wurde 1832 als Sohn des Schmieds Johann Heck geboren. Er lernte Bäcker – und wurde Missionar, nachdem er zwölf Wochen lang mit dem Tode gerungen hatte und gesund geworden war. Nach der Ausbildung in Basel ging er 1856 zusammen mit Christoph Zimmermann nach Afrika, wo er 1866 starb. „Wir haben 1987 in Odomase in Ghana sein Grab besucht“, berichtet Albrecht Sellner – und damit frühere Kontakte der Stadt Gerlingen zu den Oberhäuptern von Groboland vertieft. Nachfahren des Missionars betreiben heute unter anderem eine Bauschlosserei.

Familiengeschichten in Gerlingen künden auch von unternehmerischem Erfolg. So entstand in der Familie Maisch, ursprünglich waren es Küfer, von 1957 an eine Getränkehandlung. Heute hat sie einen Einzelhandelsfachmarkt wie einen Großhandel, bekam 2015 den Titel „Deutschlands bester Getränkehändler“ verliehen. Bernd Maisch leitet das Unternehmen mit seinem Bruder und seiner Schwester. „Unser Vater hat den Betrieb von einem Limonadenhersteller übernommen und mit einem Anhänger an seinem Ford Taunus begonnen“, erzählt er. Und ergänzt: In der Stadt gibt es zwei Familien Maisch – die bis zurück zum Beginn der Kirchenbücher verwandtschaftlich nichts miteinander zu tun haben. „Die einen sind die Küfer-Familie“, erzählt Bernd Maisch, „die anderen die Landwirte und Schreiner.“

Familiengeschichte steckt im Haus

Oder die Familie Höschele. „Wir sind um ein paar Ecken mit Albrecht Sellner verwandt“, erzählt Erika Höschele, die Mutter des Landwirts Thomas Höschele. Ihr Großvater habe mit seiner Familie in dem alten Fachwerkhaus gewohnt, das neben den Träuble-Neubauten an der Leonberger und Hauptstraße steht. „1967 wurde das Haus verkauft und der Aussiedlerhof gegründet.“ Ein anderer aus der Sippe, Harald Höschele, hat einen Elektrikerbetrieb, ist aktiv im Musikverein und häufig für seine Enkel da. „Mein Opa Fritz wurde 1886 in der Kirchstraße geboren“, erzählt er. Die Spuren seiner Familie im 17. und 18. Jahrhundert würden sich im Dunkel der Geschichte verlieren. Mit seinen Recherchen über die jüngere Zeit müsse er beim Haus in der Kirchstraße und dessen Bewohnern anfangen, meint der historisch Interessierte, der schon viele Ausstellungen im Stadtmuseum unterstützt hat, „bei Ahnen und Urahnen“ – und dafür etliches Material sichten. Dann geht es grad so weiter mit Großvätern, Tanten und Vettern.