Der Steg über die Lauter ist stark sanierungsbedürftig. Einst wurde er mit Rüstungsgütern aus dem Zweiten Weltkrieg gebaut. Nun wird in der Stadt diskutiert, was mit der Brücke geschehen soll.

Wendlingen - Brücken verbinden Menschen - allerdings bröseln gerade in der Region einige Brücken, obwohl es andernorts Bauwerke gibt, die seit 150 Jahren und mehr ihren Dienst tun. So auch die Wendlinger Kanonenbrücke in der Vorstadtstraße. Die 1948/49 gebaute Brücke, die über die Lauter führt, ist vor allem am Wochenende und an schönen Tagen als Zugang von der Wendlinger Seite zum „Hechtkopf“, wo die Lauter in den Neckar mündet, von vielen Spaziergängern und Fahrradfahrern frequentiert. Für ihren Bau wurden damals zum Teil übrig gebliebene Kanonenrohre aus dem Zweiten Weltkrieg verwendet. Nun weist der Übergang große Schäden auf, vor allem rostet die Unterkonstruktion und ein gesundheit- und umweltschädlicher Anstrich bereitet Sorgen.

 

Entscheidung im kommenden Jahr

„Mit der Instandsetzung der Kanonenbrücke werden wir nicht ewig warten können“, kündigte Wendlingens Bürgermeister Steffen Weigel in der jüngsten Sitzung des Ausschusses für Umwelt und Technik (ATU) im Treffpunkt Stadtmitte an. Eine endgültige Entscheidung stehe allerdings erst für das kommende Jahr an, so der Verwaltungschef weiter. Der Stadt gehe es zunächst nur darum, auszuloten, wie weiter verfahren werden soll. Die Umsetzung der Maßnahme ist für 2023 geplant.

Bereits bei einer Untersuchung im Jahr 2017 hatten sich erste Mängel an dem Brückenbauwerk gezeigt. Die Brücke stand deswegen schon im Januar 2019 im ATU auf der Agenda, die Angelegenheit wurde aber vertagt. Bei einer im Jahr 2020 vom Ingenieurbüro Dr. Tarek Mansour (Filderstadt) durchgeführten neuerlichen Prüfung wurde klar, dass an der Brücke umfangreiche Instandsetzungsarbeiten erforderlich sind. Mansour stellte nun vier Varianten inklusive Kostenberechnung dazu vor. Bei der ersten Variante wird die Brücke saniert, dazu wird der vorhandene Brückenbelag mit Stahlbetonplatten abgebrochen. Die Kosten veranschlagt Mansour mit rund 929 000 Euro. Bei der zweiten Variante wird der jetzige Brückenbelag saniert, Kostenpunkt 830 000 Euro. Die dritte und vierte Möglichkeit beinhaltet den Abbruch und die Erneuerung des Überbaus und ist mit 660 000 Euro beziehungsweise 600 000 Euro kalkuliert.

Bleihaltiger Anstrich ist umwelt- und gesundheitsschädlich

Egal ob saniert oder abgebrochen wird, der in mehreren Schichten aufgetragene Anstrich der Stahlrohre mit Bleimennige wird hohe Kosten verursachen. Bleimennige beziehungsweise Bleioxid wirkt gesundheitsschädlich beim Einatmen und Verschlucken und schädigt die Organe. Die chronischen Vergiftungssymptome entsprechen der einer Bleivergiftung. Bleimennige ist als umweltgefährlicher Stoff eingestuft und wirkt auch für Wasserorganismen sehr giftig.

„Den Anstrich abzubeizen geht nicht, beziehungsweise ist das nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich“, erklärte der Stadtbaumeister Axel Girod. Die Beschichtung muss daher im Sandstrahlverfahren entfernt werden. Und damit das Gift nicht in die Umwelt gelangt, muss die Brücke dazu komplett eingehaust werden – das werde teuer. Fördergelder vom Land seien derzeit nicht in Sicht. Die Aufnahme des Projekts im Sinne des Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (LGVFG) sei nicht möglich, da der Radweg, der über die Brücke führt, nicht im Verbund RadNETZ-BW verzeichnet ist. Mit dem LGVFG unterstützt das Land Kommunen beim Bauen sowie Aus- und Umbau ihrer Verkehrsinfrastruktur. Im Mittelpunkt stehen dabei Maßnahmen, die die Verkehrswende hin zu einer klima-, menschen- und umweltfreundlichen Mobilität vorantreiben. Die Stadt Wendlingen hat allerdings eine Anfrage an das Landratsamt mit der Bitte um Änderung des offiziellen Verlaufs des Lauter-Alb-Lindach-Radwegs gestellt. Wird dem zugestimmt, könnte eine Förderung von bis zu 50 Prozent der Kosten beantragt werden.

Ist die Brücke ein Denkmal?

Da die Verwaltung auch mit dem Gedanken spielt, die Denkmalfähigkeit der Kanonenbrücke durch das Landesdenkmalamt prüfen zu lassen, wollte Bürgermeister Steffen Weigel konkret vom ATU wissen, wie dazu die Meinungen sind. „Wir halten das Bauwerk für nicht denkmalwürdig“, sagte Werner Kinkelin (Freie Wähler). Seine Fraktion werde einer wirtschaftlichen Betrachtung den Vorzug geben. Zustimmung erhielt Kinkelin von Grünen-Stadträtin Marianne Erdich-Sommer: „Unser Herz hängt ebenfalls nicht an dieser Brücke. Wir befürworten eine wirtschaftliche Lösung.“

Die Geschichte der Kanonenbrücke

Zerstörung Am 20. April 1945 sprengten Teile der sich zurückziehenden Wehrmacht die Ulrichsbrücke zwischen Köngen und Wendlingen vor der anrückenden US-Armee. Ebenso waren kurz nach dem Krieg alle übrigen Verbindungen über den Neckar zwischen Köngen und Wendlingen zerstört.

Fehlende Verbindung Für die Wendlinger war das problematisch, denn viele hatten Wiesen und Stückle am anderen Neckarufer und mussten für deren Bewirtschaftung große Umwege in Kauf nehmen. Auf das hartnäckige Betreiben des damaligen Wendlinger Bürgermeisters Helmut Kaiser wurde schließlich die Kanonenbrücke gebaut. Da nach dem Krieg das Material überall knapp war, wurden dabei unter anderem Kanonenrohre, die Kaiser bei der Heidenheimer Firma Voith aufgetrieben hatte, verbaut. Feierlich eingeweiht wurde das im Volksmund zum „Kanonenbrückle“ verniedlichte Bauwerk schließlich am 17. Juni 1949. Ursprünglich führte die Brücke über den Neckar, seit dessen Begradigung in den 1970er-Jahren überspannt das Stahlbauwerk nur noch die Lauter.

Denkmalfähigkeit Laut Denkmalschutzgesetz des Landes sind Kulturdenkmale „Sachen, Sachgesamtheiten und Teile von Sachen, an deren Erhaltung aus wissenschaftlichen, künstlerischen oder heimatgeschichtlichen Gründen ein öffentliches Interesse besteht“. Eine einheitliche Regel gibt es nicht. Das öffentliche Interesse spielt aber eine Rolle – besonders, wenn das Bauwerk für die Geschichte der jeweiligen Stadt von Bedeutung ist.