Der Bauforscher Tilmann Marstaller untersucht in diesen Tagen gut ein Dutzend historischer Gebäude in Filderstadt-Plattenhardt. Dafür nutzt er nicht nur Jahresringe, sondern auch seine Nase – und verrät, welche Baumart nach Katzenurin riecht.

Filderstadt - Für einen Laien ist der Balken im Giebel dieses alten Hauses in Plattenhardt ein Stück Holz. Für Tilmann Marstaller ist es jedoch eine Art Geschichtsbuch, aus dem er nicht nur Informationen über das Gebäude selbst, sondern auch über die damalige Zeit bekommt. Doch dafür muss er dem Holz quasi ein Stück seiner Geschichte entreißen.

 

Mit einem leisen Surren fräst sich ein Bohrer in das Holz. In der Mitte bleibt ein Bohrkern übrig, den Marstaller vorsichtig herauszieht und in einen Plastikbeutel legt. „Damit kann man das Alter des Holzes exakt bestimmen“, erklärt der in Rottenburg lebende Wissenschaftler, der Kunstgeschichte, Vor- und Frühgeschichte sowie Mittelalter-Archäologie studiert hat. Dendrochronologie heißt diese Technik, bei der man die verschieden dicken Jahresringe eines Baumstamm-Querschnitts mit denen in einem mehr als 10 000 Jahre zurückreichenden Archiv vergleicht. Man könne sogar erkennen, in welcher Jahreszeit der Stamm gefällt worden ist. „Das sieht man an der Waldkante, also dem äußersten Jahresring des Balkens“, erklärt er.

Das Holz riecht widerlich

Marstaller zieht den Bohrkern heraus. „Vermutlich handelt es sich hier um Fichtenholz“, sagt Marstaller – und nutzt bei der Bestimmung auch seine Nase. Tanne rieche nämlich widerlich – ein wenig nach Katzenurin.

Schon an der Art, wie die verschiedenen Dachbalken miteinander verbunden sind, kann der Experte das Alter des Gebäudes abschätzen. „Dieses Haus wurde vermutlich am Übergang zwischen Mittelalter und Neuzeit gebaut“, sagt Marstaller. Das könne er an der Art der Holzverbindung und an den Holznägeln erkennen, mit denen die Balken gegen Verschieben gesichert sind. Eine Kerbe an der Stirnseite des Holzes gibt ihm zudem einen Hinweis darauf, wo der Baum einmal gewachsen ist und gefällt wurde: im Schwarzwald. „Der Stamm wurde geflößt“ erklärt er. Denn diese „Floßauge“ genannte Kerbe mit Bohrloch diente dazu, die einzelnen Stämme zu einem Floß zusammenzubinden.

Holz aus dem fernen Schwarzwald, wo es mit dem Schönbuch einen Wald vor der Haustür gibt? Die einfache Erklärung: „Es gab Zeiten, in denen Holz Mangelware war“, erklärt Marstaller. Der heute dicht bewaldete Schönbuch sei einmal kahl gewesen. „In einem Bericht aus dem Jahr 1617 ist zu lesen, dass der Schönbuch zu zwei Dritteln ohne Holz ist“, erklärt Marstaller. 1626 wurde daher versucht, am Uhlberg Kiefern anzupflanzen. Das Holz zweier bauhistorisch untersuchter Häuser in Plattenhardt könnte von diesen Bäumen stammen. In anderen Gebäuden hat Marstaller eine wilde Mischung verschiedener Holzarten gefunden, neben Floßholz aus dem Schwarzwald oder eigentlich gar nicht bei uns heimischen, jedoch nicht geflößten Tannen sei sogar minderwertiges Pappelholz genutzt worden. Auch Balken abgerissener Gebäude wurden wiederverwendet. „All das macht die alten Gebäude in Filderstadt so spannend, die Gemeinden litten über Jahrhunderte unter Holzmangel.“

Die Ergebnisse kommen ins Heimatbuch von Plattenhardt

Der Bauforscher aus Rottenburg untersucht in diesen Tagen ein gutes Dutzend historischer Gebäude – auch dank der Hilfe von Johannes Jauch, der vielerorts als Türöffner diente. Schließlich sind es überwiegend Privathäuser, die Marstaller untersucht. „Ziel dieser Untersuchung ist, Informationen über die Geschichte dieser Häuser zu bekommen“, sagt Nikolaus Back. Die Häuser seien aus der Zeit zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert, „und aus dieser Zeit gibt es kein Archivmaterial“, sagt der Filderstädter Stadtarchivar, auch Baupläne würden nicht existieren. Die Ergebnisse des Bauforschers werden neben etlichen anderen Themen im neuen Heimatbuch über Plattenhardt präsentiert, das Ende des Jahres erscheinen soll – passend zum 750-jährigen Bestehen des Ortes im Jahr 2019.