Der Stuttgarter Oberbürgermeister ist sauer und der Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling zweifelt an der Sinnhaftigkeit der SPD-Plakate. Nicht einmal andere Hauptkritiker von Fritz Kuhn im Gemeinderat verstehen die Sozialdemokraten.

Stuttgart - Fritz Kuhn ist wahrlich nicht amüsiert. Stuttgarts OB mit dem Parteibuch der Grünen will sich zwar bewusst zurückhalten, den Ärger über die SPD kann er dennoch nicht verleugnen. Speziell über die Wahlplakate, die der SPD-Fraktionschef Martin Körner seit Samstag in Stuttgart kleben ließ. „Das ist eine seltsame und bizarre Kampagne“, sagt Kuhn auf Nachfrage unserer Zeitung. Und weiter: „Als Wahlbeamter darf ich mich nicht in den Wahlkampf zum Gemeinderat einmischen, dennoch greift mich die SPD persönlich an. Mich erstaunt dabei die Aggressivität gegen meine Person. Die Wählerinnen und Wähler werden sich ihre Meinung bilden.“

 

Es geht um drei Plakate. Auf einem steht: „Herr Kuhn, die Mieten steigen, weil Sie nicht bauen.“ Auf dem zweiten ist zu lesen: „Herr Kuhn, Ihre Straßen sind verstopft und die Bahnen übervoll.“ Auf dem dritten heißt es: „Herr Kuhn, waren Sie als Grüner nicht mal gegen Korruption?“ Eine Anspielung auf den Skandal rund um Auslandsgeschäfte des städtischen Klinikums.

Die SPD-Plakate sind bis aufs Detail ausgefeilt

Diese drei Plakate stehen im Moment für die angriffslustigste Wahlkampfkampagne in Stuttgart, ausgefeilt bis ins Detail. Die Vorwürfe an Kuhns Adresse erscheinen im Stil einer Nachricht im sozialen Netzwerk Whatsapp. Am Schluss gibt es zwei graue Häkchen. Die sagen dem Eingeweihten normalerweise: Die Botschaft ist versandt und angekommen, aber vom Empfänger ignoriert. Drei Wochen nach dem Auftakt der Plakatkampagne will die SPD in der zweiten Welle dann nicht mehr Kritik an Kuhn versenden, sondern eigene Antworten plakatieren. Dann mit zwei grünen Häkchen, die signalisieren: Das ist angekommen und quittiert.

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Körner räumt ein, im sozialen Netzwerk Facebook sei von der politischen Konkurrenz die eine oder andere Kritik geäußert worden, aber das sei doch naheliegend. Außerdem hat die Grünen-Fraktion gleich am 10. April nach der Vorstellung der geplanten Wahlkampagne durch die SPD mit einer Pressemitteilung reagiert. Darin nannte Fraktionschef Andreas Winter das SPD-Vorgehen „peinlich“. Die SPD müsse wohl verzweifelt sein. Die alte Volkspartei wäre gut beraten mit Sachlichkeit. Sie solle „Populismus“ in ihren Reihen nicht zuzulassen. Sonst untergrabe sie die politische Kultur in Stuttgart.

Martin Körner verteidigt seinen Kurs entschieden

Körner aber verteidigt die Kampagne. Man greife schließlich eine „Stimmung in der Stadt“ auf, die es nicht nur unter SPD-Mitgliedern gebe, eine „Unzufriedenheit mit dem OB“. Wichtige Impulse müsse der Gemeinderat setzen, weil sie nicht von Kuhn kämen. Das Plakat zum Thema Korruption sei wahrscheinlich dasjenige, das „am stärksten zugespitzt“ sei, gibt Körner zu. Doch auch da beharrt er auf Zulässigkeit: „Der OB-Beitrag zur Aufklärung der Klinikum-Affäre war ja nicht gut.“ Die Frage, ob der SPD-Spitzenkandidat Körner hier schon den OB-Wahlkampf 2020 eröffnet hat, weist Körner zurück. Das sei kein Doppelwahlkampf von ihm.

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Die Frage bleibt, was die Strategie der SPD ausrichten wird. „Ob die Bevölkerung das goutiert? Eigentlich kann man nur den Kopf schütteln“, sagt der altgediente Tübinger Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling. Bisher sei der Weg von Rot zu Grün weder beim Wahlverhalten der Menschen noch beim Verhalten der Parteien so weit gewesen. Mag es in Stuttgart manchmal auch mächtig geklemmt haben im Verhältnis der beiden – trotzdem sei das ein „Bruch der Tradition, dass sich Grüne und Rote einigermaßen verstanden“, meint Wehling. Die überraschende Kampfansage „zur Freude der CDU“ zeuge vielleicht davon, dass die SPD die Grünen als starken Dauergegner in der Zukunft betrachte.

Auch der Politologe Wehling hält Kuhn für keinen starken OB

Es ist allerdings nicht so, dass Wehling jegliche Kritik an Kuhn für ungerecht hielte. Der OB habe bisher wenig Profil entwickelt, insofern „keine besonders gute Figur gemacht“, sagt der Politologe. In der Klinikumaffäre hätten die Grünen sich schneller vom Druck befreien müssen, obwohl noch nicht entschieden sei, „wie tiefgreifend der Klinikumskandal ist“. Die Staus auf Stuttgarts Straßen jedoch habe Kuhn sicher nicht verschuldet. 30 000 Wohnungen zu bauen, wie es die SPD fordert, sei auch nicht so einfach möglich. „Die Grundstücke dafür liegen nicht so einfach herum“, sagt Wehling, „und wegen der Frischluftschneisen halte ich es für richtig, nicht im großen Stil grüne Wiesen zu bebauen“. Die Fehler seien früher gemacht worden, in Stuttgart, aber auch in der Wohnungspolitik in Deutschland. Solche Kritik zu formulieren und auf einen vom Volk gewählten OB zu konzentrieren, lautet Wehlings Fazit, sei für die Verursacher gefährlich.

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Das sieht man im CDU-Lager ähnlich, obwohl der frühere Kreisgeschäftsführer Bastian Atzger der SPD-Strategie Positives abgewann. In Facebook schrieb er der SPD zu ihren schwarzen, fast so etwas wie Trauer transportierenden Plakaten Folgendes: „Knappe Nachricht, klare Botschaft. Das Schwarz ist gewagt, aber auffällig. Nicht schlecht!“ Anders Ingo Sombrutzki, der für die Stuttgarter CDU soeben die Wahlkampagne und die Werbelinie entwickelt hat. Er meint, in einer Großstadtkampagne setze man besser nicht auf Abschreckung und Schlechtmachen des Gegners.

CDU-Fraktionschef Alexander Kotz geht, obwohl wie Körner ein ständiger Kuhn-Kritiker, noch weiter: Der OB kandidiere zwar für die Regionalversammlung, aber nicht bei der Gemeinderatswahl. „Insofern kann er sich nicht wehren.“