Lea aus Leinfelden-Echterdingen ist 17 Jahre alt – und hochbegabt. Was führt man für ein Leben, wenn man schlauer ist als fast alle anderen? Und warum wird Hochbegabung bei Mädchen seltener entdeckt?
Lea führt durch die Tür in einen sonnengefluteten Raum: Kartons mit Bauteilen stehen herum, die Regale sind voll mit Spraydosen, Kabeln, Schrauben, organisiertes Chaos. Ein grün-silberner Roboter ist an der Seite geparkt. An diesem Roboter, er funktioniert auch autonom, schraubt sie mit ihren Freundinnen und Freunden herum, um ihn bei der sogenannten First-Tech-Challenge gegen andere kleine Maschinen antreten zu lassen. Beides, der Roboter und die Freunde, ist der Grund, warum sie fast ihre ganze Freizeit hier in Raum 216 am Königin-Katharina-Stift-Gymnasium (KKSt) in Stuttgart verbringt, etwa gleich viel Zeit wie im Unterricht, schätzt Lea, die von Leinfelden-Echterdingen zur Schule pendelt. „Wir bezeichnen den Raum manchmal als unser zweites Zuhause“, sagt Lea.
Hochbegabung bedeutet nicht, nur Spitzennoten zu schreiben
Lea, 17 Jahre alt, ist hochbegabt. Sie gehört damit zu den schlausten zwei Prozent der Menschen in Deutschland. Hochbegabung heißt aber nicht, dass man automatisch Spitzennoten schreibt und eine große Karriere vor sich hat. Es ist ein Potenzial, das erst mal entdeckt und gefördert werden muss. Passiert das nicht, werden manche zu sogenannten Under Achievern, also Leuten, die hinter ihren Möglichkeiten bleiben. Etwa, weil sie durch ständige Unterforderung frustriert werden oder verlernen, sich etwas zu erarbeiten. Manche kommen trotz hohem IQ gerade so durch das Abitur.
Das Basteln an den Robotern ist ein Programm, das genau das verhindern soll. Es soll individuelle Stärken fördern. Enrichment heißt das, also Bereicherung, ein eigenes Fach am KKSt. Neben der First-Tech-Challenge (FTC) gibt es etwa Textil-Upcycling, Kunst oder die „Einzigartigkeit der Erde“. In einem Enrichment-Angebot wurde kürzlich ein Wetterballon gebaut und getestet. Ziel ist, dass Schüler sich selbst etwas erarbeiten. Am Roboter kümmere sie sich lieber um die Mechanik und auch um die Organisation, sagt Lea, die Elektronik überlasse sie eher anderen. „Die FTC hat mir geholfen, selbstständiger zu werden.“
Hochbegabte Mädchen fallen oft nicht auf
Dass Lea in einer Klasse mit anderen Hochbegabten sitzt, ist nicht selbstverständlich: Mädchen und Frauen machen nur etwa 25 Prozent jener aus, die offiziell als hochbegabt gelten. Dabei ist Intelligenz im Wesentlichen normal über die Bevölkerung verteilt, es müsste gleich viele hochbegabte Jungen und Mädchen geben. „Hochbegabte Jungen neigen dazu zu stören. Hochbegabte Mädchen tendieren dazu, sich ihren Freundinnen anzupassen“, sagt Kathrin von Vacano-Grohmann, die als Schulleiterin des Königin-Katharina-Stifts dort den Hochbegabtenzug mit aufgebaut hat. Das heißt: Hochbegabte Mädchen fallen oft nicht auf.
Lea dagegen fiel in der Grundschule einer Lehrerin auf. Vielleicht lag es an den fehlerfreien Tests, an die sie sich erinnert. „Mir fällt Lernen grundsätzlich leicht“, sagt Lea, „das war halt schon immer so.“ Die Lehrerin habe schließlich empfohlen, dass sie einen Test auf Hochbegabung machen sollte. Der fällt positiv aus. Als sie beim Tag der offenen Tür des Königin-Katharina-Stifts ist, findet sie das Gebäude wunderschön, fühlt sich sofort wohl. Um in den Hochbegabtenzug aufgenommen zu werden, muss Lea – wie alle anderen – aber erst ein Aufnahmeverfahren durchlaufen.
„Wir wollen Persönlichkeiten entwickeln“
Ein Teil des Auswahlverfahrens ist, dass Schülerinnen und Schüler nach einem Test auf Hochbegabung an einer Schulpsychologischen Beratungsstelle einen Probeunterricht besuchen. Dann folgen Gespräche mit Eltern und Kindern. Es gehe bei der Auswahl der Schülerinnen und Schüler nicht um Leistung, sondern um Potenzial, sagt Kathrin von Vacano-Grohmann. „Wir bereiten hier keine Nobelpreisgewinner vor“, betont die Schulleiterin. „Wir wollen Persönlichkeiten entwickeln.“ Man versuche, eine gute Klasse zusammenzustellen. Von etwa 50 Schülerinnen und Schülern im Auswahlverfahren blieben etwa 25 bis 27 übrig.
Bei Erwachsenen gelten Menschen mit einem Intelligenzquotienten von 130 und mehr als hochbegabt, der Durchschnitt liegt hierzulande bei einem IQ von 100. Lea weiß nur durch den erwähnten Test, dass sie hochbegabt ist, ihren tatsächlichen IQ kennt sie nicht. Wie lebt es sich, wenn man schlauer ist als die allermeisten anderen 17-Jährigen?
Sie lernt leicht, büffelt aber auch viele Stunden ihren Schulstoff. „Ich brauche das Gefühl, gut vorbereitet zu sein“, sagt sie. Sie mag Sprachen, Leistungskurs Französisch, und naturwissenschaftliche Fächer, „Gesellschaftswissenschaften sind nicht so meins.“
Sie spielt Theater, „das ist eine meiner Leidenschaften.“ Im Herbst wird sie im Theater unter den Kuppeln in Leinfelden-Echterdingen erstmals die Regie für ein Kinderstück übernehmen. Sie arbeitet nebenbei im Klettergarten in Zuffenhausen. „Die Arbeit mit den Menschen macht mir Spaß.“
Eine normale Jugendliche
Und dann gibt es eben noch die Roboter, das Basteln, für die Wettkämpfe geht es teilweise ins Ausland. Sehr volles Programm. Ihr Notenschnitt sei sehr gut, sagt Lea, eine genau Zahl will sie nicht in der Zeitung lesen. Sieht sie sich als normale Jugendliche?
Sie sagt: Man könne nicht unterteilen in normale und nicht normale Jugendliche, jede und jeder sei das, was man sein könne und wolle. Alle seien also normal. Und: „Die Hochbegabung hat keinen Einfluss darauf, dass ich mein Leben anders leben würde“, sagt sie. Aber sie sei auch perfektionistisch: „Ich stelle hohe Ansprüche an mich selbst“, sagt Lea.
Laut Kathrin von Vacano-Grohmann ist das typisch für hochbegabte Kinder. Viele Schülerinnen und Schüler würden sich selbst Druck machen, seien ständig neugierig, wollten Dinge immer besser machen, Gehirne auch Hochtouren eben. Sie meint auch: „Es gibt Klassen, die sehr leistungsorientiert sind. Das kann auch zu Leistungsdruck untereinander führen.“
Für viele sei es auch eine neue Erfahrung, nicht mehr das einzige hochbegabte Kind in einer Klasse zu sein, sagt die Schulleiterin. Auch damit müsste man umgehen, einen Weg finden, Kinder davor zu schützen, dass sie sich zu viel Druck machen. Sonst würde sich der Unterricht nicht so sehr von anderen Klassen unterscheiden. Aber: „Man muss mit dem Bewusstsein in die Klasse gehen: Es kann sein, dass ich nicht die Schlauste im Raum bin“, sagt von Vacano-Grohmann.
Lea will Lehrerin werden
Für Lea hat der Unterricht am Königin-Katharina-Stift funktioniert, manche Lehrer seien zu beruflichen Vorbildern geworden, erzählt sie. „An unserer Schule sind auch Lehrer, die einem etwas über den Unterricht hinaus beibringen können“, sagt Lea. Das hat auch ihren Berufswunsch geprägt: „Ich möchte Lehramt studieren“, sagt sie. Physik und Deutsch stehen hoch im Kurs.
Aber gerade sind Ferien, und Lea erlaubt sich, nicht viel zu machen. Sie liest viel, quer durch alle Genres, aber Sachbücher haben nun Pause. Sie strickt und häkelt. Sie nutzt die Ferien für die Hobbys, für die sie sonst keine Zeit hat, chillt auch mal, macht was mit Freunden. Ein paar Gedanken richten sich schon ans Studium, sie denkt an Tübingen und würde direkt nach dem Abitur im kommenden Jahr anfangen. „Mein Ziel ist es, an eine Schule zu kommen, an der ich FTC machen kann“, sagt sie, also das Basteln an den Robotern, die dann gegeneinander antreten. Nur dann eben als Lehrerin.
Schulen für Hochbegabte
Schulen
Es gibt zwei Schulen mit Hochbegabtenzügen in Stuttgart, neben dem Königin-Katharina-Stift (KKSt) noch das Karls-Gymnasium, beide im Bezirk Mitte. In ganz Baden-Württemberg sind es laut dem Landesverband Hochbegabung 14 Gymnasien mit solchen Zügen.
Unterricht
Die Schulen bieten demnach häufig etwa eine Akzeleration an, eine schnellere Vermittlung des Bildungsplans. Das kann bedeuten, dass einige Wochenstunden eingespart werden. Manche Schulen nutzen die so gewonnenen Stunden für ein Enrichment, ein fächervernetztes Unterrichtsangebot, das zum Ziel hat, die jeweiligen Begabungen der Schülerinnen und Schüler zu fördern.
Aufnahme
Das Auswahlverfahren am KKSt startet jeweils im Februar oder März. Man beginnt mit einfachen Anmeldung über das Sekretariat. Die weiteren Auswahlschritte folgen danach.