Traumensemble im Alptraumland: An Pfingsten läuft im Stuttgarter Schauspielhaus „Unendlicher Spaß“, ein Gastspiel mit Ursina Lardi, Devid Striesow, André Jung, Sebastian Blomberg.

Stuttgart - Ein Roman wie ein Telefonbuch, sofern man ihn auf die Waage legt: Er wiegt anderthalb Kilo und misst 1500 Seiten, deren Lektüre nicht immer ein Spaß ist. Mit seinem Titel verspricht er zwar das Gegenteil, „Unendlichen Spaß“, aber in seiner Überfülle an Geschichten und Motiven, Themen, Fußnoten und Unterfußnoten ist das Prosa-Schwergewicht von David Foster Wallace nur mit Mühe zu lesen. Seine Sätze erzeugen ein Dauerrauschen und handeln von Tennis, Konsum und Müll, von Drogen, Depression und Suizid, von einem Amerika der gebrochenen und zerbrochenen Menschen, das in einer nicht allzu fernen Zukunft angesiedelt ist. Wallace selbst wird seine grelle Dystopie, sollte sie je eintreten, erspart bleiben: Das einstige Wunderkind der US-Literatur griff 2008 zum Strick und erhängte sich. Der Autor wurde 46 Jahre alt.

 

Wie aber kann aus dem durchgeknallten „Unendlichen Spaß“, der sich wie ein außer Kontrolle geratenes Ideen-Feuerwerk in alle Richtungen verschwendet, ein Theaterstück werden? Man muss ihn eindampfen, auf wenige Handlungsstränge konzentrieren und die liebenswert strauchelnden, verrückten, kaputten und koksenden Footballstars und Tennisasse, Kleingangster und Kleinfamilienmitglieder mit exzellenten Schauspielern besetzen. Das hat der nur alle paar Jahre inszenierende Regisseur Thorsten Lensing getan: In seiner Bühnenversion des minimalistisch reduzierten „Unendlichen Spaßes“ tritt ein All-Star-Ensemble auf, wie man es sonst – weil die Darsteller mit Jobs auf der Bühne und vor der Kamera überhäuft sind – nur selten sieht. Koproduziert mit dem Schauspiel von Armin Petras, gastiert die De-Luxe-Inszenierung jetzt an Pfingsten in Stuttgart.

Bekifftes Tenniswunderkind

Mit dabei: Ursina Lardi und Jasna Fritzi Bauer sowie Sebastian Blomberg, André Jung, Heiko Pinkowksi und Devid Striesow. Auf einer leeren Bühne bietet das hochkarätige Sextett ein Kaleidoskop von Szenen und Psychogrammen. Ursina Lardi von der Berliner Schaubühne etwa spielt Hal, den hochbegabten, vom Selbstmord des Vaters traumatisierten Jungen, der ständig kifft und es trotzdem zum Tennisgenie gebracht hat. Auf hohen Plateauschuhen, breitbeinig, den Rücken gekrümmt, wirke sie „mal wie eine Raubkatze auf dem Sprung, mal wie ein Boxer“, heißt es in einer Kritik zur Premiere, die im Februar in den Berliner Sophiensälen stattgefunden hat. Und was für Lardi gelte, gelte auch für die anderen Spieler: Sie würden „keine luftdicht verpackten Figuren, sondern Versuchsanordnungen von großer Präzision“ zeigen.

Die Beschreibung klingt plausibel. Spielerische Offenheit, das Improvisierte wie kantige Schlacken mit sich tragend, prägte auch die anderen Arbeiten, mit denen Lensing in Stuttgart bereits zu Gast war: „Karamasow“ und „Der Kirschgarten“, beides 2015 mit Spielern, von denen einige auch jetzt durchs Wallace-Universum trudeln. Mithin spricht manches dafür, dass auch der „Unendliche Spaß“ ein großes Fest der Virtuosen wird. Dass es ein langes wird, steht fest: Vier Stunden dauert der Abend mit dem Berliner Traumensemble. Nach der Pause tappe er ins Betuliche, so die Kritik, aber davor sei er das „Schönste, was man seit Langem“ gesehen“ habe – weshalb es auch sein könnte, dass der wie ein Schwamm mit Sarkasmus vollgesogene Romantitel sein Versprechen doch noch einlöst. Vielleicht steht dem Publikum tatsächlich „Unendlicher Spaß“ bevor.