Vor 125 Jahren verband die erste Postkutsche die Dörfer auf den Fildern. Die Route führte über die Kirchheimer Straße vorbei an Sillenbuch und Heumaden nach Ruit. Für die meisten Dorfbewohner brachte die Linie dennoch keine Verbesserung.

Filder - Am schnellsten von Degerloch nach Ruit geht’s mit der U 8. In 13 Minuten schafft man die mehr als acht Kilometer lange Straßenroute. Wanderer brauchen anderthalb Stunden. Früher, als es weder Bahn noch Auto gab, war der Marsch die einzige Möglichkeit, von A nach B zu gelangen. Vom Jahr 1893 an gab es auch eine andere: Im selben Jahr, in dem auch der VfB Stuttgart gegründet wurde, wurde die erste Postkutschenlinie von Degerloch nach Ruit eingerichtet.

 

Der 2017 verstorbene Sillenbucher Ortshistoriker Hans-Georg Müller hatte in seinem letzten Band seiner Chronikreihe, „Im Wandel der Zeit“, die Geschichte dieser Ein-PS-Verbindung auf den Fildern nachgezeichnet. Darin stützt er sich offenbar auf Informationen aus Dietrich Hillers Buch „Von der Postkutsche zur U 7: Bus- und Bahngeschichte(n) für Sillenbuch, Heumaden und Riedenberg“.

Kutsche hielt an der Gaststätte Wilhelmshöhe

Die Ortschaften lagen demnach zwischen den Verkehrsachsen am Neckar, also an der ersten württembergischen Eisenbahnstrecke zwischen Stuttgart und Ulm sowie der alten Poststraße zwischen Stuttgart und Tübingen. Vor 125 Jahren wurde die Querverbindung eingerichtet, hat Hans-Georg Müller herausgefunden. Die Kutsche nahm die Route über die Kirchheimer Straße und hielt im heutigen Sillenbucher Bezirksgebiet zweimal: an der Gaststätte Wilhelmshöhe und auf Höhe von Heumaden zwischen den Feldern, dort, wo heute die Bockel- in die Kirchheimer Straße übergeht.

Für die Bewohner der Dörfer brachte die Kutschlinie jedoch keine Verbesserung, lautet Hans-Georg Müllers Urteil. Die Haltepunkte lagen zu weit außerhalb der Dörfer, die sich noch längst nicht so weit ausgedehnt hatten wie heute, und weite Strecken zu marschieren, das waren die Leute gewöhnt. Hinzu kommt, dass der Pferdewagen nur zweimal täglich verkehrte. Und überhaupt: Für eine Fahrt nach Stuttgart musste man zwei Fahrscheine lösen, einen Richtung Degerloch und einen für die Zacke zum Marienplatz. Geld, das kaum einer aufbringen wollte oder konnte.

1927 verkehrten die ersten Busse

Wie die Linie in Ruit angenommen wurde, ist unklar. Jochen Bender, Stadtarchivar in Ostfildern, findet lediglich einen Bericht im Nellinger Heimatbuch über Postwagenfahrten zwischen Esslingen, Nellingen, Neuhausen und Denkendorf, die von 1868 an verkehrten und 1920 schließlich eingestellt wurden, weil die Württembergische Kraftverkehrsgesellschaft die Postbeförderung per Autolinie aufnahm. Einziger Hinweis auf die Verbindung Degerloch-Ruit: ein Bericht im Filder-Boten. Am 15. Juni 1893 wird dort die Eröffnung einer Postagentur in Ruit erwähnt. Genaueres über Postbotenfahrten vom Degerlocher Bahnhof aus erfährt man nicht.

Mit mehr PS ging es erst von 1927 an voran. Am 4. November verkehrten die ersten Busse der Linien U (Degerloch, Sillenbuch, Heumaden, Ruit, Scharnhausen bis Unterboihingen) und K (Degerloch, Sillenbuch, Kemnat). Das war zwar moderner, da aber die Busse ebenfalls über die Kirchheimer Straße rollten, profitierten die Sillenbucher wieder kaum, schreibt Müller. Fahrt nahm der Nahverkehr erst 1930 auf. Am 5. April fuhr die erste elektrische Straßenbahn, der Zehner, auf der Kirchheimer Straße ein – beklatscht von hunderten Schaulustigen, die sich an der Wilhelmshöhe versammelt hatten. Der Bus wurde eingestellt. Am 9. September 2000, nach mehreren Linien-Umbauten und -Erweiterungen, war schließlich die Eröffnungsfeier für die Linien U 7 und U 8 in Nellingen. Der Oberbürgermeister Herbert Rösch empfing laut einem Bericht der SSB die parallel einfahrenden Bahnen mit den Worten: „Was ist das für ein Anblick.“ Seither geht’s zügig zwischen Degerloch und Ruit – nämlich in 13 Minuten.