Der ehemalige VfB-Spieler Thomas Hitzlsperger, der zuletzt beim englischen Erstligisten FC Everton unter Vertrag stand, sprach am Sonntag beim MTV Stuttgart mit Autoren und Journalisten über die gesellschaftliche Funktion des Fußballs.
Stuttgart - Auch für einen Profi-Fußballer dreht sich eben nicht alles um den Ball. Mit Jens Lehmann zum Beispiel habe er vor oder nach dem Spiel auch gerne mal über Politik gesprochen, verriet der ehemalige VfB-Spieler Thomas Hitzlsperger, der zuletzt beim englischen Erstligisten FC Everton unter Vertrag stand, am Sonntag beim MTV Stuttgart.
Der Verein hatte im Rahmen der gemeinsam mit den Literatur-Spaziergängen Hahn, Kusiek und Laing organisierten Veranstaltungsreihe „Absatzkick“ zu einem Podiumsgespräch geladen. Die Moderation übernahm Stefan Siller vom SWR. Der Titel lautete „Von der Last und Lust über Fußball zu schreiben“. Hitzlsperger war demnach auch nicht in erster Linie als Ex-Profi-Fußballer dort, sondern als Autor der „Zeit-Online“-Kolumne „Alles außer Fußball“. Neben dem ehemaligen VfB-Spieler, der im Sommer 2013 seine Profikarriere beendet hat, saßen Roland Reng, Autor von „Spieltage“, dem Fußballbuch des Jahres, Nils Havemann, der sich als Historiker mit dem Phänomen Fußball beschäftigt, Axel Hacke, Autor des Buches „Fußballgefühle“, Claus Melchior vom Fußballmagazin „Der tödliche Pass“ sowie Joe Bauer von den „Stuttgarter Nachrichten“ auf dem Podium. Allesamt also Menschen, die sich mit Ausnahme Hitzlspergers dem Ball in erster Linie mit dem Schreibblock beziehungsweise der Tastatur und weniger mit dem Fuß nähern. Reng gestand sogar, dass er als Fußballer zu schlecht gewesen sei und „das, was man nicht kann, da möchte man dabei sein.“ Ein bisschen Fan steckt eben in jedem drin. So outete sich Hacke mit den Worten „Da kann man nichts machen, ich bin dort aufgewachsen“ als Anhänger von Eintracht Braunschweig. Havemanns Geständnis, dass er Bayern-Fan sei, brachte ihm beim MTV wenig Freunde ein; auch wenn er hinzufügte, dass zu einer solchen Aussage nach dem gestrigen Tag – die Bayern haben am Samstag 0:3 gegen den BVB verloren – doch fast schon Mut gehöre.
Fehlentscheidungen gehören zum Fußball
In dem anschließenden Gespräch ging es dann aber weniger um das unmittelbare Geschehen auf dem Platz und mehr um das große Ganze drum herum. Fußball als gesellschaftliches Phänomen, das laut Havemann für die meisten Frauen nach 90 Minuten endet, während die Männer ewig weiterdiskutieren. Doch auch wenn Hitzlsperger anmerkte, dass er sich nicht als derjenige sehe, „der einfach nur spielt, damit andere darüber reden“, waren sich alle einig, dass genau dieses Gerede unerlässlich ist. Politische oder wirtschaftliche Zusammenhänge seien heute oft zu komplex und „eine Gesellschaft braucht etwas, über das sie sprechen kann“, sagte Hacke. Dementsprechend einmütig waren auch die Meinungen zum Chip-Ball und anderen Techniken, die dem Schiedsrichter die Arbeit abnehmen. Mit solchen Hilfsmitteln nehme man dem Fußball seine Dramatik, meinte Joe Bauer und befand: „Wenn der Schiri falsch entscheidet, ist das Schicksal.“ So sahen es auch die anderen Experten. „Zum Fußball gehört dazu, dass es Fehlentscheidungen gibt“, sagte Buchautor Hacke. Ansonsten hätte man schließlich nach dem Spiel nichts mehr zu reden.
Reng attestierte den deutschen Fans allerdings, dass sie sich manchmal zu wenig mit dem Spiel selbst beschäftigen und stattdessen nur auf das Ergebnis schauen. Die Engländer hätten auf diesem Gebiet ein deutlich größeres Fachwissen. Ihm gehe es darum, ein Spiel möglichst bewusst anzugucken und sich auch später noch an Einzelheiten erinnern zu können. Von Konferenzschaltungen hält der Buchautor nichts. Sich tiefer gehend mit dem Spiel auseinanderzusetzen und beispielsweise nicht nur Noten für die Spieler zu vergeben, das wünscht sich Hitzlsperger aber auch von den Journalisten.
Möglicherweise kann der ehemalige Profifußballer diesen Vorsatz aber schon bald selbst beherzigen. Beim MTV Stuttgart kündigte er an, dass er in Kürze ein Praktikum in den Medien beginnen werde.