Sollte die Hitzewelle weiter anhalten, wächst vor allem für alleinstehende alte Menschen das Gesundheitsrisiko. Auch eine aufmerksame Nachbarschaft hilft, schlimmes zu verhindern.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Noch halten sich die gesundheitlichen Folgen der aktuellen Hitzeperiode in Grenzen. Nur vereinzelt kämen Patienten mit hitzebedingten Herz- und Kreislauf-Problemen in seine Praxis, sagt Markus Klett, der Vorsitzende der Stuttgarter Ärzteschaft. „Die älteren Leute sind recht stabil“, hat der Hausarzt aus Bad Cannstatt festgestellt. Der Mediziner hat den Eindruck: „Die Leute denken mehr mit, viele sind vorsichtig und gehen nicht aus dem Haus.“

 

Ähnlich sind die Erfahrungen in einigen Krankenhäusern. „Es gibt keine besonderen Auffälligkeiten in der Notaufnahme“, sagt Ulrike Fischer, die Sprecherin des städtischen Klinikums. Im Robert-Bosch-Krankenhaus (RBK) verzeichne man „einzelne Fälle von Hitzeerschöpfung und stärkeren Kopfschmerzen“, erklärt RBK-Sprecherin Marlies Kepp. Man rechne aber mit einer Zunahme solcher Patienten, „wenn die aktuelle Hitzeperiode weiter anhält“.

Steigende Sterblichkeit

Mit gutem Grund: „Die Dauer der Hitzewelle ist wichtig“, sagt Clemens Becker, der Chefarzt der Klinik für Geriatrische Rehabilitation im RBK. Das zeigen die zurückliegenden Jahre. In diesem Frühjahr, sagt Becker, habe das Landesgesundheitsamt für das Jahr 2015 rund 2000 Hitzetote in Baden-Württemberg gemeldet. Die Zeitspanne mit sehr hohen Temperaturen betrug damals fünf Tage, schreibt der Chefarzt mit Kollegen im Juli-Heft des Ärzteblatts Baden-Württemberg. Im Jahrhundertsommer 2003 dauerte die Welle zwölf Tage. Entsprechend höher war die „hitzebedingte Übersterblichkeit“, wie es im Fachjargon heißt. In Europa verzeichnete man etwa 70 000 Hitzetote, in Deutschland 7000, in Baden-Württemberg 2500. Wegen der bis zu 15 000 Hitzetoten in Frankreich trat dort sogar der Leiter des Gesundheitsministeriums zurück.

„Bis zu Temperaturen von 30 Grad geht es noch ganz gut“, weiß Altersmediziner Becker. Wenn das Thermometer tagsüber bis auf 33 oder 35 Grad steigt, das Klima tropisch wird und die Wärme nachts über 20 Grad liegt, „dann sind bestimmte Patientengruppen stärker gefährdet“. Das gilt etwa für Schlaganfallpatienten, Menschen mit Herzproblemen, Lungenleiden oder Nierenschäden. Gerade der Stuttgarter Talkessel heizt sich auf, sagt Clemens Becker.

Alleinstehende Menschen gefährdet

Um angesichts des Klimawandels schwerwiegenden Folgen vorzubeugen, plädiert der Mediziner für Hitzeaktionspläne, um die steigende Sterblichkeit in heißen Sommern zu vermindern. Solche Pläne müssten Ärzteschaft, Kliniken und Altenpflege einbeziehen. So sollten die Ärzte Patienten und Angehörige verstärkt für die Gesundheitsrisiken durch Hitze sensibilisieren. Das fängt an beim Thema Trinken. Wobei zu bedenken sei: Wer nur Tee mit Leitungswasser zu sich nehme, dem fehlten Mineralien, sagt Mediziner Becker. Wichtig sei, auch bei hohen Temperaturen genug zu essen. „Man nimmt relativ viel Wasser über die Nahrung zu sich.“ Ärzte sollten die Medikamentengabe an die Temperaturen anpassen und ihre Patienten aufklären. So senken manche Wirkstoffe das Durstgefühl, andere verhindern das Schwitzen. Wassertreibende Medikamente sollten sowieso reduziert werden, aber auch Blutdruckmittel. Becker: „Der Blutdruck sinkt ab 30 Grad automatisch.“

Die eigentliche Risikogruppe bei starker Hitze sind alleinstehende ältere Menschen. Hier schlagen der Chefarzt des RBK und seine Autorenkollegen vor, in extremen Hitzeperioden unter Beteiligung von Hausärzten, Pflegediensten und Apothekern „ein freiwilliges Register für Hitzerisikopatienten“ zu erstellen und im Notfall ehrenamtliche Mitarbeiter von Hilfsdiensten zur Unterstützung solcher Menschen einzusetzen.

Nachbarn sollen sich kümmern

Nicht zuletzt sei in Zeiten von extremer Hitze aber „eine gute Nachbarschaft wichtig“, sagt Clemens Becker, „dass man auch mal fragt, ob man helfen kann.“ Bei der politischen Aufarbeitung der Hitzekatastrophe von 2003 in Frankreich hatte der damalige Staatspräsident Chirac denn auch die fehlende Solidarität der Bürger und die schwächer werdende soziale Bindung gerade gegenüber älteren Menschen beklagt.