Das historische Volksfest wird zum zweiten Mal nach 2018 in der Innenstadt gefeiert. Es erinnert an die Ursprünge des Cannstatter Volksfests, das gegründet wurde, um die Landwirtschaft zu modernisieren und das Ende einer furchtbaren Hungersnot zu feiern.

Das Staunen höret nimmer auf. Bestens vernetzt sind wir, können Neues im Sekundenschnelle erfahren. In unseren Handys haben wir alle Wunder der Welt greifbar. Wer interessiert sich da noch für einen historischen Rummel, ist das nicht altbacken? Offenbar nicht. Eine halbe Million Menschen kamen 2018 auf den Schlossplatz, weil sie es lieben, zum Staunen gebracht zu werden, weil sie gespürt haben, dass dieses Fest zu dieser Stadt passt.

 

Umzug in die Stadt

Nun wird wieder gefeiert. Vom Samstag, 24. Oktober, bis zum Montag, 3. Oktober, kehrt der historische Rummel mit alten Fahrgeschäften und Gauklern, Seiltänzern und Flohzirkus auf den Schlossplatz zurück. Eigentlich war es als einmalige Sache gedacht. 2018 hatte das Cannstatter Volksfest seinen 200. Geburtstag gefeiert. Zudem fand das 100. Landwirtschaftliche Hauptfest statt. Um dieses doppelte Jubiläum zu feiern, zog der Rummel erstmals in seiner Geschichte über den Neckar in die Stuttgarter Innenstadt.

Die Menschen wollten eine Zugabe

Dort hat er nach allerhand Grübeln seine neue Heimat gefunden. Auch weil sich die Besucher via E-Mails und Briefen zu Wort meldeten, bekundeten, das Fest möge auf dem Schlossplatz bleiben. Zunächst hatte man geplant, es auf dem Wasen als Teil des Cannstatter Volksfestes unterzubringen. Aber wie gestaltet man einen historischen Rummel neben dem Volksfest? Der Eintritt soll frei sein, es soll erkennbar sein, und es soll ja jene Gäste anziehen, die ganz bewusst auf den Schlossplatz gegangen sind und nicht auf den Wasen. Weil ihnen dort zu viele Menschen sind, zu viele Betrunkene, es zu laut und aufgeregt ist. Und wie oft feiert man? Schließlich belegt man zwei Wochen lang den zentralen Platz der Stadt und gibt eine knappe Million Euro aus. Der Gemeinderat entschied sich, alle vier Jahre zu feiern. Immer wenn das Landwirtschaftliche Hauptfest stattfindet. Schließlich ist es die Keimzelle des Cannstatter Volksfests.

Zurück – aber mit Hindernissen

Und wie es der Kalender will: So kommt nach zwei Coronajahren das Volksfest mit voller Wucht zurück. Rummel und Hauptfest auf dem Wasen, historisches Volksfest auf dem Schlossplatz. Das wäre auch so schon eine „große Herausforderung“, wie Andreas Kroll, Geschäftsführer der Veranstalterin in.Stuttgart, sagt, aber in den vergangenen zwei Jahren „sind viele Abläufe verloren gegangen, die neu geübt werden müssen“. Etliche Dienstleister gibt es zudem nicht mehr, sie haben sich andere Berufe gesucht.

Schwäbisches Essen, schwäbische Musik

Immerhin, das Festzelt gab es noch, das konnte in.Stuttgart leihen und der neue Wirt Michael Schmücker es im Ehrenhof des Neuen Schlosses aufbauen. 1500 Besucher finden dort Platz. Dort gibt es schwäbisches Essen wie Ochsenmaulsalat, Schweinskopfsülze, saure Kutteln, das Collegium Wirtemberg hat eine Cuvée 1818 aus Dornfelder, Spätburgunder, Heroldrebe und Lemberger kreiert. Das Festbier von Hofbräu kostet 6,30 Euro der halbe Liter, da ist man bei der Maß auch bei 12,60 Euro. Volksfestpreise von 2022, nicht von 1818. Nicht nur das Essen ist konsequent schwäbisch. Auch die Musik. „Authentizität“ ist das Stichwort für Wulf Wager, der vor gut zehn Jahren die Idee für den historischen Rummel hatte. Beim Brauchtum kennt er sich aus wie wenige im Lande, nicht nur bei den Trachten, sondern auch bei der Musik. So hat er alte Noten gewälzt, sie neu arrangiert. Jeden Tag treten Traditionsgruppen auf wie Spundlochmusik oder Trotzblech, die „waschechte Wirtshausmusik“ spielen. Den Auftritten folgt eine Ruhepause, „es soll keine durchgehende Beschallung geben“.

Asche vor der Sonne

Authentisch sind auch die Geschäfte auf dem Platz. Der Flohzirkus kommt wieder, die Raupenbahn, Gaukler und Seiltänzer, das alte Postamt. Neu sind ein Schwanenflieger und eine historische Geisterbahn. Mittelpunkt des  Platzes ist die  Jubiläumssäule, die sich in eine  Fruchtsäule verwandelt. Dort hat Jürgen Weisser vom Deutschen Landwirtschaftsmuseum mit Wager eine Ausstellung konzipiert. Sie erzählt, wie nach dem Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien eine Aschewolke die Sonne verdeckte, wie Württemberg im Regen ertrank, die Ernte faulte, zwei Jahre lang hungerten die Menschen und starben. Aus Dankbarkeit, dass diese Zeit vorbei war, stiftete König Wilhelm I. im Jahr 1818 das Fest. Es sollte zum Vergnügen dienen, aberauch als Agrarmesse, auf der die Bauern wetteifern und sich fortbilden konnten. Wilhelm gründete die Uni Hohenheim und die erste Agrarfabrik Deutschlands. Dieses Fest erzählt davon, wie dieses Land und diese Stadt von einem der Armenhäuser Europas zu einer wohlhabendsten Region der Erde wurden, wie aus einem von Hunger und Seuchen geplagten Agrarstaat ein Industrieland entstand.

Das historische Volksfest

Öffnungszeiten
Das historische Volksfest wird vom 24. September bis zum 3. Oktober gefeiert. Geöffnet ist es täglich von 11 bis 22 Uhr.