Der Samstag ist wohl der Tag, auf den alle VfB- und FCB-Fans hinfiebern. Wie wird das Spiel ausgehen? Ein Blick zurück zeigt: Ob in der Liga oder im Pokal – die Vereine haben sich schon denkwürdige Duelle geliefert.

Stuttgart - Was für ein herrlicher Samstag muss doch der 15. März 1969 gewesen sein – zumindest für einen Anhänger des VfB Stuttgart, der womöglich sogar eine Karte für das Heimspiel gegen den FC Bayern ergattert hatte. 3:0 fegten die Schwaben die Münchner damals aus dem brechend vollen Neckarstadion. Gerd Menne, Bo Larsson und Horst Haug erzielten die Tore – und versetzten so neben Tausenden Fans auch Hans Blickensdörfer in Ekstase. Der StZ-Autor schrieb unter der Überschrift „Der größte aller Schwabenstreiche!“ euphorisch: „Was ist ein Volksfest auf dem Wasen mit Bierzelten und allem Tingeltangel gegen den Ausbruch der Begeisterung im vollgepackten Krater des Neckarstadions, mit dem 75 000 den 3:0-Sieg des VfB gegen den Tabellenführer Bayern München feierten!“

 

Die Antwort des Sportreporters auf die – eigentlich rhetorische – Frage folgte unmittelbar anschließend: „Ein Kaffeekränzchen müder Rentner allenfalls, denn nie ist hier an der Nahtstelle zwischen Cannstatt und Untertürkheim ein größeres Fest gefeiert worden als an diesem lauen Vorfrühlingstag, der darüber entscheiden musste, ob die Hoffnungen des VfB auf die Deutsche Meisterschaft 1969 tatsächlich gerechtfertigt sind.“

Letztlich waren sie es trotz des Erfolgs im eigenen Stadion nicht, weil der VfB, der bis auf einen Punkt an die führenden Münchener herangerückt war, in den nächsten sieben Spielen ohne Sieg blieb und sich so dann doch die Bayern die Meisterschaft sicherten. Das 3:0 bleibt dennoch denkwürdig, schließlich adelte selbst der damalige Bundestrainer Helmut Schön die Leistung der Stuttgarter mit den Worten: „Den VfB habe ich noch nie so stark gesehen.“

Zwei Vereine - zwei Städte - zwei Länder

Die Aufeinandertreffen der beiden Clubs hatten immer schon einen besonderen Charakter – auch wenn für den VfB ein Sieg über den Konkurrenten aus Bayern einen höheren Stellenwert genießt als umgekehrt, schlicht deswegen, weil dieser im Laufe der Jahrzehnte immer übermächtiger geworden ist. Dabei zählte der FC Bayern anders als Stuttgart nicht zu den Gründungsmitgliedern der Bundesliga, sondern musste 1963 in der Regionalliga starten.

Ein Grund für die Brisanz der Duelle mag darin liegen, dass die zwei Vereine die unterschiedlichen Mentalitäten der beiden Landeshauptstädte repräsentieren. Deren Diskrepanz kolportiert eine Anekdote aus dem 19. Jahrhundert. Im Jahre 1827 spottete der Stuttgarter Landtagsabgeordnete Damian Mosthaf: „Mir brauchet koi Kunscht, mir brauchet Grombiera.“ Mosthaf bezog sich auf das Angebot der Brüder Boisserée, zweier bedeutender Kunstsammler, die ihren Bestand an altdeutschen und altniederländischen Tafelgemälden Württembergs König Wilhelm I. verkaufen wollten.

Der Monarch folgte angesichts der wirtschaftlichen Nöte des Landes Mosthafs Rat: Er entschied sich gegen die Sammlung und für die Kartoffeln. So wurden die Werke stattdessen an König Ludwig I. von Bayern verhökert, der sie dem bayerischen Staat schenkte; heute bilden sie den Grundstock der Alten Pinakothek in München.

Die Lehre, die aus der Episode zu ziehen ist: in Stuttgart regiert ein schwäbischer Pragmatismus, nüchtern-kalkulierend und hart an der Grenze zur Engstirnigkeit, während gleichzeitig München für bayerisches Savoir-vivre steht, feinsinnig und weltoffen, aber mit Hang zur Arroganz. Das gilt auch für den Fußball: auf der einen Seite der VfB Stuttgart, ein etablierter Bundesligaclub, aber zugleich ein bisschen graue Maus; auf der anderen Seite der FC Bayern München, weltweit eine Marke, erfolgreich und glamourös („FC Hollywood“), aber auch verhasst wie kein zweiter Verein der Republik.

Spielerwechsel zwischen Neckar und Isar

Feuer in die Duelle brachte auch, dass Spieler häufig von dem einen Club zu dem anderen gewechselt haben, und zwar sowohl vom Neckar an die Isar als auch umgekehrt – trotz des Thomas Strunz zugeschriebenen Bonmots, dass das Schönste an Stuttgart die Autobahn nach München sei. Strunz selbst kickte zwar vor seinem Wechsel zu den Bayern für den VfB; zu dem war er allerdings ebenfalls aus München gekommen. Jürgen Klinsmann, beim VfB groß geworden, soll vor seinem Wechsel von den Tottenham Hotspurs zu den Bayern sich gar das Plazet seines Vaters geholt haben, dem er einst hatte versprechen müssen, niemals für München zu spielen.

Unter dem Strich ist die Liste der Spieler, die der Rekordmeister aus Cannstatt weglotste, prominenter besetzt: So verließen etwa die Stürmer Dieter Hoeneß (1979), Giovane Elber (1997) und Mario Gomez (2009) Stuttgart in Richtung München. Den umgekehrten Weg gingen Ludwig Kögl (1990) sowie Ásgeir Sigurvinsson und Kurt Niedermayer (beide 1982); für alle drei zahlte sich der Wechsel aus, sie wurden mit dem VfB Meister. Auch Thomas Berthold, Weltmeister von 1990, kam von den Bayern zum VfB, mit dem er 1997 DFB-Pokalsieger wurde.

Während die Bayern 1969 ihren ersten Titelgewinn in der Bundesliga feierten und damit die bis dato glorreichste Ära der Vereinsgeschichte einläuteten, ging die Reise für den VfB 1975 erst einmal in Liga zwei. Doch gleich am ersten Spieltag nach dem Wiederaufstieg 1977 empfingen die Stuttgarter den FC Bayern – und meldeten sich mit einem eindrucksvollen 3:3 in der Bundesliga zurück.

Pragmatismus in Stuttgart, bayerische Lebenskunst in München

Zweimal war der VfB damals sogar in Führung gegangen, Hansi Müller verwandelte in seinem ersten Bundesligaspiel zwei Foulelfmeter. Mit dem Schlusspfiff erzielte aber Gerd Müller, der zuvor schon zum 2:2 getroffen hatte, den Ausgleich – zum Ärger des StZ-Autors Blickensdörfer, der über den sich im Herbst seiner Karriere befindenden Stürmer schimpfte: „Gerd Müller watschelte herum wie ein fetter Dackel, der beim Wurstschnappen immer zu kurz kommt. Aber plötzlich schlug er zweimal zu, und der Vorsprung war futsch.“

Trotzdem sicherten sich die Stuttgarter am Saisonende souverän den Klassenverbleib, sie landeten auf einem hervorragenden vierten Platz. Der Aufsteiger schnitt damit deutlich besser ab als die Bayern, die Jahre des Umbruchs erlebten und nur Zwölfter wurden – die schlechteste Platzierung, mit der die Münchener jemals eine Runde abgeschlossen haben.

Auch im Oktober 1997 zeigte der VfB gegen Bayern eine tolle Vorstellung, diesmal im Münchener Olympiastadion. Unter dem Trainer Joachim Löw verpassten die Stuttgarter nur knapp den vierten Sieg im 31. Spiel bei den Bayern; deren Verteidiger Sammy Kuffour erzielte in der 84. Minute das 3:3. Kuffours Teamkollege Markus Babbel, der später als Spieler wie auch als Trainer in Stuttgart tätig wurde, weilte da schon nicht mehr auf dem Platz: Babbel war nach vier Minuten wegen Handspiels vom Platz geflogen. Zusätzliche Brisanz hatte das Spiel gewonnen, weil Elber erst wenige Monate zuvor von Stuttgart nach München gewechselt hatte; die Bayern hatten damit das „magische Dreieck“, das der Brasilianer mit Fredi Bobic und Krassimir Balakov gebildet hatte, auseinandergerissen.

Die VfB-FCB-Geschichte wird am Samstag weitergeschrieben

Zehn Jahre später lief es für den VfB gegen die Bayern besser: Am 30. Spieltag der Saison 2006/2007 siegten die Stuttgarter zu Hause klar überlegen mit 2:0 – dank eines Doppelschlags von Cacau, der binnen zwei Minuten zwei Tore erzielte. „Die Lehrlinge sind plötzlich besser als der Meister“, titelte die StZ damals. Und tatsächlich: durch den Sieg rückte der VfB auf vier Punkte an Spitzenreiter Schalke 04 heran, am Ende der Saison feierten die Schwaben dann ihren bis dato letzten Meistertitel.

Aber nicht nur in der Bundesliga, sondern auch im Pokal gab es denkwürdige Duelle. So war der 9. November 1989 nicht nur der Tag, an dem die innerdeutsche Grenze fiel, sondern zugleich Datum eines 3:0 des VfB über die Bayern, für die damit im Achtelfinale Schluss war. Jürgen Hartmann und zweimal Fritz Walter schossen die von Arie Haan trainierten Stuttgarter in die nächste Runde. „Ist das die Wachablösung im Süden?“, fragte der Sportinformationsdienst. War es nicht, der Rekordmeister blieb auch im wiedervereinigten Deutschland das Maß aller Dinge.

Aber immerhin war es eine kleine Revanche für die 2:5-Niederlage des VfB im Pokalfinale 1986. Dieses war zwar ein unterhaltsames, aber auch einseitiges Spiel, da die Bayern dem VfB keine Chance ließen; Lothar Matthäus leistete sich sogar den Luxus einen – ohnehin unberechtigten – Foulelfmeter zu verschießen. Jedenfalls entschuldigte sich der VfB-Trainer Willi Entenmann nach der Klatsche bei den Fans, „weil wir wirklich eine ganz schwache Leistung geboten haben“. Bleibt aus Stuttgarter Sicht zu hoffen, dass nicht auch Bruno Labbadia am Samstagabend ähnliche Worte finden muss. Aufregender wäre doch ein weiterer Schwabenstreich – wie damals, am 15. März 1969.