Der Hochhauszwilling in Sindelfingen muss saniert werden. Wohnungseigentümer rätseln, wie sie die Kosten von bis zu 20 Millionen Euro aufbringen sollen. Bewohner sammeln Protestunterschriften und versuchen verzweifelt, den Preis zu drücken.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Sindelfingen - Bei Rauchgeruch in den Hochhäusern an der Friedrich-Ebert-Straße reagiert die Feuerwehr empfindsam. Jüngst rückte sie mit Großaufgebot aus. Anwohner hatten sie alarmiert. Zu löschen war ein Topf mit verbranntem Essen. In einem der Sindelfinger Wohnblöcke war 2014 ein Mann vom Balkon gesprungen, weil seine Wohnung in Flammen stand. Er war sofort tot.

 

Sofern sich bei 252 Wohnungen in einem Bau noch von Nachbarschaft sprechen lässt, war Hans Joachim Dittmer ein Nachbar des Verunglückten. Dittmer zählt zu einer Gruppe von Bewohnern, die derzeit mit Unterschriftenlisten von Haustür zu Haustür gehen, um wiederum ihre Nachbarn zu alarmieren. Ihnen geht es nicht ums Feuer, sondern ums Geld.

Im Mittel entfallen auf jeden Eigentümer gut 70 000 Euro

Der Hochhauszwilling mit den Nummern 15 und 17 soll saniert werden. Gemäß Hochrechnungen würden im rechnerischen Mittel auf jeden Wohnungseigentümer gut 70 000 Euro entfallen, angesichts rasant steigender Preise am Bau wohl eher mehr. Viele der Besitzer sind betagt. Dittmer hat seinen 80. Geburtstag auch schon eine Weile hinter sich. „Manche verkaufen aus lauter Panik“, sagt er. Etwa die Hälfte der Wohnungen sind selbst genutzt, wie seine, die andere Hälfte ist vermietet. Die Kosten für die Bauarbeiten werden die Mieter mit Verspätung treffen – als Mieterhöhung. Unter den Bewohnern kreist das böse Wort Luxussanierung. Knapp die Hälfte von ihnen hat per Unterschrift protestiert. „Es ist erstaunlich, wie viele sich bei uns bedanken, dass wir was unternehmen“, sagt Dittmer.

Der vermeintliche Gegner sind die Wohnstätten Sindelfingen, ein städtisches Tochterunternehmen. Dass dessen Geschäftsführer Georgios Tsomidis Wert darauf legt, kein Gegner zu sein, versteht sich von selbst. Sein Unternehmen ist auch keiner, denn die Wohnstätten verwalten den Bau nur. Wohl haben sie die Vorschläge zur Sanierung zusammengestellt, aber Gutachter haben sie zuvor erarbeitet. Letztlich entscheiden die Wohnungseigentümer in ihrer Vollversammlung, wenn auch nicht frei, sondern in einem gesetzlichen Rahmen, der einem Korsett gleicht.

„Ich habe größtes Verständnis, wenn vor allem ältere Leute sagen, das schaffe ich nicht mehr“, sagt Tsomidis. Aber der Bau stammt aus dem Jahr 1972. Die Betonfassade sei sichtbar marode. Dass die Aufzüge erneuert werden, ist Vorschrift, und immer schärfere Energiespargesetze lassen nicht nur die Kosten für Neubauten explodieren.

Unter dem Strich einer ersten Kalkulation standen noch fünf Millionen Euro

Unter dem Strich einer ersten Kalkulation standen noch fünf Millionen Euro. Inzwischen strebt die Summe der Grenze von 20 Millionen zu – je nachdem, wie dick die Fassade gedämmt werden soll oder ob das Haus künftig mit einem Blockheizkraftwerk oder mit Fernwärme beheizt wird, unter anderem. Von der Preissteigerung abgesehen, seien mehrere Posten „zum damaligen Zeitpunkt nicht absehbar“ gewesen, schrieben die Wohnstätten in einer Informationsschrift. Dazu zählten verschärfte Brandschutzbestimmungen, eine Photovoltaikanlage und eben die Erneuerung der Aufzüge, die mit rund einer Million zu Buche schlägt. Knapp drei Millionen Euro ruhten Ende 2017 auf dem Konto für Reparaturen am Bau.

Dittmer ist Ingenieur mit Leidenschaft. Er hat sogar im Ruhestand seine Doktorarbeit nachgeholt. Auch Nichtakademiker könnten sich allerdings fragen, „warum eine Kellerdecke gedämmt werden soll, wenn die Kellerräume beheizt sind“. Er und seine Mitstreiter argwöhnen grundsätzlich, dass sich mit dem Rotstift die Kosten kräftig drücken ließen, aber „wir müssen uns erst einarbeiten“, sagt Dittmer. Sie werden sich einlesen müssen in den Haus-Energiestandard KfW 100, die Landesbauordnung und die Energieeinsparverordnung, die zumindest unter Bauherren nicht nur als Wortungetüme gelten.

Die einzelnen Vorgaben schwanken nach einem Punktesystem. Wer das Dach dicker dämmt oder mit Fernwärme statt Gas heizt, darf an der Fassade oder den Fenstern sparen. Je nach Energiebilanz schwanken auch die staatlichen Zuschüsse. Zurzeit schlagen die Wohnstätten vor, die Kosten mit einem gemeinschaftlichen Kredit zu stemmen. Was den Nachteil hätte, dass die Gemeinschaft den Anteil derjenigen übernehmen müsste, die womöglich ihre Raten nicht mehr zahlen können. Ob einzelne gezwungen werden können, den gemeinsamen Kredit aufzunehmen, wenn die Mehrheit ihn beschließt, weiß nicht einmal Tsomidis. „Ich kann mir das nicht vorstellen“, sagt er. „Aber das lassen wir gerade von einem Rechtsanwalt prüfen.“