Diese Geister haben ganz schön viele Jahre des Spukens hinter sich gebracht. 1946 haben die Schneiders ihre Geisterbahn gebaut. Im Moment erschreckt sie die Besucher des Historischen Volksfests in Stuttgart.

Eins, zwei, drei. Drei?! Da ist definitiv eine Hand zu viel. Und was macht sie auf der Schulter? Man zuckt zusammen und muss brüllen, keine Chance, der Schreck muss raus, auch wenn man weiß, man ist in einer Geisterbahn. Das Kreischen und Schreien ist der Sound der Spukgeschäfte. Es ist für den Betreiber das, was für den Künstler der Applaus ist. „Und die beste Werbung“, sagt Louis Schneider. Er ist 23 Jahre alt und damit ein absoluter Jungspund im Vergleich zu seinem Geisterexpress. Den haben nämlich sein Opa und seine Oma im Jahre 1946 gebaut.

 

Was war „fringsen“?

Erst denkt man, man habe sich verhört. 1946? Im Jahr nach dem Krieg? Da plagte einer der strengsten Winter des 20. Jahrhunderts das kriegszerstörte Europa. In Deutschland starben Hunderttausende Menschen den „weißen Tod“, wie man das damals nannte. Zur Jahreswende rechtfertigt der Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Frings in seiner Silvesterpredigt den Mundraub für den Eigenbedarf. Fortan heißt das Beschaffen von Essen, Trinken und Kohle „fringsen“.

In diesem Jahr, diesem Hungerwinter, sammeln Schneiders Oma und Opa, was immer sie finden können, und fangen an, ihre Geisterbahn zu bauen. Der Tier- und Landschaftsmaler Fritz Laube ist ein Freund, er gestaltet für die Schneiders die Fassade. Zombies finden sich da, Hexen, Außerirdische, ein Höllenhund, eine Art King Kong.

Von der Pike auf gelernt

Später reisten die Eltern von Louis Schneider mit der Geisterbahn, bis sie sich 1998 das Laufgeschäft Pirates Adventure kauften. Wenn sie damit über die Festplätze reisten, waren Louis und seine beiden Geschwister dabei. „Mit sechs Jahren habe ich meine erste Schweißnaht gelegt“, erzählt er. Wie so viele Schausteller ist er ein Tausendsassa, Schweißer, Mechaniker, Elektriker, sie können alles. Was während Corona half. Da demontierte Schneider Windkraftparks, um Geld zu verdienen. Da war er schon mit seinem Geisterexpress unterwegs. Andere bekommen mit 18 ihr erstes Auto, Schausteller ihr erstes Fahrgeschäft. „Mein Vater hat mich gefragt, was ich machen will“, sagt Schneider, „ich habe gesagt, ich will die alte Geisterbahn.“ Eine gute Wahl, auch in Stuttgart auf dem Schlossplatz bleiben die Menschen stehen, fragen, wie alt die Bahn ist, wo sie herkommt. Eine Oma erklärt ihrer Enkelin, dass sie früher auch in einer solchen Geisterbahn das Gruseln gelehrt bekommen hat.

Mit 18 das erste Geschäft

Die Geisterbahn ist eine verhältnismäßig junge Jahrmarktsattraktion. Die erste elektrisch betriebene Geisterbahn der Welt ist der Ghost Train im Blackpool-Pleasure-Beach-Vergnügungspark im Nordwesten Englands. Er wurde im Mai 1930 eröffnet. Und fährt heute noch. Sie sind also ganz schön robust, diese Geister. Kein Wunder, sind sie doch unsterblich.

Grusel mit Schweineköpfen

Das gilt auch für Schneiders gesammeltes Gruselkabinett. Er brachte die Bahn auf Vordermann, musste Teile der vermoderten Holzfassade durch Aluplatten ersetzen. Die Wagen und die gruseligen Innereien waren aber erhalten und sind alle noch anno 1946. Wobei man sagen muss, die Rinderhälften und die Schweineköpfe, die seine Großeltern zum Erschrecken nutzten, die tauchen nicht mehr auf. Aber der Drache, der Vampir, das Skelett, die Klassiker sind alle noch bereit zum Gruseln. Nur die Hand, die ist nicht anno 1946. Die fühlt sich sehr echt und sehr kalt an. Im Ghost Train in Blackpool soll Cloggy, der Geist eines verstorbenen Technikers, sein Unwesen treiben. Wer weiß, wer da in Stuttgart im Geisterexpress herumspukt.