Das Frauenteam mit Spielerinnen aus beiden Landesteilen soll die neue Verbundenheit Koreas dokumentieren. Reine Propaganda?

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Pyeongchang - Die Menschen in der Eishockey-Halle Kwandong stehen auf, klatschen im Takt in die Hände, bewegen Beine, Hüften und Arme zur Musik. In der ersten Drittelpause gibt eine koreanische Popsängerin, sie muss sehr populär sein, im engen weißen Lederkleid und mit übers Knie reichenden Lederstiefeln ein paar Songs zum Besten. Wäre die Halle nicht taghell erleuchtet, man hätte sich auf einem Konzert wähnen können. Doch nicht alle in im Hockey Center begeistern sich. In drei Blöcken verteilt, sitzen 230 junge Mädchen, alle in der rot-weiß-blauen Winteruniform mit Mützchen, die zwar interessiert zusehen, aber nicht mal mit den Fingern den Takt auf den Schenkel tippen.

 

Tanzen ist zu westlichen Genussmitteln wie Popmusik nicht erlaubt in der Armee der Schönen. So wird sie in Südkorea genannt, die Stimmungsbrigade des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un. Während der Partie singen sie, winken im Takt mit den Fähnchen und schleudern Rufe wie „Kämpfen, kämpfen“ in die Arena. Das ist ihre Aufgabe. Die Gruppe von Mädchen in den frühen 20ern existiert seit 20 Jahren, Kims Gattin Ri Sol-yu war 2006 mit 16 Jahren Mitglied der staatlichen Animiertruppe, deren Auslandseinsatz zu bestimmten Anlässen beschlossen wird, um der Welt zu demonstrieren, dass Frohsinn und Freude auch nördlich des 38. Breitengrades bekannt sind und man dort nicht bloß lebt, um auf den Tod zu warten.

Trainerin Sarah Murray übt Kritik

Nun wurden die Schönen zu Olympia beordert, wo erstmals eine gesamt-koreanische Mannschaft antritt. Eine historische Mission. Die allerdings, politische Bedeutung hin oder her, auch diesseits der Demarkationslinie nicht immer auf fruchtbaren Boden fiel. Die Trainerin Sarah Murray, Tochter des Ex-Managers der Kölner Haie, Andy Murray, krittelte im Vorfeld, sie wolle keine Fremden in ihr System einbauen, außerdem seien die Nordkoreanerinnen keine Verstärkung, sondern eher das Gegenteil. Zudem benötigten sie einen Dolmetscher, weil keine von ihnen Englisch spricht. Genützt hat es nichts. „Es war eine Vorgabe von oben“, sagte die 29-Jährige. Dass der Trikotausrüster aus den USA gewechselt werden musste, bleibt eine Randerscheinung. Nun tragen Murrays Mädchen Leibchen eines finnischen Herstellers. Zwölf Spielerinnen aus dem Norden hat man der Trainerin oktroyiert, drei lässt sie spielen; das war der kleinste gemeinsame Nenner. Schließlich soll die Einheitsmannschaft nicht der Lächerlichkeit preisgegeben werden.

Sechs eingebürgerte US-Girls

Einem 0:8 gegen die Schweiz folgte ein 0:8 gegen Schweden, im letzten Gruppenspiel am Mittwoch gegen Japan gibt es ein hart umkämpftes 1:4 – dabei ereignet sich erneut Historisches. Randi Heesoo Griffin erzielt das erste Tor für die Mannschaft der Einheit. Dass die Stürmerin vor 29 Jahren in den USA geboren wurde und eine von sechs eingebürgerten US-Girls ist – geschenkt. Die 4110 Fans in der Halle kreischen und schwenken Fähnchen, die den Umriss Gesamt-Koreas zeigen und die ein Sponsor verteilt hat. „Wir hatten eine Chance“, betont Murray, „es war unglaublich laut, als wir das Tor geschossen haben.“

Als Griffin zum 1:2 trifft, da freuen sich die Schönen mit und stehen auf. Das gestatten die Aufpasser, die in jeder Reihe sitzen. Davor haben die Mädchen mit glasklarem Sopran geschmeidige Lieder gesungen, die Fähnchen im Takt geschwenkt und brav La Ola mitgemacht. Wunderbar synchron, perfekt einstudiert – eine Choreografie, die sowohl zu einem turbulenten Eishockeyspiel passt als auch zu einem durchorganisierten Parteitag. Wir kennen das aus unserer Geschichte, ganz gleich, ob der Bund Deutscher Mädel bei den Spielen von Berlin 1936 mit akkuraten Zöpfen einen braunen Schleier über Nazi-Deutschland legte oder die Blauhemden der Freien Deutschen Jugend mit großen Aufmärschen die DDR als Hort des kollektiven Glücks darboten. Jedoch klingen die melodischen Weisen der Nord-Armee in der zweiten Drittelpause gespenstisch wie aus dem Jenseits, dröhnen im Diesseits aus den Lautsprechern westliche House-Beats à la „I like to move-it, move-it“.

Zusammenführung mit Kalkül

Das ist nicht nur ein melodischer Nord-Süd-Konflikt, viele reiben sich an der Anwesenheit von Kims Truppe. Wegen des Kalküls, das dahinter steckt. „Die Medien aus aller Welt werden darüber berichten“, sagt ein Korea-Experte, „so war das auch früher – weil sie Nordkorea repräsentieren, ein Land, das weitgehend unbekannt ist, das mystisch und exotisch ist und vor dem man sich ein wenig fürchtet.“ Die Armee der Schönen kämpft um ein gutes Image für Kims abgeschotteten Staat. Es gibt Kritiker, die vermuten, dass es keine Geste des Friedens des Diktators gewesen ist, seine Cheerleader nach Süden zu schicken – sie unterstellen ein Junktim: Es wird nur eine gesamt-koreanische Mannschaft aufs Eis fahren, wenn die Armee der Schönen einreisen darf. Hätte Südkoreas Präsident Moon Jae-in da „Nein!“ sagen können? Kaum.

„Wir unterstützen das Team“

Denn es ist bekannt, dass diese Mädchen Marionetten sind; handverlesen, ein nach optischen und ideologischen Vorgaben zusammengestelltes Unterhaltungsorchester. Keine einzige darf mit jemandem sprechen, darauf achten die alten Herren, deren bewegungslose Mimik an die steinernen Sowjetführer der Ära Breschnew erinnert. Die Gruppe kommt an im Bus, sie fährt ab im Bus – wie das die nordkoreanischen Spielerinnen tun. Auch die haben stets Wachhunde dabei, getarnt als Dolmetscher. Nur Training, Besprechungen und die Mahlzeiten riechen nach Einheit. Zwar skandieren die Fans in der Halle „Wir sind eins!“, so richtig glauben mag daran nur eine Minderheit. „Wir unterstützen das Team“, sagt Zuschauer Lee, „es ist Olympia. Nur wir Älteren wollen ein Korea, die Jüngeren sind zufrieden mit dem, was sie haben.“

Also alles nur Fassade? Als Korea gegen Ende auf das 2:2 drängt und viele Chancen vergibt, springen die Schönen auf, immer wieder kreischen sie, werfen die Arme hoch, was zweifellos nicht zum Protokoll zählt. Als Japan zum 3:1 trifft, sinken sie zusammen. Vielleicht besteht sie tatsächlich tief in den Herzen: Die Hoffnung auf ein geeintes Korea.